Predictive Analytic und die Haftung für fehlerhafte Ergebnisse gegenüber betroffenen Einzelpersonen. Susanne Mentel

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Predictive Analytic und die Haftung für fehlerhafte Ergebnisse gegenüber betroffenen Einzelpersonen - Susanne Mentel @kit-Schriftenreihe

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zu verhindern. Als mögliche Gegenmaßnahmen kommen das Angebot eines günstigeren Tarifs, bessere Vertragsbedingungen oder Zusatzangebote in Form von Prämien in Betracht. Eine fehlerhafte Kündigungsvorhersage bestünde darin, dass eine hohe Kündigungswahrscheinlichkeit vorausgesagt wird, der Kunde aber tatsächlich nicht kündigen will (sog. falsch negativ Ergebnis).205 In der Folge wird der Kunde trotzdem mit besonderen Angeboten gelockt. Der ins Leere zielende Versuch, einen Kunden zu binden, der gar nicht an einem Wechsel interessiert war, ist haftungsrechtlich nicht relevant, da die betreffende Person in diesem Fall keinen Schaden erleidet. Umgekehrt könnte ein kündigungsbereiter Kunde aber fälschlicherweise als treu und zufrieden eingestuft werden (sog. falsch positiv Ergebnis). Der Mobilfunkanbieter würde in diesem Fall seine Kundenbindungsinstrumente entgegen der mit der Predictive Analytic verfolgten Zielsetzung nicht einsetzen. In dieser Situation stellt sich die Frage, ob die Vorenthaltung von Vergünstigungen einen rechtlich ersatzfähigen Schaden darstellt, wenn sie auf einer fehlerhaften Einschätzung durch Predictive Analytic beruht. Mit der generellen Ersatzfähigkeit möglicher Nachteile bei fehlerhaften Predictive Analytic-Ergebnissen beschäftigt sich das an diesen Abschnitt anschließende Kapitel näher.

      Die Folgen eines Dynamic Pricing, wonach der Kunde je nach Ergebnis der Analyse bessere oder schlechtere Preise und/oder Konditionen angeboten bekommt, sind durchaus solche, bei denen die Annahme eines rechtlich relevanten Schadens von vorneherein denkbar ist. Im Falle günstigerer Preise entsteht dem fälschlicherweise als wenig zahlungsbereit eingeschätzten Betroffenen zwar kein Nachteil (sog. falsch negativ Ergebnis). Ein solcher ist jedoch gegenüber einem Kunden denkbar, bei dem in Folge der Predictive Analytic für das gleiche Produkt oder die gleiche Leistung ein höherer Preis ausgegeben wird, weil er als besonders zahlungsbereit eingestuft wird. Zwar ist die Festsetzung unterschiedlicher Preise für gleiche oder ähnliche Waren oder Dienstleistungen kein neues Phänomen, sondern seit jeher Teil des Marktes. Predictive Analytic ermöglichen durch die Auswertung großer Datenmengen jedoch eine Preisfestsetzung, die automatisch und ohne großen Aufwand erfolgt und das nahezu in Echtzeit. Eine solche Vorgehensweise ist nicht mit der Situation vergleichbar nach der bisher im Handel Preise festgesetzt wurden, so dass eine nähere Betrachtung der Haftungsmöglichkeiten durchaus seine Berechtigung hat. Der finanzielle Nachteil, der sich in der Mehrzahlung ausdrückt, wird deshalb nicht als marktimmanenter, hinzunehmender Umstand, sondern als negative Folge angesehen und im anschließenden Abschnitt bezüglich seiner möglichen Ersatzfähigkeit untersucht.

      Auch fehlerhafte Vorhersagen über das Verhalten von Arbeitnehmern oder Bewerbern können negative Auswirkungen haben, wenn diese in Wahrheit nicht dem tatsächlichen Verhalten des Betroffenen entsprechen. Mögliche Folge eines fehlerhaften Vorhersagewertes im Rahmen eines Auswahlverfahrens kann die Ablehnung des Bewerbers sein. Negative Einstufungen können darüber hinaus bei Vertragsverhandlungen zu niedrigeren Gehältern, geringeren Bonuszahlungen oder der Vorenthaltung sonstiger Vergünstigungen führen. Wird ein Arbeitnehmer fälschlicherweise als kündigungsbereit eingestuft, kann sich dies sowohl positiv als auch negativ auf ihn auswirken. Wird der betroffene Arbeitnehmer in der Folge nämlich besonders gefördert, indem er ein höheres Gehalt oder eine Beförderung angeboten bekommt, erwachsen ihm dadurch keine Nachteile. Besteht aufgrund eines negativen Ergebnisses arbeitgeberseitig aber kein Interesse mehr für eine Förderung des Mitarbeiters, weil dieser fälschlicherweise als kündigungsbereit und nicht mehr förderungswürdig eingestuft wurde, kann in der Vorenthaltung von begünstigenden Maßnahmen unter bestimmten Voraussetzungen ein rechtlich relevanter Schaden liegen. Neben Nachteilen finanzieller Natur, etwa im Rahmen ausbleibender Gehaltserhöhungen, sind auch solche immaterieller Natur denkbar, etwa wenn eine negative Verhaltensvorhersage dem Kollegium bekannt wird und das Ansehen des Mitarbeiters herabsetzt oder das Nichterreichen bestimmter Vorhersagewerte zu einer Stigmatisierung führt.

      Bei den Anwendungsgebieten zur Tarifierung und Risikoeinschätzung bei Versicherungen sowie bei der in unterschiedlichsten Unternehmen zum Einsatz kommenden Betrugsbekämpfung durch Predictive Analytic handelt es sich verallgemeinernd um eine Vorhersage von Schadensrisiken. Negative Folgen einer fehlerhaften Vorhersage können hier ebenfalls finanzieller Art sein, wie die Einstufung in eine höhere Risikoklasse zu höheren Beiträgen. Durch die gänzliche Verweigerung eines Versicherungsschutzes kann der Betroffene ebenso darauf angewiesen sein, sich zu teureren Konditionen einen Ersatzvertrag zu verschaffen. Gleiches gilt für den Fall, in dem ein Kredit oder eine Finanzierung aufgrund der fehlerhaften Vorhersage einer Zahlungsunfähigkeit verweigert wird. Ob die Verweigerung eines Vertragsschlusses aufgrund eines fehlerhaften Predictive Analytic-Ergebnisses einen Anspruch auf Abschluss des Vertrages zur Folge haben kann, wird an späterer Stelle näher untersucht.206 Eine fehlerhafte Zuordnung eines hohen Schadens- oder Betrugsrisikos kann, durch die negative Außenwirkung, neben finanziellen Folgen aber auch eine Beeinträchtigung immaterieller Interessen bedeuten.

      Besonders weitreichend können immaterielle Nachteile bei Vorhersagen sein, die das Verhalten eines Menschen in seiner Gesamtheit bewerten und das Nichterreichen eines bestimmten Wertes sein gesamtes Leben und seine Handlungsmöglichkeiten in der Gesellschaft beeinträchtigt. Ein solches Folgenszenario ist bei der geplanten Reform Chinas für die Einführung eines Social Credit Systems denkbar. Neben privaten Unternehmen sollen nach den bisher bekannten Plänen vor allem staatliche Einrichtungen bei negativen Werten Leistungen verweigern können. Dies kann den Einzelnen in sämtlichen Lebensbereichen stark in seiner Handlungsfreiheit einschränken und sogar bis zur Beseitigung seiner Bewegungsfreiheit außerhalb des Landes führen.207

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