Der Wendekreis: Novellen. Jakob Wassermann

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Der Wendekreis: Novellen - Jakob Wassermann

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an. Nach geraumer Weile sagte er: »Sehr gütig von Ihnen.«

      Ich wehrte ab. »So möchte ich es nicht aufgefaßt haben,« sagte ich ungefähr; »ich wünschte, Sie sollen mir jetzt nicht mißtrauen. Dem Richter mißtraut man, unwillkürlich. Sie denken sich: Kommt er nicht als Beamter, um seine Akten vollzuschreiben, so kommt er doch als Neugieriger, um zu schnüffeln. Weder das eine, noch das andere ist meine Absicht. Die Akten sind so gut wie geschlossen; wir stehen vor der Verhandlung. Zur Neugier ist für mich wenig Anlaß; es ist mir ja alles bekannt, will mir scheinen. Warum ich gekommen bin, weiß ich selbst nicht genau. Ich mußte. Es war wie Pflicht.«

      Wieder antwortete Urbas lange nicht. Endlich sagte er: »Ich glaube

       Ihnen.«

      Ich griff das Wort auf. »Wenn Sie mir glauben,« erwiderte ich, »dann können wir uns ja über das Geschehene wie zwei gute Bekannte in Ruhe unterhalten.«

      Urbas dachte nach. Hierauf sagte er: »Wozu soll ich denn reden? Schlimm genug, daß es hat geschehen müssen.«

      »Das ist eben die Frage,« warf ich ein; »hat es geschehen müssen? müssen?«

      Er hob den Kopf, aber die Lider blieben gesenkt. »Daran zu zweifeln, wäre die pure Vermessenheit,« sagte er.

      »Es gibt nicht nur einen Zweifel,« beharrte ich, »sondern die menschliche Gesellschaft verwirft Ihre Tat und verabscheut sie. Wollte jeder in einem solchen Fall nach eigenem Gutdünken entscheiden, so wäre des Schreckens kein Ende, so lebten wir wie unter reißenden Bestien. Wie Sie sich vor sich selbst und Ihrem höchsten Richter verantworten werden, weiß ich nicht. Uns Menschen sind Sie die Verantwortung noch schuldig.«

      Urbas schüttelte den Kopf. »Was kann das Reden hinzutun oder wegtun?« murmelte er gleichgiltig.

      »Zwischen Ihnen und uns muß reiner Tisch werden,« sagte ich; »so lange

       Sie sich trotzig verschließen, bleibt alles ein wüster Graus.«

      »Wenn einer aber nicht die Worte hat?«

      »Hat er sie nicht oder verweigert er sie nur aus Hoffart und aus Trotz?« entgegnete ich; »prüfen Sie sich.«

      Er sagte: »Die Zunge ist schwer; ich bins nicht gewohnt.«

      Seine Stirn furchte sich. Ich sah, daß ich nicht weiter in ihn dringen durfte. Ich wartete. Endlich murrte es aus seiner Brust: »Ich hab ihn gemacht.« Sein Blick bohrte nach unten. »Wenn ich ihn gemacht habe, darf ich ihn dann nicht auch vertilgen?« fragte er mit einem seltsamen, listigbösen Ausdruck. »Das mögt Ihr Leute bestreiten, soviel Ihr wollt: den einer gemacht hat, den darf er auch wieder vertilgen, wenns nur zum Unheil war, daß er kam. Ich hab ihn mir geholt; herausgegraben aus seiner Mutter Schoß. Andere Weiber tragen die Frucht neun Monate. Von der kann man sagen, sie hat sie dreizehn Jahre getragen. Ich hab ihn von ihr verlangt; ich hab ihn vom Herrgott verlangt. Ich hab ihn mir zurechtgerichtet, bevor er noch da war. So und so, dacht ich, wirst du mir werden. Wie ein Stück Lehm, das einer aus dem Erdreich schneidet und bastelt daran und knetet es nach seinem Sinn. Auf einmal hat er nichts als eitel Dreck in der Hand. Da schmeißt ers wieder hin, von wo ers hergenommen hat.«

      Der listigböse Zug verstärkte sich. Er musterte mich durch einen Spalt zwischen den Lidern. »Daß es zum Unheil war, hat sich erst nach und nach erwiesen,« sagte ich.

      Er unterbrach mich mit einer herrischen Gebärde. »Von Anbeginn mißraten. Mißratenes Blut; ich hab es mit meiner Nase gerochen. Andere, von schlechterer Herkunft, wachsen auf, ohne daß man ihrer viel achtet und mißraten doch nicht. Biegen sie sich am Anfang krumm, so biegt sie die Zeit wieder grade. Bei ihm wurde das Krumme immer krummer. Da sah ich, es wird großes Leid entstehn. Und so wars. Jeder Tag ein Sandkorn davon, zuletzt ein Berg. Da bin ich gestanden und habe mich gefragt: was will das werden? Hat mans an einer Stelle fortgeschaufelt, wars an der andern doppelt so hoch; hat mans angegriffen, ists zwischen den Fingern zerronnen. Es war keine Hilfe.«

      »Aber können nicht auch schadhafte Keime durch eine sorgfältige Pflege zum Gedeihen geführt werden?« hielt ich ihm entgegen. »Haben Sie sein Gewissen zu wecken versucht? Haben Sie ihn in ernstliche Zucht genommen?«

      Urbas hob zum erstenmal die schweren Lider, und in seinen Augen war etwas Verstörtes. »Herr,« erwiderte er jäh, »das Element kann einer nicht bewältigen. Schaffts das Auge nicht, so schaffts auch das Maul nicht, hab ich mir gesagt. Schaffts das Beispiel nicht, so schaffts auch der Prügel nicht. In dem Punkt, den Sie meinen, hat die Bäuerin ihre Schuldigkeit getan. Eine Weibsperson versteht das besser. Wenn er nicht hat spüren können, daß meine Stimme auch dabei war, was war dann an ihm nutze? Wenn er nicht hat hören können, was ich ihn ohne mein Reden habe vernehmen lassen, wär auch des Propheten Wort nur leerer Schall für ihn gewesen. So hab ich mir gesagt. Ich bin vorangegangen, er hätte nachgehen können; ich bin ihm nachgegangen, er hätte sich umdrehn können. Er hat mich nicht gesehen, er hat mich nicht gehört. Mich widerts, daß ich einen Menschen soll packen und ihm ins Ohr schreien: Mensch, sei ordentlich. Was soll das frommen, wenns ihm nicht in der Art liegt? Verzieht einer seine Fratze zum Hohn, während andere beten, so ist er eine verlorene Kreatur. Zucht schlägt an, wo nicht an der Wurzel der Wurm schon nagt.«

      »Wußten Sie denn das ganz genau?« fragte ich, und wie ich vermute, nicht ohne Schüchternheit, denn seine Worte, seine Stimme hatten finstere Wucht, »waren Sie denn von Ihrer eigenen Unfehlbarkeit so fest überzeugt?«

      Er streckte den Arm über den Tisch und antwortete schweratmend: »Wenn mein Fleisch und Blut wider mich aufsteht, so kann ich nicht mit ihm rechten wie mit einem Händler, der mich betrügt. Wenn der Same, den ich ausgestreut, mir als Schlangenbrut entgegenzüngelt, so kann ich nicht wie ein Schulmeister mit dem Bakel dreinfahren. Das hat kein Verhältnis, das hat keine Menschenwürde. Wenn einer Böses wirkt und Aberböses, auf den man die Zukunft gebaut, unabänderlich Böses, bis Haus und Hof im Schlamm ersticken, was soll man da tun? Soll man ihm die Knochen anders renken, ein anderes Hirn und Herz einblasen?«

      Sein Gesicht, in seiner ganzen Mächtigkeit, bebte und flammte. Derselbe Mann, der sich so lange, ein Lebensalter vielleicht, der mitteilenden Rede enthalten, riß vor meinen Augen sein Inneres auf und hatte Worte, Bilder, Töne, die mich verstummen machten und fast mit Angst erfüllten. Doch ich hatte plötzlich den unabweisbaren Eindruck, daß er nur scheinbar mit mir redete, nur scheinbar sich an mich wendete; daß er in Wirklichkeit sich eines abwesenden Bedrängers zu erwehren suchte, der nicht erst seit heute ihm mit Fragen und Vorwürfen zusetzte. Mir wollte es scheinen, als wäre alles, was er gegen mich äußerte, schon als feuriggärender Stoff in ihm angesammelt gewesen und nun quölle es aus ihm heraus, schleudre sich hervor; er konnte es nicht hemmen, und während dies Gewaltige, gewaltig Unterdrückte redete, schien er selbst in Grimm und Qual und noch immer stumm zu lauschen.

      Übrigens klang seine Stimme ruhiger, als er mit eckigen Kinnladenbewegungen, den Kopf gesenkt, fortfuhr: »Es könnte wer fragen: wann hast du angefangen, alles zu wissen und wann hast du aufgehört, zu hoffen? So frage er den Aussätzigen: wann hat deine Haut zu schwären angefangen? Er hat es am ersten Tag gewußt, natürlicherweise, aber den Aussatz hat er erst geglaubt, wie es ihn ins Siechenbett gezwungen. Bin gelegen, Nacht für Nacht; hab gesonnen und gesonnen. Hab mich durchforscht, hab ihn durchforscht. Hab dies erwogen, hab jens erwogen. Hab zugesehen und zugesehen, wie der Aussatz um sich gefressen hat. Hab mir den Geist zermartert, wie das Übel zu fassen wäre. Zucht! Zucht kommt immer um den Schritt zu spät, den die Unzucht voraus hat. Das Rohr, mit dem ich seinen Rücken zerbläut, wär mir in der Faust zerbrochen, und die Narben auf dem Fleisch hätten ihn bloß verhärtet. Hätt’ ich ihm Regeln vorsagen sollen? Was für Regeln? welche sind erprobt? Hätt’ ich ihn an Ketten legen sollen wie einen Hund? Alles, was ich an ihm angepackt, war doch mein. Ich

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