Gesammelte Werke. Robert Musil

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Gesammelte Werke - Robert Musil

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wie gelähmt.

      Als er vorhin das Wort «Dieb» ausgesprochen hatte, war ihm für einen Augenblick leichter geworden. Es war wie ein Hinausstellen, Vonsichwegschieben der Dinge gewesen, die in ihm wühlten.

      Aber die Fragen, die gleich darauf wieder auftauchten, vermochte dieses einfache Wort nicht zu lösen. Sie waren jetzt deutlicher geworden, wo es nicht mehr galt ihnen auszuweichen.

      Törleß sah von Reiting zu Beineberg, schloß die Augen, wiederholte sich den gefaßten Beschluß, sah wieder auf … Er wußte ja selbst nicht mehr, war es nur seine Phantasie, die sich wie ein riesiges Zerrglas über die Dinge legte, oder war es wahr, war alles so, wie es unheimlich vor ihm aufdämmerte? Und wußten nur Beineberg und Reiting nichts von diesen Fragen? Obwohl gerade sie sich von Anfang an heimisch in dieser Welt bewegt hatten, die ihm nun auf einmal erst so fremd erschien?

      Törleß fürchtete sich vor ihnen. Aber er fürchtete sich nur so, wie man sich vor einem Riesen fürchtet, den man blind und dumm weiß …

      Eines aber war entschieden: Er war jetzt viel weiter als vor einer Viertelstunde noch. Die Möglichkeit einer Umkehr war vorüber. Eine leise Neugierde stieg auf, wie es nun wohl kommen werde, da er gegen seinen Willen festgehalten sei. Alles, was sich in ihm regte, lag noch im Dunkeln, aber doch spürte er schon eine Lust, in die Gebilde dieser Finsternis hineinzustarren, welche die anderen nicht bemerkten. Ein feines Frösteln war in diese Lust gemengt. Als ob über seinem Leben nun beständig ein grauer, verhängter Himmel stehen werde – mit großen Wolken, ungeheuren, wechselnden Gestalten und der immer neuen Frage: Sind es Ungeheuer? Sind es nur Wolken?

      Und diese Frage nur für ihn! Als Geheimes, den anderen Fremdes, Verbotenes …

      So begann Basini sich zum ersten Male jener Bedeutung zu nähern, die er späterhin in Törleß’ Leben einnehmen sollte.

      Am nächsten Tage wurde Basini unter Kuratel gesetzt.

      Nicht ganz ohne einige Feierlichkeit. Man benützte eine Morgenstunde, während welcher man sich den Freiübungen, die auf einer großen Wiese im Parke stattfanden, entzogen hatte.

      Reiting hielt eine Art Ansprache. Nicht gerade kurz. Er wies Basini darauf hin, daß er seine Existenz verscherzt habe, eigentlich angezeigt werden müßte und es nur einer besonderen Gnade zu danken habe, daß man ihm vorläufig die Schande einer strafweisen Entfernung noch erlasse.

      Dann wurden ihm die besonderen Bedingungen mitgeteilt. Die Überwachung ihrer Einhaltung übernahm Reiting.

      Basini war während des ganzen Auftrittes sehr bleich gewesen, hatte jedoch kein Wort erwidert, und aus seinem Gesichte war nicht zu entnehmen gewesen, was währenddem in ihm vorgegangen war.

      Törleß war die Szene abwechselnd sehr geschmacklos und sehr bedeutend vorgekommen.

      Beineberg hatte mehr auf Reiting als auf Basini geachtet.

      Während der nächsten Tage schien die Angelegenheit beinahe vergessen zu sein. Reiting war außer im Unterrichte und beim Speisen kaum zu sehen, Beineberg war schweigsamer denn je, und Törleß schob es immer wieder hinaus, über die Geschichte nachzudenken.

      Basini bewegte sich unter den Kameraden, als wäre niemals etwas vorgefallen.

      Er war etwas größer als Törleß, jedoch sehr schwächlich gebaut, hatte weiche, träge Bewegungen und weibische Gesichtszüge. Sein Verstand war gering, im Fechten und Turnen war er einer der letzten, doch war ihm eine angenehme Art koketter Liebenswürdigkeit eigen.

      Zu Božena war er seinerzeit nur gekommen, um den Mann zu spielen. Eine wirkliche Begierde dürfte ihm bei seiner zurückgebliebenen Entwicklung durchaus noch fremd gewesen sein. Er empfand es vielmehr bloß als Nötigung, als Angemessenheit oder Verpflichtung, daß man den Duft galanter Erlebnisse an ihm nicht vermisse. Sein schönster Augenblick war der, wenn er von Božena wegging und es hinter sich hatte, denn es war ihm nur um den Besitz der Erinnerung zu tun.

      Mitunter log er auch aus Eitelkeit. So kam er nach jedem Urlaube mit Andenken an kleine Abenteuer zurück, – Bändern, Locken, schmalen Briefchen. Als er aber einmal ein Strumpfband in seinem Koffer mitgebracht hatte, ein liebes, kleines, duftendes, himmelblaues, und nachträglich sich herausstellte, daß es von niemand anderem als seiner eigenen zwölfjährigen Schwester war, wurde er wegen dieses lächerlichen Großtuns viel verlacht.

      Die moralische Minderwertigkeit, die sich an ihm herausstellte, und seine Dummheit wuchsen auf einem Stamm. Er vermochte keiner Eingebung Widerstand entgegenzusetzen und wurde von den Folgen stets überrascht. Er war darin wie jene Frauen mit niedlichen Löckchen über der Stirne, die ihrem Gatten in mahlzeitweisen Dosen Gift beibringen und sich dann voller Schrecken über die fremden, harten Worte des Staatsanwaltes wundern und über ihr Todesurteil.

      Törleß wich ihm aus. Dadurch verlor sich allmählich auch jenes tiefinnerliche Erschrecken, das ihn im ersten Augenblicke gleichsam unter den Wurzeln seiner Gedanken gepackt und erschüttert hatte. Es wurde wieder vernünftig um Törleß; das Befremden wich und wurde Tag um Tag unwirklicher, wie Spuren eines Traumes, die sich in der realen, festen, sonnenbeschienenen Welt nicht behaupten können.

      Um sich dieses Zustandes noch mehr zu versichern, teilte er alles in einem Briefe seinen Eltern mit. Nur das, was er selbst dabei empfunden hatte, verschwieg er.

      Er war nun wieder auf den Standpunkt gelangt, daß es doch am besten sei, bei nächster Gelegenheit Basinis Entfernung aus dem Institute durchzusetzen. Er vermochte sich gar nicht vorzustellen, daß seine Eltern anders darüber denken könnten. Er erwartete von ihnen eine strenge, angewiderte Beurteilung Basinis, eine Art, denselben mit den Fingerspitzen wegzuschnellen wie ein unsauberes Insekt, das man in der Nähe ihres Sohnes nicht dulden dürfe.

      Nichts von alledem stand in dem Briefe, den er als Antwort erhielt. Seine Eltern hatten sich rechtschaffene Mühe gegeben und wie vernünftige Leute alle Umstände erwogen, soweit sie sich eben nach den abgerissenen, lückenhaften Mitteilungen jenes hastigen Briefes eine Vorstellung davon machen konnten. Es folgte daraus, daß sie die nachsichtigste und zurückhaltendste Beurteilung bevorzugten, um so mehr als sie in der Darstellung ihres Sohnes möglicherweise mit mancher aus jugendlicher Empörung hervorgegangenen Übertreibung zu rechnen hatten. Sie billigten also den Entschluß, Basini Gelegenheit zur Besserung zu geben, und meinten, daß man nicht gleich wegen eines kleinen Fehltrittes ein Menschenschicksal aus seiner Bahn stoßen dürfe. Um so mehr – und das betonten sie wie billig ganz besonders – als man es hier noch nicht mit fertigen Menschen zu tun habe, sondern erst mit weichen, in der Entwicklung begriffenen Charakteren. Man müsse Basini gegenüber wohl für jeden Fall Ernst und Strenge herauskehren, stets aber auch ihm mit Wohlwollen entgegentreten und ihn zu bessern suchen.

      Dies erhärteten sie durch eine ganze Reihe von Beispielen, die Törleß wohlbekannt waren. Denn er erinnerte sich genau, daß viele in den ersten Jahrgängen, wo es die Direktion noch liebte, drakonische Sitten herauszukehren, und dem Taschengelde enge Grenzen zog, sich oft nicht enthalten konnten, Glücklichere von den gefräßigen Kleinen, die sie alle miteinander nun einmal waren, um einen Teil ihres Schinkenbrotes oder dergleichen zu betteln. Auch er selbst war nicht immer frei davon geblieben, wenn er auch seine Scham dahinter versteckte, daß er auf die boshafte, übelwollende Direktion schimpfte. Und nicht nur den Jahren, sondern auch den sowohl ernsten als gütigen Ermahnungen seiner Eltern dankte er es, daß er allmählich gelernt hatte, solche Schwächen mit Stolz zu vermeiden.

      Aber all das verfehlte heute seine Wirkung.

      Er mußte ja einsehen, daß seine Eltern in vieler Beziehung recht hatten, auch wußte er, daß es kaum möglich sei, so von fernher ganz richtig zu urteilen; ihrem Briefe schien jedoch etwas viel Wichtigeres zu fehlen.

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