Phantasien (Deutsche Ausgabe). Lafcadio Hearn
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Einstmals war ich eine Blume, schön und groß. Mein schneeiger Kelch war so reichen Duftes voll, daß die Insekten mit den Regenbogenflügeln, die sich auf mir niederließen, sich berauschten, und daß alle, die mich erblickten, an die Schönheit jener Weihrauchschalen dachten, die bei den Banketten der alten Cäsaren benutzt wurden.
Die Bienen sangen mir den ganzen leuchtenden Sommer lang ihr Lied, die Winde streichelten mich in den Stunden der Kühle, der Geist des Taus füllte bei Nacht meinen weißen Becher. Große Pflanzen, mit Blättern breiter als Elefantenohren, beschatteten mich wie mit einem Baldachin aus lebendem Smaragd. In der Ferne hörte ich den Fluß sein mystisches, ewiges Lied singen und Tausende von Vögeln zwitschern. Zur Nacht lugte ich durch meine seidigen Blütenblätter zu der unendlichen Prozession der Sterne hinauf, und bei Tage wandte ich mein Herz aus gelbem Golde für immer dem Auge der Sonne zu.
Kolibris mit prunkenden Brüsten, die von Sonnenaufgang herkamen, ließen sich bei mir nieder, tranken den duftigen Tau, der in meinem Kelche haftete, und sangen mir von den Wundern unbekannter Länder, von schwarzen Rosen, die nur in den Gärten der Zauberer wachsen, und von gespenstischen Lilien, deren Hauch Tod ist und die ihre Herzen nur tropischen Monden öffnen.
Man durchschnitt den smaragdenen Faden meines Lebens und steckte mich in ihr Haar. Ich fühlte nicht den langsamen Todesschmerz, wie die gefesselten Leuchtkäfer, die wie Sterne in der Nacht dieser herrlichen Flechten schimmerten. Ich fühlte, wie der Duft meines Lebens sich ihrem Blut vermischte und in die geheimen Kammern ihres Herzens eindrang; und ich trauerte, daß ich nur eine Blume war.
In jener Nacht schieden wir beide aus dem Leben. Ich weiß nicht, wie sie starb. Ich hatte gehofft, ihren ewigen Schlaf teilen zu dürfen, aber ein gespenstischer Wind, der zu den Fenstern hereindrang, riß meine toten Blätter auseinander und streute ihre weißen Reste auf das Kissen. Aber mein Geist blieb wie ein schwacher Duft noch in dem stillen Zimmer haften und umschwebte die Flammen der wächsernen Kerzen.
Andere Blumen, nicht von meiner Art, blühen über ihrer Ruhestätte. Ihr Blut lebt in den rosigen Kelchen dieser Blüten, ihr Atem schenkt den Blumen ihren Duft, ihr Leben durchpulst ihre Adern von durchsichtigem Grün. Aber in den Geisterstunden der Nacht hebt der barmherzige Geist des Taues, der um den Tod des Sommertages klagt, mich empor und vergönnt mir, mich mit den kristallenen Tränen zu vereinen, die auf ihr Grab fallen.
Seelenwanderung
Diese Theorien, die Sie wilde Träume nennen,« rief der Doktor und erhob sich, während sein Gesicht im Mondlicht vor Begeisterung glühte, »sind nur die mystischen Schleier, mit denen die ewige Isis ihr erhabenes Antlitz verhüllt. Eure tiefe germanische Philosophie ist oberflächlich! Euer moderner Pantheismus verschwommener als Rauch im Vergleich mit dem mächtigen Wissen des Ostens. Die Lehren der größten modernen Denker wurden in Indien erdacht, bevor der Name Roms in der Welt bekannt wurde; und unsere heutigen Forschungen bestätigen nur den allerältesten orientalischen Glauben, den wir in unserer Unwissenheit als Träume von Wahnsinnigen bezeichnet haben.«
»Gewiß, aber Sie können den Gedanken der Seelenwanderung auch wohl nicht anders charakterisieren?«
»Ach, Seele, Seele,« rief der Fremde und zog an seiner Zigarre, bis sie wie ein Karfunkel in der Nacht glühte, »wir haben nichts mit Seelen zu tun, sondern mit Tatsachen. Seelenwanderung ist nur das philosophische Symbol einer natürlichen Tatsache und erscheint nur denen grotesk, die sie nicht verstehen. Genau wie der abscheulichste indische Götze mit diamantenen Augen und diademgeschmücktem Schädel dem Brahminen eine verborgene Wahrheit darstellt, die dem Volke unverständlich ist. Ist man sich der Ewigkeit von Materie und Kraft bewußt, weiß man, daß die Substanz der kreisenden Welten gleich dem Ton in der Hand des Töpfers stets neue Myriaden wechselnder Formen angenommen hat und immer wieder annehmen wird, weiß man, daß die Form nur vorübergehend ist, und daß jedes Atom unseres lebendigen Körpers von Anbeginn an da war und ewig da sein wird, auch wenn die Berge schon längst in der Glut des Weltenbrandes wie Wachs zerschmolzen sind – dann ist es unmöglich, die Lehre von der Seelenwanderung als eine bloße Phantasie anzusehen. Jedes Teilchen unseres Leibes hat vor unserer Geburt in Millionen von Verwandlungen gelebt, die wundersamer sind, als je ein Dichter sie zu erträumen vermocht hat; die Lebenskraft, die in dem Herzen jedes einzelnen von uns pocht, hat in der ewigen Seelenwanderung des Universums immer und ewig gepocht. Jedes Atom unseres Blutes kreiste schon lange, bevor unsere Zivilisation begann, in den Adern von Millionen lebender Geschöpfe, die flogen, krochen oder in den Tiefen des Meeres weilten; und jedes Molekül, das in einem Sonnenstrahle tanzt, hat vielleicht im Erschauern menschlicher Leidenschaft gebebt. Der Boden unter meinen Füßen hat gelebt und geliebt, und die Natur, die in ihrem erhabenen Laboratorium den Ton in neue Daseinsformen knetet, wird ihn von neuem zu Leben, Hoffnung und Seufzern machen. Darf ich auch von den vergangenen Umwandlungen der Substanz der rosigsten Lippen sprechen, die Sie jemals geküßt, der glänzendsten Augen, die Ihren Blick jemals wiedergespiegelt haben? Wir haben unzählige Leben in der Vergangenheit gelebt, wir haben in den Blumen, den Vögeln, in den smaragdenen Tiefen des Ozeans gelebt, wir haben in dem Schweigen der trotzigen Felsen geschlafen und in den Wogen des brüllenden Meeres getanzt; wir waren Frauen, wir waren auch Männer, wir haben unser Geschlecht tausendmal verändert, gleich den Engeln des Talmud; und wir werden diese ewige Verwandlung fortsetzen, wenn die heutige Welt schon längst verschwunden ist und die Sterne sich in ihrem eigenen Feuer verzehrt haben. Kann jemand um diese Dinge wissen und dennoch über die Lehren des Ostens lachen?«
»Aber die Lehre von den Zyklen –«
»Hat viel Wahres. Wenn wir wissen, daß Kraft und Materie ewig sind, wissen wir auch, daß das Kaleidoskop wechselnder Gestalten ständig kreisen muß. Doch da die farbigen Partikelchen in einem Kaleidoskop nur in begrenzter Zahl vorhanden sind, so kann auch nur eine bestimmte Zahl von Kombinationen erzielt werden. Sind aber nicht auch die Elemente der ewigen Materie begrenzt? Wenn das jedoch der Fall ist, so müssen auch ihre Kombinationen begrenzt sein; und da die unendliche Kraft stets von neuem Formen schaffen muß, so muß sie ihr Werk wiederholen. Wir müssen also glauben, daß alles, was bereits geschehen ist, in aller Ewigkeit in ungeheuren Zwischenräumen wiederkehren wird. Es ist nicht das erste Mal, daß wir in der Nacht des sechsten September beisammensitzen, – wir haben das schon in anderen Septembern getan, die doch die gleichen waren, und in anderen New-Orleans, den gleichen und doch nicht den gleichen. Wir müssen es zentrillionenmal vorher getan haben und werden es in den Äonen der Zukunft abermals zentrillionenmal tun. Ich werde wiederkommen, wie ich heute bin, und doch anders; ich werde die gleiche Zigarre rauchen, und doch eine andere. Der gleiche Stuhl mit den gleichen Schrammen auf seiner polierten Lehne wird für Sie bereit stehen, und wir werden die gleiche Unterhaltung führen. Dieselbe freundliche Dame wird uns eine Flasche Wein von gleicher Qualität bringen, und dieselben Menschen werden in diesem alten Kreolenhause vereinigt sein. Bäume gleich diesen werden ihre Schatten auf die Fliesen werfen, und über uns werden wir wieder wie heute den goldenen Schwarm der Welten erblicken, die in den Tiefen der unendlichen Nacht funkeln. Es werden neue Sterne und ein neues Universum sein, und doch werden wir nur so, wie wir es in diesem Augenblick wissen, auch dann uns bewußt sein, daß wir vor Zentrillionen von Jahren gelitten, gehofft und geliebt haben müssen, wie wir es in diesen schweren Jahren tun. Gute Nacht, meine Freunde!«
Er schleuderte den Rest seiner Zigarre zwischen die Weinreben, wo sie in einem Schauer rosiger Fünkchen erlosch, und seine Schritte verklangen für immer. Nein, nicht für immer; denn wenn wir ihn auch in diesem Leben nicht mehr sehen sollten, werden wir ihn dann nicht in den Zyklen und Äonen wiedersehen? Und doch für immer! Denn auch wenn wir ihn in den Zyklen und Äonen wiedersehen, wird er nicht immer unter den gleichen Umständen und in dem gleichen