Lichtenstein. Вильгельм Гауф
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"Also auf dem Leichentuch in des Ritters Totenkammer?" dachte Georg, und fühlte, wie sein Herz lauter pochte.
Er war daher unschlüssig, ob er sich auf das Leichentuch legen sollte oder nicht. Aber er sah keinen Stuhl, keine Bank in der ganzen Totenkammer; der Boden, mit Backsteinen zierlich ausgelegt, war noch kälter als das kalte feuchte Leichentuch. Er begann sich dieser Untersuchungen, dieses Zögerns zu schämen, und bald nahm ihn das gastliche Lager des Verstorbenen auf.
Auch das härteste Lager ist weich für den, der mit gutem Gewissen zur Ruhe geht. Georg hatte sein Nachtgebet gesprochen und war bald entschlummert. Aber aus dem Leichentuch stiegen wunderliche Träume auf und lagerten sich bange über den jungen Mann. Er sah deutlich wie der alte Schließer zu dem großen Schlüsselloch hereinguckte und sich segnete, daß er auf der anderen Seite der Tür stehe, denn in der Totenkammer begann es, recht unheimlich zu werden. Es fing an, wunderlich umherzurauschen, auf den Backsteinen schlurften alte Sohlen in häßlichen Tönen. Georg glaubte zu träumen; er ermannte sich, er horchte, er horchte wieder, aber es war keine Täuschung. Schwere Tritte tönten im Gemach. Jetzt wurde das Feuer heller angeschürt. Der ungewisse Schein der Flamme spielte um eine große, dunkle Gestalt. Sie bewegte sich, der Weg vom Kamin zum Bett war gar nicht weit. Die Schritte kommen näher, das Leichentuch wird angefaßt und geschüttelt. Georg, von unabwendbarer Furcht befallen, drückt die Augen zu, aber als die Decke gerade neben seinem Haupt gefaßt wurde, als eine kalte, schwere Hand sich auf seine Stirn legte, da riß er sich los aus seiner Angst, er sprang auf und maß mit ungewissen Blicken jene dunkle Gestalt, die jetzt dicht vor ihm stand. Hell flackerten die Flammen im Kamin, sie beleuchteten die wohlbekannten Züge von Frondsberg.
"Ihr seid es, Herr Feldhauptmann?" rief Georg, indem er freier atmete und seinen Mantel zurechtlegte, um den Ritter nach Würde zu empfangen.
"Bleibt, bleibt", sagte jener und drückte ihn sanft auf sein Lager nieder. "Ich setze mich zu Euch auf das Bett, und wir plaudern noch ein halbes Stündchen, denn es ist auf allen Glocken erst neun Uhr, und in Ulm schläft noch niemand als dieser Sprudelkopf, den man zur Abkühlung heute nacht recht hart gebettet hat." Er faßte Georgs Hand und setzte sich zu seinen Füßen auf das Bett.
"Oh wie kann ich diese milde Nachsicht verdienen!" sprach Georg, "Stehe ich nicht in Euren Augen als ein Undankbarer da, der Euer Wohlwollen zurückstößt, und was Ihr gütig für ihn ausgesonnen mit rauher Hand zerreißt?"
"Nein mein junger Freund!" antwortete der freundliche Mann. "Du stehst vor meinen Augen als der echte Sohn Deines Vaters. Gerade so schnell fertig mit Lob und Tadel, mit Entschluß und Rede war er. Daß er ein Ehrenmann dabei war, weiß ich wohl, aber ich weiß auch, wie unglücklich ihn sein schnelles Aufbrausen, sein Trotz, den er für Festigkeit ausgab, machten."
"Aber sagt selbst, edler Herr!" entgegnete Georg. "Konnte ich heute anders handeln? Hatte mich nicht der Truchseß aufs Äußerste gebracht?"
"Du konntest anders handeln, wenn Du die Weise und Art dieses Mannes beachtetest, welche sich Dir letzthin schon kundgab. Auch hättest Du denken können, daß Leute genug da waren, die Dir kein Unrecht geschehen ließen. Du aber schüttetest das Kind mit dem Bade aus und liefst weg."
"Das Alter soll kälter machen", erwiderte der junge Mann, "aber in der Jugend hat man heißes Blut. Ich kann alles ertragen, Härte und Strenge, wenn sie gerecht sind und meine Ehre nicht kränken. Aber kalter Spott, Hohn über das Unglück meines Hauses kann mich zum wütenden Wolf machen. Wie kann ein so hoher Mann nur Freude daran haben, einen so zu quälen?"
"Auf diese Art äußert sich immer sein Zorn", belehrte ihn Frondsberg. "Je kälter und schärfer er aber von außen ist, desto heißer kocht in ihm die Wut. Er war es, der auf den Gedanken kam, Dich nach Tübingen zu senden, teils weil er sonst keinen wußte, teils auch, um das Unrecht, das er Dir angetan, wiedergutzumachen. Denn in seinem Sinn war diese Sendung höchst ehrenvoll. Du aber hast ihn durch Deine Weigerung gekränkt und vor dem Kriegsrat beschämt."
"Wie?" rief Georg. "Der Truchseß hat mich vorgeschlagen? So kam also jene Sendung nicht von Euch?"
"Nein", gab ihm der Feldhauptmann mit geheimnisvollem Lächeln zur Antwort, "nein. Ich habe ihm sogar mit aller Mühe abgeraten, Dich zu senden, aber es half nichts, denn die wahren Gründe konnte ich ihm doch nicht sagen. Ich wußte, ehe Du eintratst, daß Du Dich weigern würdest, dieses Amt anzunehmen.—Nun, reiße doch die Augen nicht so auf, als wolltest Du mir durch das lederne Koller ins Herz hineinschauen. Ich weiß allerlei Geschichten von meinem jungen Trotzkopf da!"
Georg schlug verwirrt die Augen nieder. "So kamen Euch die Gründe nicht genügend vor, die ich angab?" sagte er. "Was wollt Ihr denn so Geheimnisvolles von mir wissen?"
"Geheimnisvoll? Nun, so gar geheimnisvoll ist es gerade nicht, denn merke für die Zukunft: Wenn man nicht verraten sein will, so muß man weder bei Abendtänzen sich gebärden wie einer, der vom St.-Veits-Tanz befallen ist, noch nachmittags um drei Uhr zu schönen Mädchen gehen. Ja, mein Sohn, ich weiß allerlei", setzte er hinzu, indem er lächelnd mit dem Finger drohte, "ich weiß auch daß dieses ungestüme Herz gut württembergisch ist."
Georg errötete und vermochte den lauernden Blick des Ritters nicht auszuhalten. "Württembergisch?" entgegnete er, nachdem er sich mit Mühe gefaßt hatte. "Da tut Ihr mir Unrecht; nicht mit Euch zu Feld ziehen zu wollen, heißt noch nicht, sich an den Feind anzuschließen; gewiß, ich schwöre Euch—"
"Schwöre nicht!" fiel ihm Frondsberg rasch ins Wort. "Ein Eid ist ein leichtes Wort, aber es ist doch eine drückend schwere Kette, die man bricht, oder von der man zerbrochen wird. Was Du tun wirst, das wird so sein, daß es sich mit Deiner Ehre verträgt. Nur eines mußt Du dem Bund an Eides Statt geloben, und dann erst wirst Du aus Deiner Haft entlassen: In den nächsten vierzehn Tagen nicht gegen uns zu kämpfen."
"So legt Ihr mir also dennoch falsche Gesinnungen unter?" sprach Georg bewegt. "Das hätte ich nicht gedacht! Und wie unnötig ist dieser Schwur! Für wen und mit wem sollte ich denn auf jener Seite kämpfen? Die Schweizer sind abgezogen das Landvolk hat sich zerstreut, die Ritterschaft liegt in den Festungen und wird sich hüten, den nächsten Besten, der vom Bundesheer herüberläuft, in ihre Mauern aufzunehmen, der Herzog selbst ist entflohen—"
"Entflohen?" rief Frondsberg aus. "Entflohen? Das weiß man noch nicht so gewiß; warum hätte der Truchseß denn die Reiter ausgeschickt?" setzte er hinzu. "Und überhaupt, wo hast Du diese Nachrichten alle her? Hast Du den Kriegsrat belauscht? Oder sollte es wahr sein, was einige behaupten wollen, daß Du verdächtige Verbindungen mit Württemberg unterhältst?"
"Wer wagt dies zu behaupten?" rief Georg erblassend.
Frondsbergs durchdringende Augen ruhten prüfend auf den Zügen des jungen Mannes. "Höre, Du bist mir zu jung und zu ehrlich zu einem Bubenstück", sagte er, "und wenn Du etwas der Art im Schild führst, hättest Du Dich wohl nicht vom Bund losgesagt, sondern auch ferner Württembergs Spion gemacht."
"Wie? Spricht man so von mir?" unterbrach ihn Georg, "Wenn Ihr nur ein Fünkchen Liebe zu mir habt, so nennt mir den schlechten Kerl, der so von mir spricht!"
"Nur nicht gleich wieder so aufbrausend!" entgegnete Frondsberg und drückte die Hand des jungen Mannes. "Du kannst denken, daß, wenn ein solches Wort öffentlich gesprochen würde oder ich an diese Einflüsterungen glaubte, Georg von Frondsberg nicht zu Dir käme. Aber etwas muß denn doch an der Sache sein. Zu dem alten Lichtenstein kam öfters ein schlichter Bauersmann in die Stadt; er fiel nicht auf zu einer Zeit, wo so vielerlei Menschen hier sind. Aber man gab uns geheime Winke, daß dieser Bauer ein verschlagener Mann und ein geheimer Botschafter aus Württemberg sei. Der Lichtensteiner zog ab, und der Bauer und sein geheimnisvolles Treiben war vergessen. Diesen Morgen hat er sich wieder