Schlafes Bruder. Robert Schneider

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Schlafes Bruder - Robert Schneider Reclam Taschenbuch

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      Robert Schneider

      Schlafes Bruder

      Roman

      Mit einem Nachwort von Rainer Moritz

      Reclam

      1992, 2020 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung

      Coverabbildung: Albert Anker, um 1896

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2020

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-960535-7

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020567-9

       www.reclam.de

      Inhalt

        Pascales Herzschlagen

        Wer liebt, schläft nicht

        Das letzte Kapitel

        Die Ungeborenen

        Die Geburt

        Ein Vater seinen Kindern

        Das Wunder seines Hörens

        Die Gadenzeit

        Die Stimme, die Tiere und die Orgel

        Der Tag ist so freudenreich

        Der Winter 1815

        Elsbeth und der Frühling

        Das Weib im Mondschein

        Die Lichter der Hoffnung

        Gott fürchtet den Elias

        In der Fremde

        Das Orgelfest

        Kömm, o Tod, du Schlafes Bruder

        Die Auslöschung

        Frau Mutter, was meint Liebe?

        Nachwort

Pascales Herzschlagen

      Wer liebt, schläft nicht

      Das ist die Geschichte des Musikers Johannes Elias Alder, der zweiundzwanzigjährig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen.

      Denn er war in unsägliche und darum unglückliche Liebe zu seiner Cousine Elsbeth entbrannt und seit jener Zeit nicht länger willens, auch nur einen Augenblick lang zu ruhen, bis daß er das Geheimnis der Unmöglichkeit seines Liebens zugrunde geforscht hätte. Tapfer hielt er bis zu seinem unglaublichen Ende bei sich, daß die Zeit des Schlafs Verschwendung und folglich Sünde sei, ihm dereinst im Fegefeuer aufgerechnet werde, denn im Schlaf sei man tot, jedenfalls lebe man nicht wirklich. Nicht von ungefähr vergliche ein altes Wort Schlaf und Tod mit Brüdern. Wie, dachte er, könne ein Mann reinen Herzens behaupten, er liebe sein Weib ein Leben lang, tue dies aber nur des Tags und dann vielleicht nur über die Dauer eines Gedankens? Das könne nicht von Wahrheit zeugen, denn wer schlafe, liebe nicht.

      So dachte Johannes Elias Alder, und sein spektakulärer Tod war der letzte Tribut dieser Liebe. Die Welt dieses Menschen und den Lauf seines elenden Lebens wollen wir beschreiben.

      Das letzte Kapitel

      Als 1912 Cosmas Alder, der letzte Bewohner von Eschberg, einem Bergdorf im mittleren Vorarlberg, auf seinem verwahrlosten Hof verhungert war – nicht einmal die Alten im nahen Götzberg ahnten einen noch lebenden Menschen dort oben –, beschloß auch die Natur endgültig, jeden Gedanken an dieses Dorf auszulöschen. Es schien, als hätte sie fast respektvoll den erbärmlichen Tod ihres letzten Bezwingers abgewartet, um dann mit Wucht und für immer in die lichten Weiler zu fallen. Was ihr vor Jahrhunderten der Mensch weggenommen hatte, holte sie jetzt zurück. Den einstigen Dorfweg und die Pfade zu den Gehöften hatte sie längst mit stachligem Gestrüpp in Beschlag genommen, die Reste der verkohlten Ställe und Häuser verrottet, ihre Grundmauern bemoost. Nach dem Tod des störrischen Greisen fiel sie immer bunter und launiger in die steilen Bergbündten, wo ihr ehemals die Äxte jeden Jungbaum hartnäckig abgeschlagen.

      Und die Esche, ihr Lieblingsbaum, wuchs wieder in großer Zahl und stark.

      Nach dem Dritten Feuer innerhalb eines einzigen Jahrhunderts – sein nächtlicher Widerschein wurde noch vom Appenzellischen her lärmend bestaunt –, begriffen auch die Lamparter und Alder, die einzigen Geschlechter in Eschberg, daß Gott dort den Menschen nie gewollt hatte. In der Nacht des Dritten Feuers, am 5. September 1892, verbrannten in ihren Betten zwölf Menschen, in den Ställen achtundvierzig Stück Vieh. Den ganzen Tag hatte ein höllischer Föhnwind im Gebälk der Häuser gewühlt, hatte in den Wäldern rumort und geächzt, daß man im nachhinein behaupten durfte, da habe einer im festen Wissen um die kommende Katastrophe ein tausendstimmiges Gelächter angehoben. In der Nacht des Dritten Feuers wagte niemand in Eschberg, seinen Herd anzuzünden, nicht einmal die Kerze zum Gebet. Jeder wußte – das Kind aus den drohenden Erzählungen und den plötzlich gespenstischen Augen der Alten –, was ein offenes Licht zur Föhnzeit anzurichten imstande war. Ein Lamparter, der das Zweite Feuer erlebt, sich dunkel des Ersten besinnen mochte, ging noch in derselben Nacht von Hof zu Hof, einem jeden, wenn nötig mit Gewalt, das Licht zu verbieten. Er schlich hin und

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