Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund

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Gesammelte Erzählungen von Klabund - Klabund

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ich in den Krieg zöge. Aber ich habe Plattfußanlage, Krampfadern, Herzerweiterung (mein Herz ist so weit, daß die Welt wie eine runzelige Nuß darin verschwindet), Lungendefekte und einen doppelseitigen Bruch.

      Mein Bruder erzählte

       Inhaltsverzeichnis

      Weißt du, daß von den Verwundeten, die aus der Front zurückkehren, keiner mehr singen will? Wir haben eine ganze Anzahl Leichtverwundeter, die schon wieder Garnisondienst tun, in der Kompagnie, aber wenn wir singen: ‘Drei Lilien’ oder ‘Heimat, o Heimat, ich muß dich verlassen…’, schweigen sie und haben große Augen. Die beiden Reber – du kennst sie doch? die Söhne vom Hauptlehrer Reber – stehen schon im Feld … in Galizien oder Polen … und haben fünf Tage nichts als rohe Rüben gegessen … Hans ist am 28. Oktober nach Belgien gekommen. Kaum auswaggoniert, mußten sie bei Dixmuiden zum Sturm vor. Dreimal in 36 Stunden. Dixmuiden brodelte wie der Hexenkessel in Goethes ‘Faust’… Hans ist verwundet … Bauchschuß… Er ist schon wieder zurück und liegt im Lazarett … Ich habe ihn gestern besucht … Sie lagen zu zwölfen im Zimmer, und einer saß auf dem Bettrand und spielte Harmonika. Es war ein Pole, und er spielte eine schwermütige Melodie. Einige lasen Zeitung und einem, dem der Kopf ganz verpackt war, flößte die Schwester durch eine Glasröhre warme Milch ein. Er lächelte dankbar … Hans’ Aussehen hat sich derartig verändert, daß ich ihn kaum wiedererkannte und betroffen anstarrte. »Guten Tag, Hans.« »Guten Tag, Jochen.« »Wie geht’s?« »Man so.« Sein Gesicht war blaßblau, gläsern, etwa wie das Weiße eines gekochten Kiebitzeis. Seine Augen brannten in einem fremden Feuer, und ein kleiner blonder Bart hing in Fransen um sein Gesicht … Ich habe einmal in Berlin einen bulgarischen Offizier gesehen, der die beiden Balkankriege mitgemacht hatte. Ich wußte nicht, weshalb er so tote weiße Augen machte. Jetzt weiß ich es … Hans sagte: »Ich habe viel erlebt.« Bei dem Wort »erlebt« stutzte er, dachte nach und meinte: »Man müßte eigentlich sagen: ersterben, statt erleben … Und ich war nur zwei Tage draußen.« Er drehte sich zur Wand. »Als wir mit fiebernden Händen die Bajonette aufpflanzten … wir waren zum erstenmal im Feuer … wir gingen gegen englische Kerntruppen wie die Teufel los … Aber niemand schrie hurra … Willst du mir das glauben? … Die Schrapnells platzten wie Mehlsäcke … die Granaten zischten, als strichen Millionen Geiger über das höchste Fis … die Maschinengewehre gackerten wie überlaute Hennen … und einer von uns schrie, schrie sein ganzes Herz hinaus: ‘Mutter!’ Und wie ein Echo rollte dieser Schrei unsere Reihen entlang … Mutter! … Mutter! … Mutter! … Unter diesem Kampfruf, immer wilder, immer heftiger hinausgestoßen, rannten wir gegen die feindlichen Stellungen… Und wir nahmen sie… Ich weiß nicht, wie lange ich so gelaufen bin … Jahre müssen vergangen sein … meine Beine stampften wie eine Maschine … Auf einmal bekam ich einen Schlag gegen den Bauch, brüllte noch: ‘Du verfluchter Hund’ und fiel um … Ich erwachte auf einer Tragbahre, sah ein rauchgeschwärztes Dorf, und einen belgischen Pfarrer in Soutane an einem Baum hängen … Dann schlief ich wieder ein … Und wieder nach vielen Jahren erwachte ich hier … Ich muß so alt geworden sein… Grüße Lilly von mir, sie möchte mich besuchen, wenn es ihre Eltern erlauben … Wie schade, daß wir uns nicht werden heiraten können, und daß ich kein Kind von ihr haben werde.« Dann drehte er sich wieder von der Wand weg, gab mir die Hand und sagte: »Adieu.« Ich schnallte mein Koppel um, der Pole spielte wieder auf seiner Mundharmonika, und ich ging so leise, wie ich’s mit meinen Kommißstiefeln fertig brachte. Hans ist nicht älter als ich. Siebzehn Jahre. Er wird sterben. Was er sagte, hat mich sehr nachdenklich gestimmt, besonders, daß er gern ein Kind haben möchte. Aber ich begreife es. O, wie sehr ich es begreife. Ich bin ja zum letztenmal auf Urlaub hier. Nächste Woche muß ich hinaus. Nach Ostpreußen. Oder nach Arras. Wie es der Zufall schickt. Dann grüße Ruth von mir und erzähle ihr das, was Hans mir von Lilly erzählt hat.

      Der Korporal

       Inhaltsverzeichnis

      Es war in der letzten Hälfte des August 1914, als man den Korporal Georges Bobin vom III. französischen Linienregiment gefangen einbrachte.

      Er sah wie aus dem Ei gepellt aus: schmuck, reinlich, rasiert, mit erdbeerroten Hosen und einem blauen Frack von tadellosem Schnitt.

      Er stellte sich dem Husarenoffizier, der ihn verhörte, verbindlich lächelnd vor: als Monsieur Georges Bobin vom III. französischen Linienregiment, gebürtig da und da her … natürlich aus dem Süden …, im Privatberuf Sprachlehrer. Er kenne die Deutschen. Oh là là. Er werde die Deutschen nicht kennen. Drei Jahre hintereinander war er vor Ausbruch des Krieges in Deutschland. Eine lange Zeit. Drei Jahre. Wenn man drei Jahre das Mittelländische Meer nicht sieht. Und Marseille, dieses romantische Drecknest, nicht riechen darf. Denn: es gibt Städte, die man sieht. Florenz zum Beispiel. Und Städte, die man hört. Berlin zum Beispiel. Und Städte, die man riecht. Marseille gehört zu den letzteren. Und da der Geruchs-mit dem Geschmackssinn Hand in Hand gehe, wenn das kühne Bild erlaubt sei, so esse man in Marseille so gut und billig wie nirgends in der Welt. Für ein paar Sous, für ein Nichts Austern und Fische in verwegener Zubereitung, gedünstet, gebraten, gebacken und gesoßt, wie sie sich der phantasievollste Gaumen des ausschweifendsten Feinschmeckers nicht vorzustellen vermag. In Deutschland, wo er an dem Realprogymnasium einer kleinen brandenburgischen Stadt zuletzt tätig gewesen sei, habe er immer Kohlrouladen und Königsberger Klops essen müssen. Nun: wie dem auch sei. Er habe sich daran gewöhnt. Er finde besonders das erstgenannte Gericht, abends zum Souper noch einmal aufgewärmt, recht appetitlich und schmackhaft. Auch der Landschaft, in der die kleine Stadt lag, könne er eine gewisse Anmut nicht absprechen. Ein wenig nüchtern. Ein wenig preußisch. Aber freundlich belebt von den Dampfern und Kähnen der schiffbaren Oder und sanft gemildert von den zärtlichsten Sonnenuntergängen. Und Weinberge stiegen am östlichen Ufer empor: mit rotem und gelbem Wein bepflanzt. Und wenn man den roten ein wenig mit Italiener verschnitte, so bekäme man den schönsten Bordeaux. Nun: er übertreibe. Gewiß. Aber ein guter Crossener ist besser als ein schlechter Bordeaux. Pardon: man wolle das alles wohl von ihm nicht wissen.

      Ja, was er für Gefechte mitgemacht habe? Eigentlich gar keine. Dies, in dem er gefangen genommen worden sei, sei sein erstes Gefecht. Er habe fünfzig Patronen verschossen, habe dann vorgehen müssen, seine Kompagnie sei in flankierendes Feuer geraten. Voilá.

      Übrigens: er habe zu viel gesagt. Oder vielmehr zu wenig. Er habe doch noch ein zweites Gefecht mitgemacht. Ein sehr merkwürdiges Gefecht. Vielleicht das merkwürdigste des ganzen Krieges.

      Das Regiment war auf dem Marsch. Man näherte sich der feindlichen Zone. Ein Dorf lag plötzlich vor ihnen. Ein unansehnliches und höchst gleichgültiges Dorf, wie ein längliches Brot in den Backofen einer engen Talmulde geschoben.

      War das Dorf vom Feind besetzt?

      Zwei Züge mit Patrouillen an den Spitzen wurden ausgeschickt, das Dorf zu sondieren. Der eine Zug unter dem Befehl des Korporals Georges Bobin kam von der linken, der andere von der rechten Höhe. Das Dorf sollte wie von einer Kneifzange gefaßt werden.

      Schleichend und äugend kam Korporal Bobin mit seiner Spitze bis dicht an das erste Haus. Er war vielleicht noch zwanzig Schritte entfernt, als plötzlich Schüsse ertönten.

      Pfff … flog ihm auch schon eine Kugel an der Nase vorbei.

      Sehr ungeinütlicher Zustand das. Aber weiter. In Deckung vor.

      Woher kamen die Schüsse? Er befragte seine Leute. Sie sagten übereinstimmend: aus dem Hause da vorne.

      Also mußte das Haus vom Feinde besetzt sein.

      Er

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