Die Stille der Gletscher. Ulrike Schmitzer

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Die Stille der Gletscher - Ulrike Schmitzer

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und liegenlassen?«, frage ich.

      »Warum?« Er sieht mich an.

      »Weil sie dann nicht wissen, dass wir da waren«, sage ich.

      Er runzelt die Stirn, schlägt die Mappe auf und sagt: »Schnell! Schnell!«

      Ich fotografiere die Mappe Seite für Seite ab, dann legt sie der Professor wieder in den Kofferraum, und wir rennen talwärts. Als wir ein Auto hören, sind wir schon weit genug von der Straße entfernt, sodass sie uns nicht sehen können. Es ist ein schwarzer Toyota. Ich habe keine Ahnung, was ich da fotografiert habe. Ich habe vor lauter Aufregung gar nichts gesehen.

      Der Professor wetzt auf seinem Sessel herum. Er hat die Tür zu seinem Büro zugesperrt und lässt mich die Fotos von den Dokumenten auf seinen Computer hochladen.

      »Endlich«, sagt er.

      Dabei sind wir direkt vom Gletscher in sein Büro gefahren.

      »Ich hatte schon Angst, dass die Bilder weg sind.«

      Ich sehe ihn streng an. Ich fotografiere ja nicht erst seit gestern.

      Es sind Karten, Tabellen und Zahlenmaterial.

      Die Karten überfliegt der Professor als erstes. Er hebt seine Brille an und rückt ganz nahe an den Computerbildschirm. Er runzelt die Stirn. Ich kann auf die Schnelle in den Karten nichts erkennen. Ein Höhlensystem vielleicht, die roten Striche ziehen sich über den ganzen Gletscher.

      »Ein Wahnsinn!«, sagt der Professor. »Siehst du das? Die wollen ein unterirdisches Höhlensystem in den Berg treiben. Da, die Höhle liegt am höchsten, und diese da ist seit Jahrzehnten wegen Wassereinbruchs gesperrt. Die zwei anderen sind bei Höhlenforschern sehr beliebt. Die wollen das Höhlensystem verbinden.«

      »Aber wozu?«, frage ich.

      »Das wüsste ich auch gern«, sagt der Professor nachdenklich.

      »Und was sind das für Zahlen?«, frage ich.

      »Das muss ich mir in Ruhe ansehen«, sagt der Professor.

      Ich überlege, ob ich die Daten Erik schicken soll. Er könnte sicher etwas herauslesen. Andererseits hat er gerade jetzt so viel zu tun, er muss seinen Zwischenbericht abgeben, der darüber entscheidet, ob er seinen Forschungsaufenthalt in Island verlängern kann.

      »Du weißt ja gar nicht«, hat er das letzte Mal am Telefon gesagt, »wie konzentriert man hier arbeitet. Da muss ich Ergebnisse bringen. Mir läuft die Zeit davon«, hat er gesagt.

      Ich kann ihn jetzt nicht auch noch mit dieser Geschichte belasten. Ich werde warten.

      10

      Ich besuche den Gletscherarchäologen an der Universität. Ich möchte ihm die Fotos zeigen, die ich am Gletscher gemacht habe. Das ist aber nicht der eigentliche Grund. Ich habe das Gefühl, dass er mir etwas verschwiegen hat. Er ist mit den Fotos zufrieden und will sie für seine Website verwenden. Das habe ich befürchtet. Ich kann ihm das allerdings nicht gestatten, da die Fotos in einem Buch erscheinen sollen. Das war kein guter Einstieg. Ich versuche, sein Lieblingsthema anzusprechen.

      »Hat es denn auch schon mal eine weibliche Gletscherleiche gegeben?«, frage ich.

      Der Gletscherarchäologe wird blass.

      »Einmal«, sagt er, »in der Schweiz.«

      Er macht eine lange Pause, zündet sich einen Zigarillo an und pafft.

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