Könnte schreien. Carola Clever

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Könnte schreien - Carola Clever

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Aber das Verhör war wichtig, weil ich ihm auf den Zahn fühlen wollte: wo er herkommt und was er vorhat. Meinen zwanzigjährigen Altersvorsprung muss ich doch nutzen, um dich zu schützen, Süße!“

      „Das liebe ich ja so an dir. Aber das war kein Verhör, sondern eine Mata-Hari-Nummer!“

      „Mata-Hari-Nummer? Wer ist das? Kenn ich die auch?“

      „Keine Ahnung. Opa Eugen hat mir von Mata erzählt. Ein selbstgewählter Künstlername, den sie benutzte, als sie sich entschloss, erfolgreich im Ersten Weltkrieg die französische Generalität auszuspionieren. Sie setzte ihren glasklaren Verstand und ihre sexuellen Reize ein, um an wichtige Informationen zu kommen. Haha … hier sind sie wieder, die Tauschgeschäfte, der Kuhhandel, der hier heißt: Tausche Sex gegen Informationen.“

      Mary lachte. „Das hat sie ja gut erkannt. Halte den Männern eine gutaussehende, hübsch verpackte Muschi hin und die hoch dekorierten Jungs pfeifen auf ihre Orden und Abzeichen, unterwerfen sich lieber dem ewig lockenden Weib. Jetzt mal ernsthaft, lass uns über Jeff sprechen!“

      Ich sagte nichts.

      „War ich so schlimm? Hab ich ihn jetzt für immer vergrault? Also, wenn das so ist, muss ich zukünftig die Mata-Nummer fallen lassen. Sorry, Süße. Mea culpa!“

      „Du musst dich nicht entschuldigen. Er wird es überleben.“

      Während wir sprachen, lief Mary von einem Kleiderständer zum anderen, selektierte in Windeseile einige Blusen und Hosen. Wir liebten die Kostümierung, als wenn die Teile auf der Stange sie ansprangen. Ihr Geschmack war erlesen. Ich bewunderte sie, kopierte sie, wo ich konnte.

      „Süße, das hier ist kein Laden zum Wühlen. Hier selektiert man oder lässt selektieren.“

      Vor der Ecke mit den neu eingetroffenen Kleidern streckte ich meine Hand aus und übergab Mary einen Umschlag.

      „Was ist das?“

      „Die Finanzierung deines Kaufrausches. Meine Rückzahlung. Danke, dass du so geduldig warst.“

      „Habe ich gern getan. Danke.“

      Mary hatte drei Kleider, drei Pullover und einen Mantel überm Arm, drückte mit dem Ellbogen die Tür der Umkleidekabine auf. Mary war schneller als jeder Wimpernschlag ausgezogen. Ich saß auf einem Hocker und betrachtete ihre Auswahl.

      „Ja hallo! Du hast ja ein Tattoo!“, stellte ich fasziniert fest.

      „Leben und Tod sind vorbestimmt“, daneben ein exotischer orangefarbener Schmetterling.

      „Tolle Aussage. Zwischen Leben und Tod sollst du fröhlich und unbeschwert fliegen. Wie ein Schmetterling!“

      „Hey, du hast gute Augen, aber ich wusste nicht, dass du Chinesisch kannst.“

      „Kann ich auch nicht. Ich erkenne aber diese Weisheit und die Schriftzeichen dazu. Es stand als Überschrift in einem Buch. Ich habe es mir gemerkt, falls ich mir mal ein Tattoo leisten kann, wäre das meine erste Wahl.“

      „Oh, tut mir leid, Süße. Sei nicht traurig. Eines Tages hast du genügend Geld, dann kannst du dieses und viele andere haben.“

      „Geld wäre nicht schlecht, weil es meine monatlichen Kosten decken würde.“

      „Bleib entspannt, Süße, alles zu seiner Zeit. Für den Stabhochsprung brauchst du erst mal eine Stange, damit du den Sprung über die Latte schaffst.“ Der Umschlag fiel vom Hocker. „Ach ja, der Umschlag. Warum zahlst du es jetzt schon zurück? Warst du beim Buchmacher, im Spielkasino oder beim Pferderennen? Woher hast du das Geld?“

      „Erzähle ich dir später. Danke auf jeden Fall für deine Leihgabe. Ich hasse Schulden, sie geben einem das Gefühl, unzulänglich, unfähig und klein zu sein.“

      Danach schlenderten wir in Richtung Young Street: zum angesagten Schuhladen, in dem der Geschäftsführer bei Marys Eintritt in den Laden zur Begrüßung die Papst-Nummer machte. Ich hasste seine schleimige Art, wenn er schauspielernd den Boden küsste, um seine Ware an die Frau zu bringen, hasste es, wenn man sich prostituierte, nur um seine Ware zu verkaufen. Neid und Frustration überkamen mich. Ich konnte nichts kaufen oder bei der Kostümparty mitmischen. Was für ein erhabenes Gefühl muss das wohl sein, wenn man shoppen konnte, bis die Karte glühte.

      Shoppen, ohne aufs Geld zu achten.

      Ich nahm Mary drei Shopping-Tüten ab, damit wir ohne Probleme durch die Drehtür von Goodmann‘s Taschenladen passten, von wo aus wir problemlos direkt in die Parfümerie gehen konnten. Nach einer weiteren Stunde nahm ich Queen Mary zwei weitere Tüten ab, bevor sie endgültig genug hatte.

      Wir machten uns auf den Weg zum Italiener.

      MOLLY

      Vittorio, unser sizilianischer Strahlemann, strahlte wie die Mittagssonne in Palermo, als wir hereinkamen. Er ging sofort zu einem freien Tisch, zog zwei Stühle unterm Tisch zurück, wischte hektisch mit einer weißen Serviette über die Stuhlsitze und bat uns in gebeugter Haltung und mit galanter Geste zu Tisch. Präsentierte sein Motto: Eintreten, wohlfühlen!

      Wir prosteten uns mit Prosecco und einem Schuss Mirabelle zu. Mary erzählte zuerst, wie es ihr auf der Reise ergangen war, was sie erlebt hatte. Ich übte mich in Geduld. Eine Eigenschaft, die bei mir wirklich nicht ausgeprägt war. Mary erzählte.

      „Dieser Arzt, Dr. Huegli, hatte eine spezielle Kamera. Damit hielt er meine Aura auf dem Foto fest. In seiner Praxis spielte als Hintergrundmusik einer deiner Lieblinge, Maurice Ravel, während er mir die sichtbaren Farben erklärte. Er sagte, dass die Aura eine persönliche Sache ist und keine der anderen gleicht. Weil wir alle unterschiedlich sind. Laut seinen Ausführungen habe ich viel Rot in meinem Bild. Das zeugt von Energie und großer Dynamik. Das Lila steht für Menschenkenntnis und Intuition, der Streifen Blau für Ehrlichkeit, Schutz und Kommunikation, das Gelbgrün für Selbstreflexion und Offenheit. Gott sei Dank habe ich wenig Orangegelb, was ein Hinweis für Stress, Ermüdung und Kopflastigkeit wäre. Er gratulierte mir zu meinem großen Anteil an Blautürkis, das Zeichen für große Spiritualität und dafür, dass ich ein Gefühlsmensch bin. Das war sehr interessant für mich.“

      Ich hörte ihr mit offenem Mund zu. Wow, ihre Geschichten waren lang, spannend und schmerzhaft zugleich, dauerten bis zum Dessert: Kuchen mit geeister Zabaglione, frischen Walderdbeeren und Vanilleeis.

      „Hm, ich nehme den achtstöckigen Kuchen mit Sahne, Kirschwasser und anderen leckeren Zutaten, strecke meinen Rücken und ziehe meinen Bauch ein, damit dieses Stück noch Platz hat.“

      Mary schaute erst gar nicht in die Karte, als sie dem Oberkellner winkte. Vittorio, dessen Aufmerksamkeit nichts entging, war sofort strahlend zur Stelle. „Was darf ich den Damen Leckeres servieren?“

      Mary strahlte zurück, vielleicht sogar ein wenig länger als erlaubt! Sie kokettierte mit ihrem Hunger: „Vittorio!“ Sein Name kam klagend über ihre Lippen. „Bitte zwei Stück von eurer hausgemachten bella torta.“

      Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her, klopfte mit dem Zeigefinger immer auf dieselbe Stelle am Tisch. Endlich, ich war dran, sprudelte wie die heißen Quellen auf Island alle Neuigkeiten aus. Mein Redeschwall war nicht zu stoppen.

      Nachdem all meine Quellen versiegt waren, fragte Mary ungeduldig: „Hat Sabia dich nach deinem inneren Kind gefragt?“

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