Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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wurde. Wahrscheinlich hätte er damals, nach den Gründen dieser Berufswahl gefragt, schon nicht mehr geantwortet: um Tyrann zu werden; aber solche Wünsche sind Jesuiten; Napoleons Genie hatte sich erst zu entwickeln begonnen, nachdem er General geworden war, und wie hätte Ulrich als Fähnrich seinen Oberst von der Notwendigkeit dieser Bedingung überzeugen sollen?! Schon beim Eskadronsexerzieren zeigte es sich nicht selten, daß der Oberst anderer Meinung war als er. Trotzdem würde Ulrich den Exerzierplatz, auf dessen friedlicher Flur Anmaßung von Berufung nicht zu unterscheiden ist, nicht verflucht haben, wäre er nicht so ehrgeizig gewesen. Auf pazifistische Redensarten wie »Volkserziehung in Waffen« legte er damals nicht den geringsten Wert, sondern ließ sich von einer leidenschaftlichen Erinnerung an heroische Zustände des Herrentums, der Gewalt und des Stolzes erfüllen. Er ritt Rennen, duellierte sich und unterschied nur drei Arten von Menschen: Offiziere, Frauen und Zivilisten; letztere eine körperlich unentwickelte, geistig verächtliche Klasse, der von den Offizieren die Frauen und Töchter abgejagt wurden. Er gab sich einem großartigen Pessimismus hin: es schien ihm, da der Soldatenberuf ein scharfes und glühendes Instrument ist, müsse man mit diesem Instrument die Welt zu ihrem Heil auch brennen und schneiden.

      Er hatte zwar das Glück, daß ihm nichts dabei geschah, aber eines Tages machte er eine Erfahrung. Er hatte in einer Gesellschaft mit einem bekannten Finanzmann eine kleine Mißhelligkeit, die er in seiner großartigen Weise erledigen wollte, aber es zeigte sich, daß auch im Zivil Männer vorhanden sind, die ihre weiblichen Familienangehörigen zu schützen wissen. Der Finanzier hatte eine Unterredung mit dem Kriegsminister, den er persönlich kannte, und die Folge war, daß Ulrich eine längere Aussprache mit seinem Obersten hatte, in der ihm der Unterschied zwischen einem Erzherzog und einem einfachen Offizier klargemacht wurde. Von da an freute ihn der Beruf des Kriegers nicht mehr. Er hatte erwartet, sich auf einer Bühne welterschütternder Abenteuer zu befinden, deren Held er sein werde, und sah mit einemmal einen betrunkenen jungen Mann auf einem leeren weiten Platz randalieren, dem nur die Steine antworten. Als er das begriff, nahm er Abschied von dieser undankbaren Laufbahn, in der er es soeben bis zum Leutnant gebracht hatte, und verließ den Dienst.

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      Der zweite Versuch. Ansätze zu einer Moral des Mannes ohne Eigenschaften

      Aber Ulrich wechselte nur das Pferd, als er von der Kavallerie zur Technik überging; das neue Pferd hatte Stahlglieder und lief zehnmal so schnell.

      In Goethes Welt ist das Klappern der Webstühle noch eine Störung gewesen, in der Zeit Ulrichs begann man das Lied der Maschinensäle, Niethämmer und Fabriksirenen schon zu entdecken. Man darf freilich nicht glauben, die Menschen hätten bald bemerkt, daß ein Wolkenkratzer größer sei als ein Mann zu Pferd; im Gegenteil, noch heute, wenn sie etwas Besonderes von sich hermachen wollen, setzen sie sich nicht auf den Wolkenkratzer, sondern aufs hohe Roß, sind geschwind wie der Wind und scharfsichtig, nicht wie ein Riesenrefraktor, sondern wie ein Adler. Ihr Gefühl hat noch nicht gelernt, sich ihres Verstandes zu bedienen, und zwischen diesen beiden liegt ein Unterschied der Entwicklung, der fast so groß ist wie der zwischen dem Blinddarm und der Großhirnrinde. Es bedeutet also kein gar kleines Glück, wenn man daraufkommt, wie es Ulrich schon nach Abbruch seiner Flegeljahre geschah, daß der Mensch in allem, was ihm für das Höhere gilt, sich weit altmodischer benimmt, als es seine Maschinen sind.

      Ulrich war, als er die Lehrsäle der Mechanik betrat, vom ersten Augenblick an fieberhaft befangen. Wozu braucht man noch den Apollon von Belvedere, wenn man die neuen Formen eines Turbodynamo oder das Gliederspiel einer Dampfmaschinensteuerung vor Augen hat! Wen soll das tausendjährige Gerede darüber, was gut und böse sei, fesseln, wenn sich herausgestellt hat, daß das gar keine »Konstanten« sind, sondern »Funktionswerte«, so daß die Güte der Werke von den geschichtlichen Umständen abhängt und die Güte der Menschen von dem psychotechnischen Geschick, mit dem man ihre Eigenschaften auswertet! Die Welt ist einfach komisch, wenn man sie vom technischen Standpunkt ansieht; unpraktisch in allen Beziehungen der Menschen zueinander, im höchsten Grade unökonomisch und unexakt in ihren Methoden; und wer gewohnt ist, seine Angelegenheiten mit dem Rechenschieber zu erledigen, kann einfach die gute Hälfte aller menschlichen Behauptungen nicht ernst nehmen. Der Rechenschieber, das sind zwei unerhört scharfsinnig verflochtene Systeme von Zahlen und Strichen; der Rechenschieber, das sind zwei weiß lackierte, ineinander gleitende Stäbchen von flach trapezförmigem Querschnitt, mit deren Hilfe man die verwickeltsten Aufgaben im Nu lösen kann, ohne einen Gedanken nutzlos zu verlieren; der Rechenschieber, das ist ein kleines Symbol, das man in der Brusttasche trägt und als einen harten weißen Strich über dem Herzen fühlt: wenn man einen Rechenschieber besitzt, und jemand kommt mit großen Behauptungen oder großen Gefühlen, so sagt man: Bitte einen Augenblick, wir wollen vorerst die Fehlergrenzen und den wahrscheinlichsten Wert von alledem berechnen!

      Das war zweifellos eine kraftvolle Vorstellung vom Ingenieurwesen. Sie bildete den Rahmen eines reizvollen zukünftigen Selbstbildnisses, das einen Mann mit entschlossenen Zügen zeigte, der eine Shagpfeife zwischen den Zähnen hält, eine Sportmütze aufhat und in herrlichen Reitstiefeln zwischen Kapstadt und Kanada unterwegs ist, um gewaltige Entwürfe für sein Geschäftshaus zu verwirklichen. Zwischendurch hat man immer noch Zeit, gelegentlich aus dem technischen Denken einen Ratschlag für die Einrichtung und Lenkung der Welt zu nehmen oder Sprüche zu formen wie den von Emerson, der über jeder Werkstätte hängen sollte: »Die Menschen wandeln auf Erden als Weissagungen der Zukunft, und alle ihre Taten sind Versuche und Proben, denn jede Tat kann durch die nächste übertroffen werden!« – Genau genommen war dieser Satz sogar von Ulrich und aus mehreren Sätzen von Emerson zusammengestellt.

      Es ist schwer zu sagen, warum Ingenieure nicht ganz so sind, wie es dem entsprechen würde. Warum tragen sie beispielsweise so oft eine Uhrkette, die in einseitigem, steilem Bogen von der Westentasche zu einem hochgelegenen Knopf führt, oder lassen sie über dem Bauch eine Hebung und zwei Senkungen bilden, als befände sie sich in einem Gedicht? Warum gefällt es ihnen, Busennadeln mit Hirschzähnen oder kleinen Hufeisen in ihre Halsbinden zu stecken? Warum sind ihre Anzüge so konstruiert wie die Anfänge des Automobils? Warum endlich sprechen sie selten von etwas anderem als ihrem Beruf; und wenn sie es doch tun, warum haben sie dann eine besondere, steife, beziehungslose, äußere Art zu sprechen, die nach innen nicht tiefer als bis zum Kehldeckel reicht? Bei weitem gilt das natürlich nicht von allen, aber es gilt von vielen, und die, welche Ulrich kennen lernte, als er zum erstenmal den Dienst in einem Fabrikbüro antrat, waren so, und die, die er beim zweitenmal kennen lernte, waren auch so. Sie zeigten sich als Männer, die mit ihren Reißbrettern fest verbunden waren, ihren Beruf liebten und in ihm eine bewundernswerte Tüchtigkeit besaßen; aber den Vorschlag, die Kühnheit ihrer Gedanken statt auf ihre Maschinen auf sich selbst anzuwenden, würden sie ähnlich empfunden haben wie die Zumutung, von einem Hammer den widernatürlichen Gebrauch eines Mörders zu machen.

      So endete schnell der zweite und reifere Versuch, den Ulrich unternommen hatte, um auf dem Wege der Technik ein ungewöhnlicher Mann zu werden.

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      Der wichtigste Versuch

      Über die Zeit bis dahin vermochte Ulrich heute den Kopf zu schütteln, wie wenn man ihm von seiner Seelenwanderung erzählen würde; über den dritten seiner Versuche nicht. Es läßt sich verstehen, daß ein Ingenieur in seiner Besonderheit aufgeht, statt in die Freiheit und Weite der Gedankenwelt zu münden, obgleich seine Maschinen bis an die Enden der Erde geliefert werden; denn er braucht ebensowenig fähig zu sein, das Kühne und Neue der Seele seiner Technik auf seine Privatseele zu übertragen, wie eine Maschine imstande ist, die ihr zugrunde liegenden Infinitesimalgleichungen auf sich selbst anzuwenden. Von der Mathematik aber läßt sich das nicht sagen; da ist die neue Denklehre selbst, der Geist selbst, liegen die Quellen der Zeit und der Ursprung einer ungeheuerlichen Umgestaltung.

      Wenn es die Verwirklichung von Urträumen ist, fliegen zu können und mit den Fischen zu reisen, sich unter den Leibern von Bergriesen durchzubohren, mit göttlichen Geschwindigkeiten Botschaften

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