In Nacht und Eis. Fridtjof Nansen
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Da befahl Fridtjof Nansen am 8. April 1895 den Rückzug.
Sie wähnten auf einer nördlichen Breite von 86°14’ zu sein, hatten tatsächlich nur 86°04’ erreicht – auch dies immerhin eine Höhe, auf der noch nie ein Mensch gewesen war – und kehrten jetzt um. Aufs Geratewohl Richtung Süden. In abstracto schnitten sie irgendwo die Linie, auf der die »Fram« derweil entlanggedriftet war, und verloren sich zeitlos und ortlos.
Das Zeugnis Fridtjof Nansens von der dritten Überwinterung in Nacht und Eis, vom neunmonatigen Dahinvegetieren in einem Erdstollen, von Eisbärattacken, von Stürzen ins Meer und der glücklichen Wiedervereinigung mit der Mannschaft der »Fram« – diese suspense story, der kein Vorwort je die Spannung rauben darf, besticht durch ihre Ehrlichkeit.
Man kann seither, nachdem er das verwegene Abenteurertum aufgegeben hatte und als Politiker im In- und Ausland hoch geschätzt und 1920 für seine Verdienste um die Opfer des Ersten Weltkriegs mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden war, davon lesen, dass der Realpolitiker Nansen im Grunde ein Fantast war. Wohl bedacht schließt sein Buch mit dem Satz: »Aber welchen Wert hätte das Leben ohne seine Träume?«
Damals hatte er sich ausgemalt, den Nordpol zu erreichen. Später – und über Nansens Tod am 13. Mai 1930 hinaus – blieb jene Fiktion ein Ausdruck seines Idealismus. Denn konnte man nicht ebenso gut eine Welt erdenken, in der den Verhungernden Nahrung und den Verfolgten Zuflucht gegeben würde?
Deswegen war es für unzählige Menschen eine segensreiche Fügung, dass Fridtjof Nansen am 17. Juni 1896 bei 79°55’ nördlicher Breite und 49°50’ östlicher Länge auf einen Mann stieß, der Englisch sprach und mit ihm, als ob da jemand zum Tee vorbeigekommen wäre, über Gott und die Welt plauderte, bis er plötzlich mit unnachahmlich-britischem Understatement die Frage stellte: »Aren’t you Nansen?«
Detlef Brennecke
Ihr, die das Schiff getauft und den Mut hatte zu warten
DIE ABREISE
So fahre ich gen Norden in das finstre Reich hinein, wo keine Sonne scheint. Dort ist kein Tag. Volkslied aus Telemarken
Es war am Johannistag 1893. Grau und traurig brach er herein; nun hieß es Abschied nehmen – unwiderruflichen Abschied. Die Tür schloss sich hinter mir. Zum letzten Mal ging ich vom Haus durch den Garten nach dem Strand hinab, wo an der Bucht das kleine Motorboot der »Fram« wartete. Hinter mir lag alles, was ich im Leben lieb hatte. Was lag vor mir? Und wie viele Jahre mochten vergehen, ehe ich alles das wiedersah? Oben im Fenster saß Liv, mein Töchterchen, und klatschte in die Händchen. Glückliches Kind, du ahnst noch nicht, wie wunderbar verwickelt und wechselvoll das Leben ist!
Wie ein Pfeil schoss das Boot durch die Bucht von Lysaker hinaus auf die Fahrt, deren Einsatz das Leben war, wenn nicht mehr.
Endlich ist alles fertig. Der Augenblick ist gekommen, auf den jahrelange, angestrengte Arbeit unaufhaltsam gerichtet war, mit ihm das Gefühl, dass alles so vorbereitet ist, dass sich das Gehirn endlich ausruhen darf.
Dampf schnaubend liegt die »Fram« in der Bucht von Piperviken und wartet auf das Signal, während die Barkasse, am Dyna-Leuchtfeuer vorüber, summend herankommt und anlegt.
Das Deck ist voller Menschen, die uns Lebewohl sagen wollen; jetzt müssen sie von Bord. Dann lichtet die »Fram« den Anker; schwer und tief geladen setzt sie sich langsam in Bewegung. Die Kais sind voller Menschen, die Hüte und Taschentücher schwenken. Schweigsam und still wendet die »Fram« den Bug nach dem Fjord und steuert behutsam und sicher an Bygdøy und Dyna vorbei in das Unbekannte hinaus, umschwärmt von Booten, Jachten und Dampfern.
Nun ein letzter Gruß dem heimatlichen Hause dort auf der Landzunge. Vorn der glänzende Fjord, Tannen- und Fichtenwald ringsum, lachendes Wiesenland und lang gezogene, waldbedeckte Gipfel dahinter. Durchs Fernrohr sehe ich eine weiße Gestalt auf der Bank unterm Fichtenbaum …
Das war der schwerste Augenblick der ganzen Fahrt.
Während der folgenden Tage kreuzten wir fortgesetzt nach Norden zwischen der Eiskante und dem Land. Das offene Wasser war anfangs breit, aber weiter nach Norden wurde es so schmal, dass wir manchmal die Küste sahen, wenn wir an der Eiskante wendeten.
In dieser Zeit kamen wir an vielen unbekannten Inseln und Inselgruppen vorüber. Hier hätte man Zeit haben müssen, eine Karte der Küste aufzunehmen. Unser Ziel aber war weiter gesteckt und unsere kartografische Arbeit beschränkte sich auf mehr zufällige Messungen, wie sie Nordenskiöld vor uns gemacht hatte.
Am 25. August vermerkte ich in meinem Tagebuch, dass wir am Nachmittag sieben Inseln (später Scott-Hansen-Inseln benannt) sichteten, hohe, felsige Inseln mit steilen Abhängen, sogar mit kleinen Gletschern und Schneefeldern. Die Felsen zeigten deutliche Spuren der Erosion durch Eis und Schnee.
Am Morgen des 26. August fuhren wir an einer Inselgruppe vorüber, und zwischen den Klippen sah ich zwei andere, die ich nach dem berühmten englischen Admiral und Präsidenten der Royal Geographical Society Clements-Markham-Inseln nannte. Dann Land oder Inseln weiter nach Norden, die Ringnes-Inseln, nach dem Mitglied des Expeditionskomitees so genannt; noch mehr waren in Nordosten zu sehen. Um 5 Uhr nachmittags wendeten wir vor zwei großen Inseln, zwischen denen wir Untiefen vermuteten. Die Inseln waren abgerundet wie die früheren, aber ziemlich hoch; ich nannte sie nach dem verdienten norwegischen Meteorologen Mohn-Inseln.
Ich glaube, dies zeigt genügend, von welcher Art diese Küste ist. Ihre Felseninseln kann man freilich nicht mit den norwegischen Schären vergleichen, sie sind aber schwerlich an anderen als gletscherbedeckten Küsten zu finden und sie bestärken mich in der Ansicht, dass auch an diesem Teil der Erde die Eiszeit geherrscht hat.
Nachdem wir eine Menge neuer Inseln und Holme passiert hatten, kamen wir am 29. August an der Taimyr-Insel entlang in offenes Fahrwasser und dampften bei stillem Wetter durch den Sund in nordöstlicher Richtung. Um 6 Uhr nachmittags sah ich von der Tonne aus vor uns festes Eis. Es hielt uns auf und erstreckte sich bis zu den Inseln draußen. Auf dem Eis lagen allerorten bärtige Seehunde (Phoca barbata) und außerdem ein Walross. Wir hielten auf die Eiskante zu, um zu vertäuen; aber die »Fram« hatte »Totwasser« (Dødvand) und wollte fast nicht vom Fleck, obwohl die Maschine mit voller Kraft arbeitete. Es ging so langsam, dass ich im Boot vorausruderte, um Seehunde zu schießen. Mittlerweile glitt die »Fram« nur langsam bis zur Eiskante.
Weiter kamen wir im Augenblick nicht. Freilich trennten uns nur ein paar Meilen festes Eis von dem wahrscheinlich offenen Taimyr-Meer, aber dieses Eis zu durchbrechen war unmöglich, es war zu stark und Öffnungen fanden sich nirgends.
Hier, wo Nordenskiöld auf seiner berühmten Fahrt am 18. August 1878 durchgekommen war, ohne die geringsten Hindernisse anzutreffen, hier sollten unsere Hoffnungen vielleicht schon scheitern, wenigstens für dieses Jahr? Dass das Eis jetzt noch schmolz, ehe der Winter hereinbrach, war undenkbar. Das Einzige, was uns retten konnte, war ein tüchtiger Südweststurm. Eine geringe Hoffnung setzte ich noch darauf, dass Nordenskiölds Taimyr-Sund weiter im Süden offen war und wir die »Fram« dort hindurchzwängten, obschon Nordenskiöld ausdrücklich bemerkt: »Der Sund war zu seicht, um ihn mit größeren Fahrzeugen zu passieren.«