Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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die herbeifliegen. Für den Richter war Moosbrugger ein besonderer Fall; für sich war er eine Welt, und es ist sehr schwer, etwas Überzeugendes über eine Welt zu sagen. Es waren zwei Taktiken, die miteinander kämpften, zwei Einheiten und Folgerichtigkeiten; aber Moosbrugger hatte den ungünstigeren Stand, denn seine seltsamen Schattengründe hätte auch ein Klügerer nicht ausdrücken können. Sie kamen unmittelbar aus dem verwirrt Einsamen seines Lebens, und während alle anderen Leben hundertfach bestehen – in der gleichen Weise gesehn von denen, die sie führen, wie von allen anderen, die sie bestätigen – war sein wahres Leben nur für ihn vorhanden. Es war ein Hauch, der sich immerfort deformiert und die Gestalt wechselt. Freilich hätte er seine Richter fragen können, ob ihr Leben denn im Wesen anders sei? Aber so etwas dachte er gar nicht. Vor der Justiz lag alles, was nacheinander so natürlich gewesen war, sinnlos nebeneinander in ihm, und er bemühte sich mit den größten Anstrengungen, einen Sinn hineinzubringen, der der Würde seiner vornehmen Gegner in nichts nachstehen sollte. Der Richter wirkte beinahe gütig in seinem Bemühen, ihn dabei zu unterstützen und ihm Begriffe zur Verfügung zu stellen, selbst wenn es solche waren, die Moosbrugger den fürchterlichsten Folgen auslieferten.

      Es war wie der Kampf eines Schattens mit der Wand, und zum Schluß flackerte Moosbruggers Schatten nur noch gräßlich. Bei dieser letzten Verhandlung war Ulrich dabei. Als der Vorsitzende das Gutachten vorlas, das ihn als verantwortlich erklärte, erhob sich Moosbrugger und tat dem Gerichtshof kund: »Ich bin damit zufrieden und habe meinen Zweck erreicht.« Spöttischer Unglaube in den Augen rings umher antwortete ihm, und er fügte zornig hinzu: »Dadurch, daß ich die Anklage erzwungen habe, bin ich mit dem Beweisverfahren zufrieden!« Der Vorsitzende, der jetzt ganz Strenge und Strafe geworden war, verwies es ihm mit der Bemerkung, daß es dem Gerichtshof nicht auf seine Zufriedenheit ankomme. Dann las er ihm das Todesurteil vor, genau so, als ob der Unsinn, den Moosbrugger zum Vergnügen aller Anwesenden während der ganzen Verhandlung gesprochen hatte, nun auch einmal ernst beantwortet werden müßte. Da sagte Moosbrugger nichts, damit es nicht wie ein Schreck aussehe. Dann wurde die Verhandlung geschlossen, und alles war vorbei. Da aber wankte doch sein Geist; er wich zurück, ohnmächtig gegen den Hochmut der Verständnislosen; er drehte sich um, den schon die Justizsoldaten hinausführten, kämpfte um Worte, reckte die Hände empor und rief mit einer Stimme, welche die Stöße seiner Wächter abschüttelte: »Ich bin damit zufrieden, wenn ich Ihnen auch gestehen muß, daß Sie einen Irrsinnigen verurteilt haben!«

      Das war eine Inkonsequenz; aber Ulrich saß atemlos. Das war deutlich Irrsinn, und ebenso deutlich bloß ein verzerrter Zusammenhang unsrer eignen Elemente des Seins. Zerstückt und durchdunkelt war es; aber Ulrich fiel irgendwie ein: wenn die Menschheit als Ganzes träumen könnte, müßte Moosbrugger entstehn. Er ernüchterte sich erst, als der »elende Hanswurst von Verteidiger«, wie ihn Moosbruggers Undank einmal im Lauf der Verhandlung genannt hatte, wegen irgendwelcher Einzelheiten die Nichtigkeitsbeschwerde anmeldete, während ihrer beider riesiger Klient abgeführt wurde.

      19

      Briefliche Ermahnung und Gelegenheit, Eigenschaften zu erwerben Konkurrenz zweier Thronbesteigungen

      In solcher Weise verging die Zeit, da empfing Ulrich einen Brief seines Vaters. »Mein lieber Sohn! Es sind nunmehr wieder Monate verflossen, ohne daß Deinen spärlichen Nachrichten zu entnehmen gewesen wäre, daß Du auf Deiner Laufbahn den geringsten Schritt vorwärts getan oder einen solchen vorbereitet hättest.

      Ich will freudig anerkennen, daß mir im Laufe der letzten Jahre von mehreren geschätzten Seiten die Genugtuung zuteil geworden ist, Deine Leistungen loben und auf Grund ihrer Dir eine aussichtsreiche Zukunft zusprechen zu hören. Aber einerseits Dein, allerdings nicht von mir, ererbter Hang, zwar, wenn Dich eine Aufgabe lockt, die ersten Schritte stürmisch zurückzulegen, dann aber gleichsam ganz zu vergessen, was Du Dir und denen schuldest, die ihre Hoffnungen auf Dich gesetzt haben, andrerseits der Umstand, daß ich Deinen Nachrichten auch nicht das geringste Zeichen zu entnehmen vermag, das auf einen Plan für Dein weiteres Verhalten schließen ließe, erfüllen mich mit schwerer Sorge.

      Nicht nur bist Du in einem Alter, wo andere Männer sich schon eine feste Stellung im Leben geschaffen haben, sondern ich kann jederzeit sterben, und das Vermögen, das ich Dir und Deiner Schwester zu gleichen Teilen hinterlassen werde, wird zwar nicht gering sein, unter heutigen Verhältnissen aber doch nicht so groß, daß sein Besitz allein Dir eine gesellschaftliche Position sichern könnte, die Du Dir also vielmehr selbst endlich schaffen mußt. Der Gedanke, daß Du seit Deinem Doktorat nur ganz ungefähr von Plänen sprichst, die sich auf verschiedensten Gebieten bewegen sollen und die Du in Deiner gewohnten Art vielleicht stark überschätzt, nie aber von einer Befriedigung schreibst, die Dir ein Lehrauftrag gewähren würde, noch von einer Fühlungnahme wegen solcher Pläne mit irgendeiner Universität, noch sonst von Fühlung mit maßgebenden Kreisen, das ist es, was mich zuweilen mit schwerer Sorge erfüllt. Ich kann gewiß nicht in den Verdacht kommen, daß ich die wissenschaftliche Selbständigkeit herabsetzen will, der ich vor siebenundvierzig Jahren in meinem Dir bekannten, jetzt in 12. Auflage erscheinenden Werk ›Die Zurechnungslehre des Samuel Pufendorf und die moderne Jurisprudenz‹, die wahren Zusammenhänge ans Licht setzend, als erster mit den diesbezüglichen Vorurteilen der älteren Strafrechtsschule gebrochen habe, allein ebensowenig vermag ich nach den Erfahrungen eines arbeitsreichen Lebens anzuerkennen, daß man sich nur auf sich selbst stelle und die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Beziehungen vernachlässige, welche der Arbeit des Einzelnen erst den Rückhalt leihen, durch welchen sie in einen fruchtbaren und förderlichen Zusammenhang gerät.

      Ich hoffe deshalb zuversichtlich, baldigst von Dir zu hören und die Aufwendungen, welche ich für Dein Vorwärtskommen gemacht habe, dadurch belohnt zu finden, daß Du solche Beziehungen nun nach Deiner Rückkehr in die Heimat anknüpfest und nicht länger vernachlässigst. Ich habe auch in diesem Sinne an meinen langjährigen wahren Freund und Schützer, den ehemaligen Präsidenten der Rechnungskammer und jetzigen Vorsitzenden der Allerhöchsten Familiengerichtspartikularität beim Hofmarschallamt, Exzellenz Grafen Stallburg, geschrieben und ihn gebeten, Deine Bitte, die Du ihm demnächst vortragen wirst, wohlwollend entgegenzunehmen. Mein hochgestellter Freund hatte auch bereits die Güte, mir umgehend zu antworten, und Du hast das Glück, daß er Dich nicht nur empfangen wird, sondern Deinem, ihm von mir geschilderten Werdegang warmes Interesse entgegenbringt. Hiemit ist, soweit es in meiner Kraft und in meinem Ermessen steht und vorausgesetzt, daß Du es verstehst, Seine Exzellenz für Dich einzunehmen und gleichzeitig die Anschauungen der maßgebenden akademischen Kreise über Dich zu befestigen, Deine Zukunft gesichert.

      Was die Bitte betrifft, die Du gewiß gerne Seiner Exzellenz vortragen wirst, sobald Du weißt, worum es sich handelt, so ist ihr Gegenstand der folgende:

      In Deutschland soll im Jahre 1918, u. zw. in den Tagen um den 15. VI. herum, eine große, der Welt die Größe und Macht Deutschlands ins Gedächtnis prägende Feier des dann eingetretenen 30jährigen Regierungsjubiläums Kaiser Wilhelms II. stattfinden; obwohl es bis dahin noch mehrere Jahre sind, weiß man doch aus verläßlicher Quelle, daß heute schon Vorbereitungen dazu getroffen werden, wenn auch selbstverständlich vorläufig ganz inoffiziell. Nun weißt Du wohl auch, daß in dem gleichen Jahre unser verehrungswürdiger Kaiser das 70jährige Jubiläum Seiner Thronbesteigung feiert und daß dieses Datum auf den 2. Dezember fällt. Bei der Bescheidenheit, die wir Österreicher allzusehr in allen Fragen haben, die unser eigenes Vaterland betreffen, steht zu befürchten, daß wir, ich muß schon sagen, wieder einmal ein Königgrätz erleben, das heißt, daß uns die Deutschen mit ihrer auf Effekt geschulten Methodik zuvorkommen werden, so wie sie damals das Zündnadelgewehr eingeführt hatten, bevor wir an eine Überraschung dachten.

      Glücklicherweise wurde meine Befürchtung, die ich eben äußerte, von anderen patriotischen Persönlichkeiten mit guten Beziehungen schon vorweggenommen, und ich kann Dir verraten, daß in Wien eine Aktion im Gange ist, um das Eintreffen dieser Befürchtung zu verhindern und das volle Gewicht eines 70jährigen, segens- und sorgenreichen Jubiläums gegenüber einem bloß 30jährigen zur Geltung zu bringen. Da der 2.

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