Die Zeit mit Anaïs. Georges Simenon

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Die Zeit mit Anaïs - Georges  Simenon Die großen Romane

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er auf uns?«

      »Ja. Er hat Nachtdienst. Er setzt sich gerade mit Paris in Verbindung.«

      Als Bauche aus seinem Auto ausgestiegen war, hatte er nicht bemerkt, wie weit es sich über die Böschung neigte. Es stand da am Wegrand wie ein ausgedientes, ein wenig komisches Wrack. Der Wachtmeister stieg aus und bewegte sich im Scheinwerferlicht mit geradezu lächerlicher Vorsicht darauf zu, nahm sich sogar Zeit, die Wagennummer zu notieren, bevor er die Tür öffnete.

      »Erlauben Sie, dass ich einen Augenblick? …«, fragte Bauche den im Auto verbliebenen Gendarmen.

      »Was soll ich erlauben?«

      »Ich müsste einmal …«

      Er hatte gemeint, dass er nur ein kleines Geschäft erledigen musste, wie er als Kind gesagt hatte, aber als er im Regen am Wegrand stand, der Gendarm nur zwei Schritte von ihm entfernt, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Demütigung auf sich zu nehmen.

      »Ich bitte um Verzeihung …«

      Sein großes Geschäft war noch nicht beendigt, als Wachtmeister Rochain bereits zurückkam. Er musterte ihn von Kopf bis Fuß, als wäre er ein Tier, und setzte sich wieder ans Steuer.

      Bauche war völlig durchgefroren. Das hohe Gras hatte seine Hosenaufschläge durchnässt, und er fühlte sich schmutzig. Er sagte noch einmal:

      »Ich bitte um Verzeihung.«

      Die Tür wurde hinter ihm zugeschlagen. Der Gendarm setzte sich neben seinen Kollegen. Um an dem liegengebliebenen Wagen vorbeizukommen, mussten sie in einem komplizierten Manöver ein kleines Stück über den Straßengraben fahren und streiften dabei die Bäume.

      Die beiden Männer rauchten. Sie hatten breite Schultern, ihre Uniformen rochen nach feuchter Wolle, und beide hatten eine Weinfahne.

      »Fährst du über Vitry?«

      »Ich nehme die Abkürzung über den Kanal. Warum?«

      »Nur so. Sonst hätte ich kurz meiner Frau Bescheid gesagt.«

      Dann:

      »Macht nichts.«

      2

      Von ihm war in ihrer Unterhaltung nicht die Rede, sie kümmerten sich auch nicht darum, ob er ihnen zuhörte oder nicht. Gewissermaßen zählte er nicht mehr als Mensch, seit sie ihn, mit Stahlringen um die Handgelenke, auf den Rücksitz des Autos bugsiert hatten, wo ihm die Vordersitze jeden Ausstieg unmöglich machten.

      Während der ganzen Fahrt von Ingrannes nach Orléans war er für sie gleichsam gar nicht vorhanden. Beide rauchten, der eine Zigaretten, der andere Pfeife, aus der beißender Rauch aufstieg. Gemächlich plätscherte das Gespräch dahin, keiner hatte es eilig, dem anderen zu antworten. Sie sprachen von Leuten, die sie beim Vornamen nannten, als wären sie Schwägerinnen, die sich sonntagnachmittags einen Besuch abstatten.

      »Was hat er darauf erwidert?«

      »Er hat halt gesagt, wenn er Arthur nicht so genau kennen würde, hätte die Sache ein böses Ende nehmen können, und dass Jeanne in Zukunft besser den Mund halten sollte.«

      »Und der Alte?«

      »Das Komische war ja, dass der keinen Muckser getan hat. Dem hat’s einfach die Sprache verschlagen, verstehst du?«

      Die Personen ließen sich nicht deutlich unterscheiden, träge gingen die Geschichten ineinander über, und er hätte eine Erklärung gebraucht, um zu begreifen, wer eigentlich gemeint war. Schließlich vernahm er nur noch den Klang der Wörter, ohne dass sie für ihn ein Bild hervorriefen, so als würden die beiden in einer fremden Sprache reden.

      »Hast du mit dem Chef darüber gesprochen?«

      »Das mach ich, sobald ich es für notwendig halte.«

      »Übrigens, da wir schon vom Chef reden, hat der Kerl mit dem Vollbart dir erzählt, was ihm auf der Kirchweih passiert ist?«

      All diese Dinge besprachen sie wichtigtuerisch und genüsslich, unterstrichen das eine oder andere durch hämisches Kichern.

      Er versuchte, nicht zuzuhören, denn ihr Gerede tat ihm weh. Mehr noch als vorher bei dem Wirt empfand er, dass man ihn von der Welt ausschloss.

      Als die Landstraße unmerklich in eine städtische Chaussee überging, wo noch die Überreste von alten Trambahnschienen zwischen den nassen Pflastersteinen aufleuchteten, da und dort eine Straßenlaterne zu sehen war, fuhr dicht an ihrem Auto ein Bus vorbei. Die Menschen hinter den erleuchteten Fenstern wirkten wie Figuren in einem Gemälde. Wie gerahmt erschien ihm das Bild einer noch jungen Frau mit bleichem Gesicht unter einem blauen Hut, die einen schlafenden Säugling im Arm hielt. Beim Anblick der beiden Gendarmen runzelte sie die Stirn, beugte sich nach vorn, drückte die Stirn gegen die Scheibe, um herauszufinden, wer sich auf dem Rücksitz des Autos befand.

      Dann erblickte er ein Kino, das seine Phantasie gefangen nahm: Aus einem grell erleuchteten Geviert, das sich in der düsteren Straße befremdlich ausnahm, trottete eine Herde von Menschen mit hochgestellten Mantelkragen. Alle schickten sich an, ihre Schirme aufzuspannen. Auf einem bunten Plakat hob eine Frau ihren Rock bis über die Schenkel hoch.

      Sie fuhren durch eine menschenleere Straße, dann durch eine weitere, wo die Schritte eines einzigen Passanten widerhallten, der sich auf dem Heimweg befand. Sie bogen ab, und das Auto hielt vor einem tristen Gebäude mit nur zwei oder drei erhellten Fenstern. Man ließ ihn aussteigen, führte ihn über den Gehsteig. Nur einmal gab ihm der Wachtmeister, scheinbar unabsichtlich, einen kleinen Schubs.

      »Da hinauf!«

      Warum zwinkerten sie sich zu, als sie ihn vorangehen ließen? Die Treppe war staubig, kaum beleuchtet. Die Luft war mit dem allen Amtsgebäuden eigentümlichen Geruch durchtränkt. Im ersten Stock stieß Wachtmeister Rochain eine Tür auf, als wäre er hier zu Hause, durchschritt ein leeres Büro, klopfte an einer zweiten Tür, unter der ein Lichtschein nach draußen drang. Niemand forderte ihn zum Eintreten auf, aber nach einiger Zeit wurde die Tür geöffnet, und das Erste, was Bauche erblickte, war eine Frau mit grellgeschminkten Lippen. Sie trug eine enganliegende Seidenbluse, rauchte eine Zigarette. Sie hätte die Frau auf dem Plakat sein können. Dann sah er den Mann, der eben die Tür aufgemacht hatte. Er wirkte ziemlich alt und verbraucht, nicht besonders gepflegt, und sein Anzug war zerknittert, wie das oft bei Leuten der Fall ist, die nachts arbeiten.

      Bauche und seine Gendarmen traten in ein Büro, das mit seiner alten Schreibmaschine in einer Ecke und den Rauchschwaden um die Lampe wie das Kontor eines kleinen, nicht besonders gutgehenden Unternehmens anmutete. Die Frau dachte nicht daran, sich zu entfernen. Auf den ersten Blick hatte sie, ohne sich darüber zu wundern, die Handschellen bemerkt, und sie musterte Bauche von Kopf bis Fuß, mit dem Anflug eines Lächelns um den Mund, und blies ihm den Zigarettenrauch ins Gesicht.

      Hatte der Inspektor ihn auch so aufmerksam angesehen? Es kam ihm nicht so vor. Sicher wollte er durch seine Haltung zeigen, dass er völlig abgebrüht und durch nichts mehr in Erstaunen zu versetzen war.

      Nach der Kälte draußen stieg dem Verhafteten im warmen Raum das Blut in den Kopf, und mit einem Mal hatte er das Gefühl, widerlichen Alkoholgeruch auszudünsten, die fiebrig glänzenden Augen eines Betrunkenen zu haben.

      »Kommen

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