Ein Krokodil für Zagreb. Marina Achenbach

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Ein Krokodil für Zagreb - Marina Achenbach

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tatsächlich kommt der Moment, in dem sich das Krokodil regt. Es ist auf der Überfahrt in Schockstarre gefallen und kehrt unter Ados Blicken zum Leben zurück.

      26

      Ich suchte meinen zweiten Schuh in einer sich stetig verwandelnden Traum-Landschaft, am Wegrand entdeckte ich den runden Sandwall mit einem Loch in der Mitte, worin eine riesige Eidechse seit undenklichen Zeiten eingewachsen war, halb behütet, halb gefangen. Ihr Schwanz war am Körper hochgebogen, die Spitze schaute neben dem großen Kopf heraus, der im Sand lag, die Augenlider geschlossen. Plötzlich regte sie sich, die Augenlider hoben sich. Sie guckte mich an, bewegte sich in sich, und mit einer ungeheuren inneren Anstrengung katapultierte sie sich aus dem engen Loch, umfasste mich mit ihrem feinen Schwanzende und setzte mich auf ihren Leib. Sie hielt zu meinem Schutz ihren Schwanz hochgebogen, im Rücken spürte ich die sonnenwarme Eidechsenhaut.

      Sie rannte los, kam vom Weg ab, wir stürzten unendlich tief, aber die Eidechse federte den Aufprall ab, wir landeten sanft in einer grünen, vertrauten Schlucht. Ich sagte zu ihr: »Ich hatte keine Angst vor dir, das hat mich verführt, dich so lange zu betrachten. Und Angst habe ich deswegen nicht, weil mein Vater immer Eidechsen hatte.«

      Zu meiner Überraschung antwortete sie: »Das sind seltene Menschen.«

      27

      Berlin beginnt für Ado mit einem Elite-Internat. Kummervoll sieht Paula, wie er ihr fremder wird. Die Gymnasiasten steigen nachts durchs Fenster und schwärmen in die Stadt der Cafés, Bordelle, Künstler, politischen Debatten aus. In der Schulaula lassen verschworene Freunde aus dem großen Ventilator an der Decke einen Schwarm von Flugblättern gegen das reaktionäre Kaisertum auf die Versammelten niedersegeln. Die Schule entledigt sich der Hauptunruhestifter, es sind Ado und ein Sohn der Bismarck-Familie. Das Abitur holt Ado nie mehr nach, stattdessen bewirbt er sich an der be -rühmten Schauspielschule von Max Reinhardt und sieht auf der Theaterbühne für sich das Zukünftige.

      Der Erste Weltkrieg reißt alles ein. Die Achenbachs fühlen kaiserlich-national, Vater Heino und Sohn Gyso melden sich sofort an die Front, Heino als Offizier, Gyso als Fahnenjunker des Ulanenregiments. Nur Ado lässt sich vom kriegerischen Furor nicht mitreißen, widersteht dem Sog als einer von sehr wenigen. Gyso fällt in den ersten Kriegswochen in Frankreich. Fotos und Zeichnungen von dem schönen, blond gelockten Jungen hängen in silbernen Rahmen an den Wänden. Er ist und bleibt für immer der 22-jährige Familienerbe. Nach einer Schonfrist, die man der Familie für den überlebenden Sohn gewährt, wird Ado zwei Jahre später zur Musterung einberufen. Er präpariert sich zum Untauglichen. Simulation ist bei den Musterungskommissionen stets der Verdacht und wird im zweiten Kriegsjahr, in dem die Sehnsucht der jungen Männer nach dem Aufbruch ins Feld verflogen ist und kaum noch einer freiwillig an die Front geht, schwer bestraft. Ado strapaziert sich bis an seine Grenzen, von dem jungen Mediziner Dr. Heinz Klapper lässt er sich mit Spritzen traktieren und tritt am Ende als nervenkranker Zwanzigjähriger vor die Kommission, und sie erklärt ihn für nicht kriegsverwendungsfähig. Diese bestandene Prüfung wird zum Unterpfand ihrer Freundschaft, die ihn und Klapper als Exilanten wieder zusammengeführt hat. Ado verlässt Berlin und sucht einen neuen Anfang in München, gelockt von der Ausstrahlung der Schwabinger Boheme.

      28

      Der kleine Arbeiter-Trupp, der den päpstlichen Abgesandten, den Nuntius Pacelli, um den sich die Gegner der Bayerischen Räterepublik sammeln, im Hausarrest festsetzen soll, scheut vor der Apostolischen Nuntiatur im Herzen Münchens zurück. Die Arbeiter mit umgehängten Gewehren fordern den 23-jährigen Ado auf, das Kommando zu übernehmen. Sie gehen davon aus, dass er mit seinem adligen »von« im Namen dieser Situation eher gewachsen sein werde. Mit der Pistole in der Hand geht Ado hinein, gefolgt von einer Handvoll Rotgardisten, sucht einen Weg über die breiten Treppen durch das weiträumige Palais, während Nonnen davonhuschen, und betritt endlich den Salon, wo ihn Pacelli stehend erwartet. Befeuert von seinem Zorn auf den dünkelhaften Reaktionär tritt er an den breiten Schreibtisch des vatikanischen Botschafters, legt mit wirkungsvoller Geste die Pistole neben sich und verkündet ihm den Hausarrest. Dieser Nuntius wird später zu Papst Pius XII., zum Stellvertreter Gottes in Hochhuths Theaterstück. Die Episode aus der Münchner Räterepublik, die Seka mit Lachen und verborgenem Stolz gern erzählt, hallt auch im Vatikan bis ins neue Jahrtausend nach. Ein um Generationen späterer Nachfolger von Pacelli ereifert sich in einer Kanzelrede: »Am 3. April 1919 wurde die Nuntiatur von einer Bande gestürmt und der Nuntius sogar mit einem Revolver bedroht.« Ahnungslos sagt er es an einem 21. Februar, dem Tag der tödlichen Schüsse auf den Ministerpräsidenten Kurt Eisner.

      Denn nach diesem Mord an Kurt Eisner bilden sich die Arbeiter- und Soldaten-Räte. Künstler tun es ihnen gleich, Ados Unterschrift steht unter dem Gründungsprotokoll des Revolutionären Künstler-Rats. Paul Klee bietet seine Mitarbeit an: »Der Aktionsausschuss revolutionärer Künstler möge ganz über meine künstlerische Kraft verfügen. Dass ich mich zugehörig betrachte ist ja selbstverständlich, Ihr Klee«. Rilke geht zu den Versammlungen, hört stundenlang zu. »So viel Wichtiges geschieht jetzt, so viel Hoffnung ist überall«, sagt er zu dem jungen Schriftsteller Oskar Maria Graf.

      Am 2. Mai erobern Freikorps-Söldner und Reichswehrtruppen die Stadt. Sie töten Hunderte Arbeiter. Ado wird verhaftet. In der mit Männern überfüllten Zelle im Gefängnis Stadelheim horchen sie auf das Gebrüll und die Schüsse im Hof. Was Eugen Leviné zwei Monate später vor Gericht sagen wird, denken auch sie: »Wir Kommunisten sind Tote auf Urlaub. Ich weiß nicht, ob Sie meinen Urlaubsschein verlängern werden oder ob ich einrücken muss zu Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg.« Es ist nur ein halbes Jahr her, dass beide von Freikorps-Offizieren umgebracht wurden. Der Wachmann ruft in die Zelle: »Ado von Achenbach hier?«

      Da tritt sein Vater in Offiziersuniform in die Tür und gibt ein knappes Zeichen zum Mitkommen. Ado steht auf, die Füße bleischwer, ungeheuerlich der Zusammenprall von Scham und Glück in ihm. Sie setzen sich ins Auto, zurück nach Berlin, ohne ein Wort. Nie wieder ein Wort. Bis zum Tod.

      Der Vater war erst an diesem Morgen aus dem Krieg nach Hause gekommen. Ein Telegramm auf dem Tisch ADO IM GEFÄNGNIS STOP IHM DROHT TODESSTRAFE. Paula hatte ihn angefleht, den ungeliebten Sohn zu retten. Er hatte die Uniform nicht ausgezogen, sich zum Fahrer ins Auto gesetzt, war geradewegs nach München zum Gefängnis Stadelheim gefahren. Die Soldaten hatten strammgestanden, ihm die Türen geöffnet. Der Vater verzeiht es Ado nicht, dass er ihn genötigt hat, gegen seinen Ehrenkodex zu verstoßen.

      Künstler, Verleger, die freien Geister verlassen die Stadt. Ado geht zum Monte Veritá nach Ascona. Die Niederschlagung der Roten ist für Hitler ein Anfangsmythos. Rilke zieht nach einer wüsten Hausdurchsuchung in die Schweiz, er betritt nie mehr deutschen Boden und schreibt: »Etwas ist ausgeblieben, was alles ins Maß gerückt hätte. Deutschland war nur auf Rettung bedacht, in einem oberflächlichen, raschen, misstrauischen, gewinnsüchtigen Sinn, es wollte leisten und hoch- und davonkommen … Ein Datum fehlt, an dem Anhalt gewesen wäre. Eine Sprosse in der Leiter; daher die unbeschreibliche Besorgnis, die Angst, das Vorgefühl eines jähen und gewaltigen Sturzes.«

      29

      Am Abendbrottisch streicht Seka Butter auf ein Weißbrot, drauf streut sie Zucker, schneidet die Scheibe in kleine Vierecke und bittet, iss doch, Kind. Ihr zuliebe kaue ich langsam ein Stück und schlucke es. Andreas steht weiter hinten im Raum in seinem Bett, anderthalb Jahre alt, er hält sich am Gitter und plappert mit uns. Auf einer Kommode ein rotbrauner Mahagoni-Radiokasten, aus ihm verkündet eine tiefe Männerstimme: Bomber im Anflug. »Schon wieder«, stöhnt Seka. Sie zieht mir einen Mantel an, die Sirenen heulen in dem auf- und abschwellenden Ton, den niemand je vergisst. Sie nimmt Andreas mitsamt Plumeau auf den Arm, wir gehen umständlich viele Stufen im Haus hinunter.

      Der Keller in grauem Licht ist ein bebender Schiffsbauch, in dem sich die Passagiere

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