Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika. Gerstäcker Friedrich

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Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika - Gerstäcker Friedrich

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Verbande, in seine Zelle zurückgeschleift.

      Stierna mußte jetzt erst noch den schwer verwundeten Wärter verbinden, und dann dem finsteren Schreckenshaus, das noch in seiner letzten Scene so furchtbare Erinnerung für ihn bewahren sollte, ein leises, aber aus innerster Brust kommendes Lebewohl zurufend, warf er sich auf sein draußen angebunden stehendes Pferd, und trabte rasch die Straße hinab, dem inneren Stadttheile zu, wo er seinen jungen Freund an einem, ihm genau bezeichneten Ort schon zu finden hoffte.

      Während die Wärter in dem Irrenhaus mit dem Tollen rangen, sprang die Straße hinunter, den Schlamm nicht achtend, der um sie her spritzte, eine dunkle Gestalt mit bleichen, fast geisterhaften Zügen; der Straße Santa Rosa folgend, bog sie erst in die von Santa Clara ein, und vollkommen mit der Lokalität des Platzes bekannt, wie es schien, mäßigte sie erst ihren Schritt, als sie sich einem großen dunklen Gebäude näherte, das die Ecke dieser und der Calle Lima bildeten. In den langen Pancho gehüllt, drückte sie sich, diesem gegenüber, in den dunklen Schatten eines anderen hohen Hauses, von den Vorübergehenden oft und neugierig angestarrt, aber ohne ihrer zu achten, ja vielleicht ohne sie zu bemerken, und blickte, das Antlitz jetzt total in dem weiten Tuche versteckt, daß die glühenden Augen nur eben darüber sichtbar waren, regungslos nach einem dicht verhangenen, und stark vergitterten Fenster des unteren Stocks hinüber, aus dem ein schwacher Lichtstrahl vordämmerte. Aber die Thür öffnete sich nicht – Niemand verließ das Gebäude, Niemand betrat es, und eben das einzelne Licht ausgenommen, hätte man die ganze düstere Steinmasse für öde und unbewohnt halten können.

      Es war nahe an zehn Uhr, nur noch einzelne Fußgänger, die hier in dem belebtesten Theil der Stadt, in dem selbst Trottoirs hergerichtet waren, ihren eigenen Wohnungen zueilten, brachen manchmal die stille Öde der Straße, diese aber wichen jetzt scheu der noch immer dort lehnenden Gestalt aus, und beschrieben, selbst den Schlamm des Fahrwegs nicht achtend, lieber einen Bogen um sie, oder kreuzten nach der anderen Seite hinüber. Alle Läden, alle Thüren waren geschlossen, die meisten Lichter sogar schon verlöscht, nur das eine, in dem dunklen Haus warf noch seinen matten Schein auf den Vorhang, der das Innere des Gemaches vollständig den Augen der Vorübergehenden verbarg.

      Niemand war jetzt mehr auf der Straße zu hören, eine kleine Patrouille Argentinischer Miliz bog um die nächste Ecke und marschirte, zur Ablösung irgend eines Postens, die Straße hinab, dem Castell zu – ihre Schritte verhallten in der Ferne und deutlich tönte der scharfe eigenthümliche Flügelschlag zahlreicher Züge von Wildenten, die von dem Strom nach den zahlreichen Binnenwässern hinüber oder zurückstrichen, durch die Nacht, und unterbrach die sonst todtenähnliche Stille.

      Der Mann in dem dunklen Pancho schritt jetzt rasch quer über die Straße hinüber, horchte einen Augenblick an der Thür und ließ dann zweimal den Klopfer aufschlagen, daß es durch das ganze Gebäude hallte. Wenige Sekunden später ging drinnen eine Thür, ein schwerer Schritt klappte durch das Haus, und eine Stimme von innen heraus frug wer da sei. —

      »Viva la confederation!3« sagte der nächtliche Klopfer mit lauter, ruhiger Stimme.

      »Mueran los salvajes Unitarios,4« antwortete der im Haus Befindliche, und zwei zurückgeschobene Riegel kündeten gleich darauf, wie er das Feldgeschrei seiner Parthei für eine hinlängliche Bürgschaft des guten Charakters seines nächtlichen Besuches halte, ihm selbst in dieser späten Stunde Einlaß zu gönnen. Gleich darauf wurde ein Schlüssel im Schloß umgedreht und die Thür öffnete sich nach Innen, während das Licht der Lampe, die der Aufschließende in der Hand hielt, voll auf das Antlitz seines späten und ungekannten Besuchers fiel.

      »Ave Maria!« sagte der Alte aber fast unwillkürlich, als er das todtenbleiche Gesicht und die dunkelglühenden Augen gewahrte, die auf ihn geheftet waren – »was wünscht Ihr, Señor, zu so später Zeit?«

      Der Fremde strich sich mit der Linken das feuchte rabenschwarze Haar aus der Stirn und sagte dann mit ruhiger Stimme, die der unruhige Ausdruck seiner Züge freilich Lügen strafte.

      »Ich muß um Entschuldigung bitten, Sie so spät zu stören, aber ein wichtiger Auftrag zwang mich dazu – ist Don Luis de Gomez noch zu sprechen?«

      »Don Luis ist nicht zu Hause,« erwiderte der Alte, und musterte jetzt zum ersten Mal, und wie es schien, etwas erstaunt den verstörten und schlammbespritzten Anzug des Fremden, »Ihr kommt wohl aus dem Inneren, Señor?« setzte er dann fragend hinzu. —

      »Nicht zu Hause?« wiederholte aber der Fremde rasch und wie es schien ungläubig – »sagt ihm, guter Freund, daß ich ihm wichtige Depeschen bringe, deren Verschieben Unheil über viele Menschen bringen könnte.«

      »Aber Don Luis hat Buenos-Ayres schon vor drei Monaten verlassen,« bekräftigte der Alte seine frühere Aussage, »und ist nach Valparaiso im Auftrag Sr. Excellenz des Gouverneurs gegangen – den Gott beschützen möge.«

      »Nicht in Buenos-Ayres?« rief der Fremde, erschreckt einen Schritt zurücktretend – »nach Chile? – und Donna Constancia? – «

      Ehe der Alte diese zweite Frage noch beantworten konnte, öffnete sich die Seitenthür, und eine alte Dame, den Kopf sorgfältig in ihre Mantille eingeschlagen, die sie unter dem Kinn durchgezogen und über die linke Schulter zurückgeworfen hatte, schaute heraus, hatte aber kaum das bleiche Antlitz des Fremden erkannt, auf das in diesem Augenblick das volle flackernde Licht der Lampe fiel und ihm einen noch viel wilderen unheimlicheren Ausdruck gab, als sie einen gellenden Schreckens- und Hülfeschrei ausstieß und die Thüre wieder ins Schloß werfend, vor der sie ihren Gatten oder was er sonst sein mochte, total und unbekümmert seinem Schicksal überließ, riß sie das Fenster ihrer Stube auf und rief mit einer Stimme, die Todte hätte erwecken können »Hülfe« und »Mord« in die stille Nacht hinaus.

      Der Alte erschrak natürlich nicht wenig über den unerwarteten, und für jetzt allerdings noch total unbegründeten Nothschrei, riß aber doch das Messer, das er wie jeder Argentiner bei sich trug, aus der Scheide, und sah den bleichen Fremden verdutzt und unentschlossen an. Dieser war bei dem ersten Schrei der Frau wild emporgezuckt, und auch seine Hand griff wohl unwillkürlich nach der, unter dem Pancho verborgenen Waffe, wie er aber das Hülfegeschrei der Frau nach der Straße zu hörte, stutzte und horchte er erst einige Secunden und stieß dann plötzlich ein so wildes fürchterliches Gelächter aus, daß der Alte entsetzt zurücktaumelte. In dem nämlichen Augenblick war aber dieser wilde unheimliche Besuch durch die noch offene Hausthür wieder hinaus auf die Straße geschlüpft, und während der Alte mit vor förmlicher Todesfurcht zitternden Händen, die Riegel wieder vorschob und seiner Frau, lange vergeblich durch die verschlossene und von Innen förmlich verbarrikadirte Thür zurief, daß jede Gefahr – wenn überhaupt irgend eine vorhanden gewesen, vorüber sei, floh Morelos mit lautem, schallendem Gelächter die menschenleere Straße hinab und das Hülfegeschrei der alten Dame tönte gellend hinter ihm drein.

      Keine Thür, kein Fenster öffnete sich dabei. – Anfälle auf offener Straße gehörten in gegenwärtiger Zeit, und unter Rosas strenger Polizei, allerdings zu den Seltenheiten, fielen aber doch dann und wann vor, und Privatleute hüteten sich wohl, sich in derlei Streitigkeiten zu mischen; ja wer sich gerade zufällig in der Nähe auf der Straße fand, floh, so rasch er konnte, solcher Nachbarschaft zu entgehen, die oft in ihren Folgen selbst für die Zeugen lange Verhöre und selbst für Einkerkerungen mit sich brachten – hatte sich endlich die Polizei wirklich einmal in's Mittel geschlagen.

      Als der Lärm verhallt war, marschirte auch heute eine kleine Militärpatrouille von sechs Negersoldaten und einem Mulatten als Unterofficier, langsam durch die Straße – an den Ecken hielt sie still, Straße auf und ab zu horchen, ob sich noch etwas vernehmen lasse, und schickte hie und da einen Mann nach rechts oder links ab, zu sehen, ob der dunkle Gegenstand an der anderen Seite der Straße vielleicht die Leiche irgend eines Ermordeten

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<p>3</p>

»Es lebe die Conföderation.«

<p>4</p>

»Es sterben die wilden Unitarier.« Beides das Motto der Argentinischen Republik unter Rosas.