Der Rekrut. Hendrik Conscience

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Der Rekrut - Hendrik Conscience

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seiner Freundin auf lange, vielleicht auf immer Lebewohl sagen, und seine stille unschuldige Seele allen Gefahren eines wüsten Kriegslebens aussetzen.

      Der verhängnißvolle Dienstag, welchen Trien in ihrem Kalender für 1833 mit einem schwarzen Kreuz bezeichnete, war gekommen. Der junge Mann zog mit einem Dutzend Kameraden aus dem Dorf nach Brecht um dort zu loosen.

      Drinnen lagen die beiden Mütter und das Brüderchen vor dem Muttergottesbilde, mit aufgehobenen Armen, und beteten inbrünstig. Der alte Großvater ging auf und ab ohne eine Wort zu sprechen, und blieb endlich vor der Thüre stehen, die Hand auf den Weinstock gestützt und das Haupt zur Erde gebeugt, als ob er in ein Grab schaute.

      Das Mädchen stand in dem Stalle vor ihrer Kuh, blickte ihr trübe und unverwandt in die Augen, und streichelte ihren Hals, als wollte sie das arme Thier über das neue Unglück trösten.

      Ueber beide Hütten hing wie ein Trauerflor eine melancholische Stille, die nur dann und wann das dumpfe Gebrüll des Ochsen unterbrach.

      Da nahte Trien und blickte den Großvater mit stummer Bitte an.

      Der Greis erwachte aus seiner peinlichen Betrachtung, ergriff einen knotigen Stab, und sprach zu dem Mädchen: »Verliere den Muth nicht Trien, Gott wird uns in dieser schrecklichen Noth beistehen. Kommt, die Stunde ist nah, wir wollen dem armen Jan entgegengehen!«

      Trien folgte dem Großvater auf einem Stege, der an dem Hause vorbei zum Dorfe führte. Obgleich eine brennende Ungeduld sie fortzog, ging sie doch mit trägen Schritten hinter ihm, der Greis kehrte sich nach dem Mädchen um, und bemerkte ihren unsicheren Schritt und ihre bleichen Wangen. Gerührt erfaßte er sie bei der Hand, und sprach: »Armes Kind, du hast unseren Jan doch recht gerne, er ist nicht dein Bruder, und doch bist du noch trauriger als wir. Fasse dich Trien, du weißt noch immer nicht, was Gott beschlossen.«

      »Ich habe Angst,« schluchzte das Mädchen zitternd und mit stieren Blicken in das Gebüsch sehend.

      »Angst?« wiederholte der Alte, der gerne die Ursache von des Mädchens Schrecken entdeckt hätte.

      »Ja, ja,« schluchzte Trien, und bedeckte ihr Gesicht mit der Schürze, »es ist um uns geschehen, er hat eine böse Nummer gezogen.«

      »Wie kannst du das wissen; du machst mich vollends beben,« sprach der Großvater mit unsicherer Stimme.

      Das Mädchen wieß mit dem Finger weit über den Baumweg hin, und antwortete: »Dort hinter dem Walde, horcht!«

      »Ich höre nichts; sputen wir uns lieber, es werden die Rekruten sein. – Um so besser.«

      »Gott, Gott,« schrie das Mädchen, »ich höre eine Stimme, so ängstlich und so trüb, es ist als ob ein tiefer Seufzer in meine Ohren gellte.«

      Eine Weile starrte der Alte besorgt das Mädchen an, die fernen Tönen zu lauschen schien. Auch er suchte den fernen Laut zu vernehmen , doch bald sagte er mit lächelnder Miene:

      »Dummes Mädchen, es ist der Wind, der durch die Zweige rauscht.«

      »Nein, nein,« antwortete das Mädchen, »es kommt weit hinter dem Walde her, hört ihr die klagende Stimme nicht?«

      Nach einem Augenblick antwortete der Alte: »Jetzt weiß ich was du sagen willst. Es ist der Hund vom Pachter Claes, der über einen Todten heult, die Pächterin, die die Auszehrung hat, wird diese Nacht gestorben sein. Gott sei ihrer armen Seele gnädig!«

      Das Mädchen, welchem bei der Aufregung ihres Gemüths das nahe Geheul als die Anzeige eines sicheren Unglücks erschienen war, erkannte ihren Irrthum, sie wischte die Thränen aus ihren Augen, und folgte dem Alten mit schnelleren Schritten, und stillschweigend bis dieser zu ihr sagte: »Aber Trien, wenn du so untröstbar bist, was muß seine Mutter, was muß ich sein Großvater dazu sagen, wir haben ihn mit sorgender Mühe aufgezogen und lieben ihn wie unseren Augapfel. Jetzt sind wir alt und schwächlich, er sollte für uns in unseren schlimmen Tagen arbeiten, und wenn Gott seinen guten Engel nicht gesandt hat, um ihm die Hand zu lenken, so muß er jetzt ins Militär und uns der Noth überlassen.«

      Bei diesen Worten brach das Mädchen in einen neuen Thränenstrom aus. Sie antwortete fast ärgerlich: »Ja, Vater, ihr habt recht, allein ich habe auch rüstige Arme und wenn ihr nicht mehr könnt, so will ich wohl den Ochsen auf das Feld führen, und alle grobe Arbeit allein thun; aber mein armer, armer Jan, nichts hören als fluchen und schwören, und Prügel kriegen, und im Loch sitzen und Hunger leiden, und auszehren vor Verdruß, wie der arme Paul, den sie vor 4 Monaten zu Tode gemartert haben, und Niemanden mehr sehen, von Allen die ihn auf der Erde liebten, weder dich, noch seine Mutter, noch sein Brüderchen, noch. . . niemand, als die wüsten, bösen Soldaten.«

      »Sprich so nicht, Trien,« sagte der Alte kümmerlich, »deine Worte schmerzen mich, warum so bitter geklagt, du weinst als ob du an seinem Unglücke nicht zweifeltest! Ich denke noch immer, daß ihm das Loos günstig war, ich habe Vertrauen in Gottes Güte.«

      Die Thränen des Mädchens flossen wieder reichlich, doch antwortete sie nicht, und beide gingen still fort, bis sie das Dorf erreichten.

      Auf dem Wege, den die Rekruten von Brecht zurückkommen mußten, standen viele Menschen, in Gruppen vertheilt, die Alle mit Ungeduld auf den Ausgang der Ziehung warteten; es war sehr leicht diejenigen zu erkennen, die in Brecht einen Bruder oder Liebhaber hatten; hier sah man eine Mutter, die Schürze vor den Augen, dort einen Vater, der mit Gewalt die Angst verbergen wollte, die doch auf seinem Gesichte zu lesen war; dort ein Mädchen mit bleichen Wangen und schüchternem Blicke, von einer Gruppe zur anderen laufend, als wäre sie von einer unnennbaren Angst verfolgt.

      Viele Andere, welche die bloße Neugierde hergezogen hatte, schwatzten und scherzten mit lauter Stimme. Der alte Schmidt, der vor Zeiten unter den kaiserlichen Dragonern gedient hatte, lobte das Soldatenleben, und fand ein williges Echo in des Müller's versoffenem Sohn, der elf Monate lang Soldat gewesen, und seitdem sein elterliches Vermögen zur Hälfte vertrunken und vergeudet hatte. Der Schmidt that dies nicht in schlechter Absicht; er dachte vielmehr seine traurigen Freunde um ihn durch derlei prächtige Schilderungen aufzuheitern, und rief einmal um das andere:

      »Alle Tage Suppe und Fleisch, viel Geld, gutes Bier, nette Mädchen, dazu tanzen und springen und fechten, daß einem die Fetzen vom Leibe fliegen: das nenn' ich das wahre Leben! Ihr kennt das Zeug nicht!«

      Doch seine Worte hatten gerade die umgekehrte Wirkung; die Thränen der Mütter floßen um so reichlicher, und manches Gemüth wurde erst recht verstört.

      Trien konnte sich nicht länger halten; der lose Scherz hatte sie tief gekränkt; mit drohender Faust sprang sie auf den Spötter und rief:

      »Pfui, du häßlicher Schmidt! Du willst wohl alle zu Trunkenbolden machen, wie du einer bist! oder zu Fluchhelden, wie der Landstreicher, der von den Soldaten nichts gelernt hat als in Saus und Braus leben und seine Alten unter die Erde bringen!«

      Des Müller's Sohn richtete sich zornig auf, und wollte schon mit dem Mädchen handgemein werden – da rief man von der andern Seite des Wegs: »Da sind sie! Da sind sie!«

      Wirklich waren die Rekruten hinter dem Wald erschienen, und kamen jetzt heran, singend und jauchzend, daß die Luft davon erschallte. Einige schwenkten ihre Hüte und Mützen hoch, und sie hatten sammt und sonders das Ansehen, als kämen sie von einer Kirmeß etwas angeriffen zurück. Aber wer da sang und guter Dinge war, wer schwieg und Kummer hatte, war noch nicht zu sehen.

      Sobald die Rekruten sich dem Wege näherten, liefen ihnen Blutverwandte und Freunde von allen Seiten entgegen. Der alte Großvater konnte so schnell nicht gehen, obschon Trien ihn bei der Hand

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