Die Blickfängerin. Eva Schörkhuber

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Die Blickfängerin - Eva Schörkhuber Textlicht

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zugebracht habe, die Blicke der einigen, einiger von ihnen, aufzufangen und festzuhalten, angelegt, erstellt habe, eines der schönsten Stücke daraus ist der Flüchtige Blick 18:28:17. Er ist eines Tages aufgeflogen aus einem Gesicht, das sich, in eine Zeitung vertieft, auf den Weg gemacht hat den Gang entlang, den kleinen, schmalen, er hat es so eilig gehabt, sich von diesem schlagzeilenverhangenen Gesicht abzusetzen, dass er sich beinahe verhaspelt, beinahe seinen Sprung, seinen Absprung versäumt hätte. Und doch hat er es geschafft, aufzufliegen, so schnell, so eilig, dass nicht im Entferntesten eine bestimmte Absicht auszumachen gewesen ist. Er, einer der flüchtigsten und daher wundervollsten Blicke, die ich aufgefangen habe, er hat mich tagelang beschäftigt. Tagelang habe ich nach guten Gründen gesucht, die ihn veranlasst haben könnten, derart unvermittelt, in derartiger Eile aus dem Zeitung lesenden Gesicht aufzufahren und mir zuzufliegen. Ein schwieriger, ein anspruchsvoller Fall. Nachdem ich mich mehrere Tage lang mit diesem oder jenem Beweggrund getragen, den einen nach dem anderen verworfen habe, habe ich beschlossen, mir die Ausgabe der Zeitung zu besorgen, in die das Gesicht, von dem mein Blick sich abgesetzt hat, vertieft gewesen ist. Vielleicht hat eine der Schlagzeilen meinem Blick als Sprungbrett, als guter Grund für seinen wundervollen Absprung gedient. Ein Leichtes, anhand des Bildschirm-Fotos den Namen der Zeitung festzustellen, eine Tageszeitung mittleren, für hiesige Verhältnisse allerdings größeren Formats. Auf der Titelseite dieses eigenartige Bild. Zelte und Bänke, die von Baggern weggeschaufelt werden. Ich lese, dass ein sogenanntes Protest-Camp geräumt wurde, dass sich einige protestierende Asylwerber in eine Kirche zurückgezogen haben, hungerstreikend. Ich folge dieser Geschichte ins Innere der Zeitung. Innenpolitik. Mit einem Protestmarsch habe das angefangen, einem Protestmarsch von einem Sammel-, einem Auffanglager für Flüchtlinge in die Innenstadt. Dann die Zeltstadt, das Camp in dem Park zwischen Universität und Kirche. Um in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, um eine, um die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Auf. Auf die geltende, die herrschende Gesetzeslage. Auf die Ungerechtigkeit dieser Gesetzeslage. Das Camp, die Zeltstadt schließlich geräumt. Von der Polizei. An die vierzig Asylwerber nun in der Kirche. Im Hungerstreik. An die vierzig Asylwerber, aus Pakistan, aus Afghanistan, aus dem Maghreb, in Klammer Tunesien, Algerien. An dieser Stelle macht mein Herz einen kleinen Sprung, so klein, dass ich erst beim nächsten Atemzug merke, dass sich etwas in mir geregt, dass etwas in mir in Bewegung geraten ist. Einen Augenblick lang erinnere ich mich. Und schließe sofort wieder die Augen. Es ist nicht der Zeitpunkt, daran zu denken, zurückzudenken, diesem nach zu denken. Ich habe Wichtigeres zu tun, ich habe einen Fall zu lösen, den Beweggründen nachzugehen, die meinen Flüchtigen Blick Nummer 18:28:17 veranlasst haben, sich von dem schlagzeilenverhangenen Gesicht zu lösen, aufzufliegen. Ich bin mir nun ziemlich sicher, dass sich das Gesicht in eben diesen Artikel über die geräumte Zeltstadt und den Einzug in die Kirche vertieft hat, dass mein schönster Flüchtiger Blick aus diesen Zeilen aufgefahren ist zu mir. Am Ende des Artikels finde ich den Satz über die geplante Kundgebung, die sogenannte Solidaritätskundgebung, und ich stelle mir vor, dass gerade diese Ankündigung meinem Blick als Sprungbrett für sein Manöver gedient haben wird.

      Selbstverständlich habe ich dem Beweggrund meines Flüchtigen Blickes 18:28:17 nachgehen wollen, aber so weit war ich bis dahin noch nie gegangen bei meinen Nachforschungen. So weit, das heißt aus meiner dunklen Koje hinaus, über die Straße, über die Brücke, die andere Seite des Kanals entlang, auf der Fußgängerseite die Allee hinauf zur Kirche, zur Kundgebung. Während des langen Tages, an dem ich kaum Blicke aufgefangen habe, vielleicht zwei, drei Blicke von ihnen, die sich auf den Weg gemacht haben den Gang entlang, den kleinen, schmalen, die ihrer Wege gegangen sind über den grauen Linolboden, der immer etwas nach Spülmittel riecht, während dieses langen Tages habe ich mich vorbereitet auf meinen Ausflug zur Kirche. Die eine Hälfte des Tages, die frühen Morgen- und Vormittagsstunden, habe ich damit verbracht, mir zu überlegen, welche Ausrüstung ich für dieses Vorhaben benötigen werde. In der zweiten Hälfte des Tages, der Mittagszeit und den Nachmittagsstunden, habe ich mich ausgerüstet, also mit den Dingen versehen, die meinen morgendlichen und vormittäglichen Überlegungen zufolge unabdingbar sind für dieses Unternehmen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich mich vor allem auf die Menschen, mit denen ich zu rechnen habe, vorbereiten muss. Bei einer Kundgebung ist mit einer größeren Anzahl von Menschen zu rechnen, Menschen, die sich versammeln, Menschen, die herumstehen, die schreien, die vielleicht sogar schieben, rempeln, handgreiflich werden. Und diese Menschenmenge hat ein Vorbereiten benötigt, ein Vorsehen, um in ihr, in dieser kundgebenden Menschenmenge nicht unterzugehen. Und nach reiflicher Überlegung ist mir nichts geeigneter erschienen als Schwimmflügel. Sie würden mich vor dem Untergehen einerseits, vor der mich stets zermürbenden Schwerkraft andererseits bewahren. Die Schwimmflügel habe ich in dem Spielzeuggeschäft nebenan besorgt, in der kurzen Mittagspause, die mir zusteht, auch auf die Gefahr hin, dass sich gerade zu dieser Zeit ein verdächtiges Subjekt über den Gang, den kleinen, schmalen, stiehlt. Die orangen Schwimmflügel mit dem dunkelblauen Ventil, die bis zu einem Körpergewicht von 40 Kilogramm tragen, diese habe ich besorgt und in meiner Tasche verstaut. Und meine Fotokamera, die habe ich nach einigem Zögern auch noch eingesteckt. Mein Blick-Archiv … vielleicht ist es an der Zeit, es um neue Ansichten zu erweitern. Außerdem, so habe ich mir gesagt, könnte es sein, dass einige der auf dieser Kundgebung aufgelesenen Blicke meinem Flüchtigen Blick 18:28:17 ähneln und sich also sein Beweggrund empirisch – ich habe tatsächlich gedacht: empirisch – beweisen lässt. Am späten Nachmittag habe ich meine Koje verlassen, ausgerüstet mit den Schwimmflügeln und dem Fotoapparat habe ich mich auf den Weg gemacht, über die Straße, über die Brücke, die andere Seite des Kanals entlang bis zur großen Backsteinkaserne und dann die Allee hinauf zur Kirche. Kurz bevor ich den Sammelplatz erreicht, die kundgebende Menschenmenge zu Gesicht bekommen habe, habe ich meine Schwimmflügel angelegt. Zur Sicherheit. Um nicht unterzugehen. Ich habe sie mir um die Oberarme gelegt, über den Jackenstoff, und habe sie aufgeblasen. So bin ich in den Park gegangen, schwimmbeflügelt und mit dem Stoffsegel am Kopf. Mit den orangen Schwimmflügeln bin ich außerordentlich aufgefallen, den kundgebenden Menschen geradezu ins Auge gesprungen. Woran ich nicht gedacht habe. Woran ich aber hätte denken müssen. Mir sind die Blicke nur so zugeflogen, und ich, durch keinen Bildschirm geschützt, habe meine Kamera gezückt, mich hinter das Sucherglas zurückgezogen. Unter den Blicken, die ich an diesem Spätnachmittag aufgefangen und festgehalten habe, auf dem Weg in und durch den Park, unter ihnen befindet sich kein einziger flüchtiger Blick. Für sie alle habe ich neue Kategorien anlegen müssen in meinem Blick-Archiv, aufmerksam-neugierig, freundlich-interessiert, erstaunt-interessiert-dann-ideenzündend und so weiter. Kein einziger Blick hat Ähnlichkeit mit meinem Flüchtigen Blick 18:28:17, einen empirischen Beweis für einen, vielleicht sogar den Beweggrund meines schönsten Flüchtigen Blicks habe ich also nicht finden können. Aus der kundgebenden Menschenmenge hat sich plötzlich ein Mensch gelöst, ist an mich herangetreten, und ich, erschrocken über diesen Blick, der sich an mich geheftet, sich mir aber nicht übergestülpt hat wie ein Schneckenmaul, ich habe mich sofort hinter den Sucher meiner Fotokamera zurückgezogen, den Blick durch die Linse im Auge behaltend. Dieser Blick, der mich getroffen hat, ist schließlich mit Worten unterlegt worden, ein Blick mit Tonspur sozusagen. Eine großartige Idee sei das, das mit den Schwimmflügeln, so einfach und eindrücklich auf den Punkt gebracht, worum es hier, worum es uns hier ginge. Die vielen, vielen Menschen, die den gefährlichen Weg übers Mittelmeer nach Europa zurücklegen, an der Festung Europa abprallen und untergehen, sowohl physisch, also im buchstäblichen Sinn, als auch metaphysisch, also im übertragenen Sinn, die Schwerfälligkeit, die Trägheit der furchtbaren Asylgesetzgebung, die die Menschen stranden lasse, am Boden bestehender menschenverachtender Verhältnisse festhalte. Ich muss gestehen, ich habe so gut wie gar nichts verstanden von dem, was mir dieser Mensch mit dem auf mich konzentrierten, mich aber nicht verschlingenden Blick offenbar hat sagen wollen. Kaum ein Wort. Nur, dass ihm die Schwimmflügel gefallen, dass sie ihm irgendetwas bedeutet haben. Vertieft in diese Betrachtungen habe ich mich von der Kundgebung entfernt, meine Schwimmflügel abgenommen und die Luft ausgelassen.

      In der darauffolgenden Woche habe ich mich viel mit den Blicken der kundgebenden Menschen beschäftigt, so sehr, dass ich es verabsäumt habe, den einen oder anderen Blick aufzufangen von den einigen, von einigen von ihnen, die sich auf den Weg machen den Gang entlang, den kleinen, schmalen, die ihrer Wege gehen über den grauen Linolboden, der immer etwas nach Spülmittel riecht. Ich bereue es nicht, den einen

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