Mami Bestseller 55 – Familienroman. Myra Myrenburg

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Mami Bestseller 55 – Familienroman - Myra Myrenburg Mami Bestseller

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      Die schemenhaften Erinnerungen aus ihrer frühen Kindheit hatten ihren Schrecken verloren.

      Auch das hatte Tante Nora erreicht. Aber die endlosen Korridore, die farblosen Wände, die ständig wechselnden Gesichter und Stimmen waren nie spurlos aus Wendis Leben verschwunden. Sie standen im Hintergrund ihres Herzens, nicht mehr bedrohlich, nicht mehr bedrückend, aber sie waren da.

      Das ewige Kinderweinen um sie herum, die Trostlosigkeit in den kleinen Gesichtern der anderen, die sie ihre eigene Trostlosigkeit ahnen ließ, all das war ihr unauslöschlich eingeprägt.

      »Laß nur«, pflegte Tante Nora zu sagen, »jeder Mensch hat ein Recht auf seine Erinnerungen, wie auch immer sie beschaffen sind. Und glaub mir, Wendi, jeder Mensch hat seine schmerzlichen Erinnerungen. Jeder, ob er es zugibt oder nicht.«

      »Weißt du noch, Lisette«, fragte Wendi träumerisch, »weißt du noch, als ich hierher kam?«

      »Ja, das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen. Obwohl du warst damals drei Jahre alt.«

      »Wie sah ich aus, Lisette?«

      Die alte Frau sah forschend in das junge Gesicht. Dann lächelte sie versonnen und sagte: »Wie heute, Wendi, genauso wie heute. Du hast dich überhaupt nicht verändert.«

      Wendi strich sich das lockige Haar aus der Stirn und versuchte ein strenges Gesicht zu machen.

      »Findest du, daß ich immer bloß ein Kind bleibe?« erkundigte sie sich bekümmert. »Hast du es so gemeint, Lisette? Das wäre ja schrecklich.«

      »Ach was!« wehrte die alte Frau ab und bückte sich nach ihrem Korb. »Der Ernst des Lebens kommt noch früh genug auf dich zu, Wendi. Sei froh, wenn du mit zweiundzwanzig nicht aussiehst wie dreißig. So was gibt’s auch. Komm, es ist gleich sieben. Abendessenszeit. Es gibt Thunfischsalat, dein Lieblingsessen.«

      »Hurra!« schrie Wendi und riß Lisette den Korb aus der Hand. »Hab’ ich einen Hunger!«

      *

      Im kleinen Speisezimmer saß Nora Lippit am Fenster und blickte in die Dunkelheit.

      »Nanu!« sagte Wendi verblüfft. »Hast du deine nachdenkliche Stunde?«

      »Das auch«, erwiderte Nora und strich sich geistesabwesend über das dunkle krause Haar, »vor allem aber habe ich Kopfschmerzen… Zum erstenmal seit – nun – seit sehr länger Zeit.«

      »Was hast du denn gemacht?« erkundigte sich Wendi teilnahmsvoll und vorwurfsvoll zugleich. »Ich habe dich der ganzen Nachmittag gesucht und nicht gefunden. Ich dachte, du wolltest heute mit dem Zirkusdirektor sprechen.«

      Nora Lippit stand auf, schloß das Fenster und zog die schweren Vorhänge zu.

      »Ja, das wollte ich. Hab’s mir dann aber anders überlegt, weil ich zuvor noch ein Wort mit diesem Pierre reden muß. Pierre… wie heißt er noch? Behalte diesen Namen einfach nicht. Ist ja auch egal. Ich denke, der Direktor wird einverstanden sein, wenn ich ihm Pierre für die nächsten Tourneen als Agenten vorschlage. Was sollte er dagegen haben? Ich bin eine alte Frau, und

      Pierre, wie immer er heißt, ist ein junger Mann.«

      Wendi starrte ihre Adoptivmutter so fassungslos an, daß ihre dunkelblauen Augen kreisrund wurden.

      »Seit wann…«, sie schluckte, »seit wann fühlst du dich bloß als alte Frau, Tante Nora? Das hast du doch noch nie gesagt. Ist irgend was passiert? Sind es diese dummen Kopfschmerzen, oder hast du irgend etwas – ich meine versiebt, verschlampt – ist etwas nicht richtig gelaufen?«

      Nora mußte lachen.

      »Wendi, Wendi, ist dir nie der Gedanke gekommen, daß man mit mehr als fünfzig Jahren langsam sein Geschält abbauen sollte, so man es sich leisten kann? Meinst du nicht, ich sollte mir zur Abwechslung mal ein ruhigeres Leben machen?«

      Wendi setzte sich auf ihren Stuhl am runden Tisch und starrte auf den Thunfischsalat.

      Dann begann sie mechanisch, die Weißbrotscheiben in den Toaster zu stecken.

      »Du und ruhiges Leben? Tante Nora, das ist ein Witz. Das kann nicht dein Ernst sein. Was stellst du dir denn unter einem ruhigen Leben vor? Keine Klienten mehr, keine Verhandlungen, keine Künstler mehr in deinem Salon, in deinem Büro, in deinem Leben? Keine Reisen mehr, keine Aufregungen, nichts mehr – das ist nicht dein Ernst!«

      Nora Lippit faltete ihre Serviette auseinander und blickte zerstreut auf die Tür.

      Dann wandte sie sich wieder Wendi zu, die immer noch mit verwirrtem Blick auf den Toast starrte.

      »Komm, komm, beruhige dich, mein Kleines. Es war nur ein Gedanke. Wenn du es mir so ausmalst, kann ich mir das Ganze auch nicht mehr so recht vorstellen. Aber einen Teil meiner Kunden abgeben, das werde ich auf jeden Fall. Dieser junge Mann hat den nötigen Elan, findest du nicht auch?«

      Wendi atmete erleichtert auf. Es mußten die Kopfschmerzen sein. Tante Nora war normalerweise eine Frau der Tat und nicht eine Frau der Resignation.

      Sie war unerschöpflich an Kraft, Begeisterung und Mut. Das konnte sich nicht von heute auf morgen ändern. Nicht, wenn sie gesund war.

      »Ach Gott ja«, lenkte Wendi ein und begann endlich zu essen, »Pierre ist nett. Mehr weiß ich eigentlich nicht von ihm. Wenn wir alle nach der Vorstellung noch ein bißchen bummeln gehen, ist er immer dabei. Ich könnte mir schon vorstellen, daß er gut mit den Leuten auskommen würde. Er hat den richtigen Ton, und er ist sehr anständig. Er würde sie nicht übers Ohr hauen, was ja auch wichtig ist. Nur hat er nicht deine Erfahrung und nicht deine Beziehungen, er kennt sich nicht aus in der Branche wie du.«

      »Wie ich«, sagte Nora Lippit und griff plötzlich munter zu, »keiner kennt sich in der Branche so aus wie ich. Aber wir müssen ja alle mal anfangen, nicht wahr? Er mit seiner Künstleragentur, du mit deinem Studium, ich mit etwas mehr Müßiggang.

      Ich werde ihn einführen, den jungen Mann, das kann ihm nicht schaden und mir auch nicht. Wirklich, Wendi, ich würde gern mal nach Acapulco oder San Francisco oder meinetwegen nur nach London fahren, ohne Terminkalender und ohne geschäftliche Besprechungen zwei Stunden nach meiner Ankunft.

      Stell dir das doch mal vor. Wir beide haben noch nie eine Reise gemacht, die nicht geschäftliche Gründe hatte.«

      »Wir beide?« echote Wendi skeptisch. »Was ist mit mir? Soll ich mich deinem Müßiggang anschließen, Tante Nora? Wenn ja, warum?«

      »Nun, bei deinen endlosen Semesterferien dürfte dir das doch nicht schwerfallen.«

      »Schon«, murmelte Wendi vorsichtig und stocherte in ihrem Thunfischsalat. »Wann willst du denn weg? Ich habe noch eine Klausur vor mir und dann…«

      »Seit wann bist du denn so eifrig, Kleines?« Es klang belustigt, und Wendi wurde so rot wie ihr Pulli.

      »Na, irgendwann muß ich ja mal ernsthaft anfangen«, und da sie einen ironischen Blick Tante Noras auffing, fuhr sie fast trotzig fort: »Mit dem Studium, meine ich.«

      »Das meine ich auch«, war Noras vieldeutige Antwort. »Ich hatte ohnehin nicht vor, dich aus deinem ernsthaften Streben zu reißen. Mir reicht’s, wenn wir in vier

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