Die Geschichten aus dem Wilden Westen: Abenteuerromane, Historische Romane & Erzählungen. Charles Sealsfield
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»Hat mein weißer Bruder keine Zunge?« nahm endlich der Indianer das Wort, »oder läßt er sie warten, um sie desto besser zu krümmen?«
Die letzten Worte waren in einem tiefen, höhnischen Kehlentone gesprochen.
»Er will anhören, was der Häuptling sagen wird«, erwiderte mürrisch-trocken der Amerikaner.
»Gehe und rufe dein Weib«, sprach der Indianer in demselben tiefen Baßtone.
Der Wirt erhob sich, wandte sich gegen das gewaltige Ehebett und sprach, nachdem er die Vorhänge auseinander getan, mit seiner Frau, die sich im Bette aufgerichtet und wie es schien, eher neugierig als ängstlich, der kommenden Dinge geharrt hatte. Nach einem kurzen Zweigespräch kam das Weib aus ihrem Hinterhalte. Sie war eine derbe Dame, breitschulterig und vollgewichtig, mit einem Zuge in ihrem eben nicht sehr zart geformten Gesichte, der deutlich aussprach, daß sie nicht leicht außer Fassung gebracht werden könne. Ihr Überrock von Linsey-Woolsey, für täglichen und nächtlichen Gebrauch bestimmt, hob ihre gewaltige Gestalt noch mehr heraus, als sie festen Schrittes und beinahe aufgebracht neben ihrem Ehemanne heranschritt. Die drohende Ruhe ihrer Besucher jedoch, ihre blutigen Köpfe und Wolldecken, nun erhellt durch die hochaufschlagende Flamme, erschienen so üble Vorbedeutungszeichen, daß das gute Weib sichtlich zusammenschrak. Ihre ersten Schritte, die rasch und zuversichtlich auf die Indianer gerichtet waren, begannen zu wanken, und mit einem unwillkürlichen Schauder drehte sie sich nach der Seite, wo ihr Mann wieder seinen Sitz genommen hatte. Eine Minute verging in düsterm Schweigen.
Der Indianer erhob nun sein Haupt, ohne jedoch aufzublicken, und sprach im strengen Tone: »Höre, Weib, was ein großer Krieger dir sagen wird, dessen Hände offen sind und der das Wigwam seines Bruders mit vielen Hirschhäuten füllen wird. Für dieses wird er bloß wenig von seiner Schwester verlangen, und dieses wenige mag sie leicht geben. Hat meine Schwester,« fragte der Indianer mit erhöhter Stimme, einen Blick auf das Weib richtend, »hat sie Milch für eine kleine Tochter?«
Das Weib sah den Indianer verwundert an.
»Will sie«, fuhr dieser fort, »ein weniges von ihrer Milch einer kleinen Tochter geben, die sonst wegen Mangels sterben würde?«
Die Züge des lauschenden Weibes heiterten sich in dem Maße auf, als es ihr klar zu werden anfing, daß der Indianer etwas von ihr wolle und es also in ihrer Gewalt stände, eine Gunst zu gewähren oder auch zu versagen. Sie dehnte sich von der Seite ihres Ehemanns dem Indianer zu und schien mit Sehnsucht nähere Aufschlüsse über eine so sonderbare Zumutung zu erwarten.
Der Indianer, ohne sie im mindesten eines Blickes zu würdigen, öffnete die weiten Falten seiner Wolldecke und zog ein wunderschönes Kind, in kostbare Pelze gehüllt, hervor.
Das Weib stand einige Augenblicke wie erstarrt über die liebliche Erscheinung; Verwunderung und Erstaunen schienen ihre Zunge gefesselt zu haben. Neugierde jedoch, dieses liebliche Wesen näher zu besehen und vielleicht Muttergefühl lösten nun auf einmal diese.
»Guter Gott!« rief sie, während sie beide Hände ausstreckte, das Kind zu empfangen. »Guter Gott! Was für ein lieblich, wunderlieblich kleines Ding und guter Eltern Kind muß es auch noch sein, Ihr könnt Euch drauf verlassen. Schwören wollte ich. Schaut nur einmal die Felle und die feinen Spitzen. Habt Ihr in Euerm Leben so etwas gesehen? Wo habt Ihr das Kind her? Armes, kleines Ding! Jawohl will ich's füttern. Es ist ja kein rotes Kind.«
Die Dame schien guter Lust zu sein, ihrer Verwunderung noch eine Weile freien Lauf zu lassen; ein bedeutsamer Wink ihres Mannes jedoch schloß ihr den Mund. Der Häuptling, ohne sie der geringsten Aufmerksamkeit zu würdigen, entfaltete das blaue Fuchspelzchen, streifte es dem Kinde ab und schickte sich an, es aus dem Überröckchen zu ziehen. Es war ihm nach einiger Mühe gelungen, dem Kinde auch dieses abzuziehen; allein ein drittes, viertes und fünftes erschien, in welche die Kleine gleich wie ein Seidenwurm in seine Kokons eingehüllt war. Der Indianer verlor mit einem Male die Geduld und sein Schlachtmesser ergreifend, schnitt er dem Kinde die drei noch übrigen Kleidchen vom Leibe, es dann nackt der Wirtin hinhaltend.
»Eingefleischter Satan!« kreischte das schaudernde Weib, indem sie das Kind mit Gewalt aus seinen Händen riß.
»Halt!« sprach der Indianer, kalt und unbeweglich auf den Hals des Kindes blickend, von dem ein goldnes Kettchen mit einer kleinen Medaille hing. Das Weib, ohne ein Wort zu sagen, streifte die Kette dem Kinde über das Köpfchen ab, warf sie dem Indianer ins Gesicht und eilte ihrem Bette zu.
»Der Teufel ist in dem Weibe«, brummte der Wirt, nicht wenig, wie es schien, über ihre Heftigkeit beunruhigt.
»Der rote Krieger«, sprach der Indianer in unerschütterlicher Ruhe, »wird mit Biberfellen die Milch seiner kleinen Tochter bezahlen; aber er will behalten, was er aufgelesen hat, und die Türe muß sich öffnen, wenn er um das Kind anruft.«
»Aber,« versetzte der Wirt, dem es nun auf einmal einzuleuchten schien, daß eine nähere Erklärung nicht überflüssig sein dürfte, »aufrichtig gesagt, ich gebe nicht viel darum und behalte das Kind, obwohl ich, Gott sei Dank, deren selbst erklecklich habe. Aber sollten nun die Eltern kommen, oder der weiße Vater von dem Kinde hören, was dann? Der rote Häuptling weiß, seine Hände reichen weit.«
Der Indianer hielt eine Weile inne und sprach dann in einem bedeutsamen Tone: »Des Kindes Mutter wird nie wieder kommen. – Die Nacht ist sehr dunkel. – Der Sturm braust sehr stark. – Morgen wird nichts von den Fußstapfen der roten Krieger zu sehen sein. – Es ist weit zu den Wigwams des weißen Vaters. – Hört er von dem Kinde, dann hat mein weißer Bruder ihm davon gesagt. – Nimmt er es, so wird der rote Häuptling die Kopfhäute der Kinder seines weißen Bruders nehmen.«
»Dann nimm dein Kind wieder zurück, ich will nichts damit zu tun haben«, sprach der Hinterwäldler im entschlossenen Tone.
Der Indianer zog sein blutiges Messer und warf einen erwartenden Blick dem Bette zu, hinter dessen Vorhängen das Kind verschwunden war.
»Wir werden dafür Sorge tragen, niemand soll etwas davon erfahren«; kreischte das erschrockene Weib.
Der Indianer steckte sein Schlachtmesser wieder ruhig in den Gürtel und sprach: »Die Kehlen der roten Männer sind trocken.«
Von dem Bette herüber ließ sich ein Gemurmel hören, das dem christlichen Wunsche nicht unähnlich klang, jeder Tropfen möge den Bluthunden zu Gift werden: der Wirt jedoch, weniger von der rachedürstenden Menschlichkeit seiner Ehehälfte beseelt, eilte ziemlich schnell dem Schenktische zu, um den Forderungen seiner Gäste Genüge zu leisten. Der Häuptling trank sein halbes Gillglas Whisky sitzend und auf einen Zug aus, dann ging es in der Runde herum. Nachdem die sechste Flasche geleert war, erhob ersterer sich plötzlich, warf ein spanisches Goldstück auf die Tafel, öffnete die Vorhänge des Bettes und hing dem Kinde eine Halskette von Korallen um, die er aus seinem Wampumgürtel gezogen hatte.
»Die Muscogees werden die Tochter eines ihrer Krieger erkennen«, sprach er, seinen Blick auf das Kind heftend, das nun ruhig am Busen der Wirtin in seinem neuen Flanellröckchen lag. Noch einen zweiten Blick warf er auf das Kind und das Weib, und dann wandte er sich stillschweigend der Türe zu und verschwand mit seinen Gefährten in der finstern Nacht.
»Der Windstoß ist