Die Schaffnerin; Die Mächtigen: Novellen. Jakob Wassermann

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Die Schaffnerin; Die Mächtigen: Novellen - Jakob Wassermann

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dir wohl einen andern zum Heiraten?«

      »Warum, Truchs? es muß ja nicht geheiratet sein.«

      »Es muß nicht. Sehr richtig. Das war einmal vernünftig, sehr vernünftig. Ein Feldwebel findet sich ja auch nicht alle Tage und noch weniger ein Gutsverwalter, häh.«

      »Wieso ein Feldwebel?«

      »Na, dein erster war doch Feldwebel oder sowas. Was Leutholdin?«

      »Du führst so bittere Reden, Truchs. Wo willst du hinaus? Was willst von mir? Heiraten willst mich nicht. Loslassen willst mich auch nicht, also was willst du, Truchs? Sag’s doch lieber gleich, daß ich mich darnach richten kann. Ich fürcht mich manchmal vor dir.«

      »Das ist gut, Leutholdin. Das ist gut, wenn einen die Weiber fürchten. Aber heiraten will ich dich nicht, das schwör ich dir zu. Ich will eine Reiche heiraten, jetzt, wo ich säßig geworden bin, eine aus der Gegend da. Und offen gestanden Fanny« – der Amtmann stand auf und trat ganz nahe zur Schaffnerin – »offen gestanden, ich hab dich zu gern, als daß ich dich heiraten möchte. Wenn ich dir das aus freiem Willen sag, kannst du’s glauben. Sakerment, wenn ich dich heirat, verlierst deine runden Backen, Fanny. Aber such dir doch einen. Wenn er gut und dumm und blind ist, kannst ihn heiraten. Ich hab nichts dagegen.«

      »Das sagst du jetzt, Truchs. Aber ich will’s auch. Das Leben vor den Leuten taugt mir nicht. Schließlich merken sie’s ja doch. Und die sechzig Mark, die mir der Generalleutnant giebt, reichen kaum für die Kleider. Geh jetzt weg von mir, Truchs, die Leut’ sehn uns ja vom Hof aus.«

      Das Gesicht des Amtmanns wurde finster und verzerrt. »Die Leut,« preßte er mit vorgebeugtem Kopf zwischen den Zähnen hervor, »die Leut scheren mich einen Pfifferling. Hier hat jeder zu thun, was ich will! Hier bin ich Herr. Verstehst du? Steh auf und küss’ mich!«

      Die Schaffnerin, die voll Furcht, mit weitgeöffneten Augen, den Amtmann angestarrt hatte, erhob sich fast mechanisch und drückte einen hauchenden Kuß auf Truchs Kinn.

      »Fester!« gebot der Amtmann.

      Sie gehorchte.

      Es klopfte an der Thür und auf den Ruf des Amtmanns trat Tarnow ein.

      »Ah, guten Tag, lieber Tarnow,« sagte Truchs freundlich; er hatte den Wirtschaftsschreiber erst vor wenigen Minuten im Bureau verlassen.

      »Die Libuhn geht nach der Stadt, Herr Amtmann, und fragt, ob sie von Ihnen aus etwas besorgen soll.«

      »Für mich, Herr Tarnow!« rief die Schaffnerin mit auffallendem Eifer. »Ich brauche Nähgarn und Stopfwolle.«

      »Nähgarn und Stopfwolle,« murmelte Tarnow, indem er aus seinem Notizbuch ein Blatt riß. »Sonst etwas?« Tarnow öffnete die Thür, der Amtmann drehte sich um und sagte, er solle nachher wieder herein kommen und mit Kaffee trinken.

      Fanny deckte den Tisch und holte die Tassen. Der Amtmann stand am Fenster und trommelte den Wirbel der Tamboure an die Scheiben. Er wandte den Kopf, um etwas zu sagen, sah aber niemand im Zimmer. Er durchschritt den Raum, um in die Küche zu gehen. Man mußte da durch den ganzen steingepflasterten Flur, bis dahin, wo er sich gegen den Hof zu erweiterte. Dort war die Küche, die sehr groß war und, weil sie eine weite Esse hatte, einer Schmiede glich. Der Amtmann blieb am Ende des schmalen Ganges stehn. Er konnte von hier aus ein kleines Stück der Küche überblicken. Die Schaffnerin saß auf dem zugedeckten Backtrog und blickte beharrlich auf ihre Schürze. Vor ihr stand Tarnow, hielt den Kopf tief gesenkt und seine Hände lagen auf dem Rücken. Der Amtmann strich mit festaneinandergedrückten Fingern ein paarmal über die Schläfenhaare und kehrte wieder um. Als ihm die Libuhn, fein herausgeputzt, begegnete, trat er zur Seite, verbeugte sich ein paarmal und näselte affektiert: »Ah, mein Fräulein, in die Stadt, wa? Verabredung mit dem Schatz, wa? Messe besuchen, hä? Haben Fräulein denn die Erlaubnis dazu?«

      Das Mädchen heftete den Blick erschrocken auf Truchs. »Der Herr Tarnow –« stammelte sie scheu.

      »Bataillon kehrt marsch!« fuhr der Amtmann auf. »Dageblieben! Den Schlendrian hab ich satt.« Er lachte bitter und ließ die heulende Magd stehen. Sie dachte an Stauff, der sie nun umsonst vor dem Cirkus erwartete. Und draußen flutete der glänzende Sonnenschein! Am Meß-Montag ist sonst immer Feiertag gewesen, dachte sie bekümmert, als sie sich in eine dunkle Ecke der Scheune verkrochen hatte, um dort nach Herzenslust weiter zu schluchzen.

      Die drei im Wohnzimmer nahmen am Kaffeetisch Platz. Nach einem langen und seltsamen Schweigen, das nur durch Tassengeklapper unterbrochen wurde, wandte sich der Amtmann an Tarnow. »Nun sagen Sie mal, mein lieber Tarnow,« begann er mit freundlichem Augenzwinkern und richtete den Zeigefinger wie einen Pfeil gegen seine Nasenspitze, »Sie sind doch so ein hübscher Mensch und jung sind Sie auch, kaum dreißig, und ein angenehmes, sanftes Wesen haben Sie, – gewiß, gewiß –! nun sagen Sie, waren Sie denn noch nicht verliebt?«

      Tarnow errötete und schüttelte lächelnd den Kopf.

      »Nein, sagt er! Haben Sie’s gehört, Fanny? Nein, sagt er!« rief der Amtmann, ganz außer Rand und Band vor Freude und stieß die Schaffnerin in die Seite. »Er lügt, er muß lügen,« fuhr er heftig gestikulierend fort. »Er ist ein Heuchler, ein Windhund. Ein Schuft ist er, weil er lügt.«

      Tarnow sah den Amtmann fest und erwartungsvoll an. Er hatte ein Gefühl wie vor einer ungreifbaren Gestalt, die sich windet wie ein Rauch und in Nichts verfließt, wenn man die Arme nach ihr streckt.

      »Wollen Sie nicht noch eine Semmelschnitte, Herr Tarnow?« fragte Truchs zuvorkommend. »Oder mit ein wenig Mus darauf? Nicht? Zum Teufel, Herr, fressen Sie! Glauben Sie, wenn Sie jeden Tag dürrer werden, nützt mir Ihre Arbeit was?«

      »Ich habe keinen Hunger mehr, Herr Amtmann,« entgegnete Tarnow mit vollkommener Ruhe.

      »Hunger mehr, was heißt das? Wenn ich sage, fressen Sie, dann fressen Sie! Verstanden? Stehen Sie auf, wenn ich mit Ihnen rede.«

      Tarnow stand auf.

      »Schließen Sie das Fenster,« befahl Truchs.

      Tarnow schloß das Fenster.

      »Öffnen Sie es wieder!« befahl er und stieß die Schaffnerin von neuem in die Seite.

      Tarnow öffnete es wieder. Er that es still und wie selbstverständlich. Nichts von Erbitterung war auf seinen Mienen zu lesen, nichts von zurückgehaltenem Zorn. Geduldig wartete er, was der Amtmann noch mit ihm beginnen würde.

      »Jetzt können Sie gehen,« sagte Truchs und stützte den Kopf in die Hand, während Tarnow mit einer linkischen Verbeugung, die der Schaffnerin galt, hinaus ging. Er nahm seinen Hut und verließ alsbald den Hof, um die Richtung nach der Stadt einzuschlagen. Soldaten mit frischgewaschenen Drillichröcken blickten von den Stockwerken der Kaserne auf ihn herab, und als er die Fahrstraße erreicht hatte, geriet er in ein Gewimmel von Menschen, das immer größer wurde, je mehr er sich der inneren Stadt näherte. Den Main hinab fuhren Boote, beglänzt von der sich rötenden Sonnenscheibe; die vergoldete Domuhr brannte förmlich im Feuer. Flatternde Fahnen über den Wirtschaftsgärten, quietschende Tanzmusik aus winkeligen Gassen, und dann das sinnlose Gedränge auf den Budenstätten! Tarnow vermied die dichtesten Massen und besah nur, was er eben besehen konnte, ohne viel Neugierde zu zeigen, aber auch ohne Gleichgültigkeit, alles mit dem inneren Frieden und der merkwürdigen Sanftheit, die ihm eigen waren. Vor dem Brettertisch des schreienden Ausrufers, der seine Waren unter staunenswürdigen Witzen und Wortspielen anpries, konnte er lachen wie das harmlose Kind neben ihm. Bei den Mordthaten, die, serienweise abgebildet, am Quai aufgestellt waren und mit Hilfe von sehr weinerlichen Reimen kommentiert

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