Kurz und schmerzlos. Peter Gerdes

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Kurz und schmerzlos - Peter Gerdes

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      Peter Gerdes

      Kurz und schmerzlos

      Kriminalgeschichten

      Zum Autor

      Peter Gerdes, geb. 1955, lebt in Leer (Ostfriesland). Studierte Germanistik und Anglistik, arbeitete als Journalist und Lehrer. Schreibt seit 1995 Krimis und betätigt sich als Herausgeber. Seit 1999 Leiter des Festivals »Ostfriesische Krimitage«. Die Krimis »Der Etappenmörder«, »Fürchte die Dunkelheit« und »Der siebte Schlüssel« wurden für den Literaturpreis »Das neue Buch« nominiert. Gerdes betreibt mit seiner Frau Heike das »Tatort Taraxacum« (Krimi-Buchhandlung, Veranstaltungen, Café und Weinstube) in Leer.

      Impressum

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      Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

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      Alle Rechte vorbehalten

      1. Auflage 2020

      (Originalausgabe erschienen 2011 im Leda-Verlag)

      Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

      Umschlaggestaltung: Katrin Lahmer

      unter Verwendung eines Fotos von: © Ingo_Bartussek/stock.adobe.com

      ISBN 978-3-8392-6446-1

      16.50 ab Oldenburg

      Wieder einmal stand er zu früh im Gang. Jedes Mal stand er zu früh im Gang. Kaum hatte der Zugchef via Lautsprecher verkündet, dass man den nächsten Bahnhof »in wenigen Minuten« erreichen werde, stand Stahnke im Gang, die Aktentasche bleibschwer am Schulterriemen und das rollenbewehrte Reiseköfferchen auf den Hacken, und ließ sich durchschütteln, von unerwarteten Kurven abwechselnd gegen Zugfenster und Abteilwand schleudern und von plötzlichen Weichenpassagen fast von den Füßen reißen. Statt bequem im Polstersitz hocken zu bleiben, bis draußen die ersten Ausläufer der Bahnsteige auftauchten, was ja meistens doch etwas länger als nur ein paar Minuten dauerte. Wenn es aber so weit war, blieb eigentlich immer noch genügend Zeit aufzustehen, das Gepäck aufzunehmen und gemessenen Schrittes in Richtung Ausgang zu gehen. Der Zug fuhr schon nicht vorzeitig ab – dafür sorgte die Schlange der anderen, die wieder einmal zu früh im Gang gestanden hatten.

      Wieder so eine Weiche. Im letzten Moment konnte er sich mit der linken Hand am Fensterrahmen abstützen, sonst hätte er die vor ihm stehende Frau heftig angerempelt. Das hätte übel ausgehen können, denn die Frau trug ein schlafendes Kind in den Armen und eine ballondicke Strandtasche über der Schulter. Offenbar war sie unterwegs zur Küste, wollte wohl in einen Sielort, vielleicht auch auf eine der Inseln, auf jeden Fall ans Wasser, in die Sonne, in einen gemütlichen Strandkorb. Wie sie sich hier auf den Beinen hielt, ohne sich irgendwo festhalten zu können, war ihm schleierhaft. Offenbar verfügten Mütter über Fähigkeiten, die zu verstehen Männer nicht geschaffen waren.

      Sie drehte sich zu ihm um und musterte ihn zunächst misstrauisch, ehe sie ein nachsichtiges Lächeln aufsetzte, als sei er ebenfalls ein Kind, wenn auch ein besonders großes und tapsiges. Peinlich berührt versuchte er ein Antwortlächeln, das die Frau aber nicht mehr erreichte, da sie ihren Blick bereits wieder nach vorne gerichtet hatte.

      Endlich kam der Zug zum Stillstand, die Türen wurden aufgestoßen und die Schlange der Passagiere begann sich zu dehnen, wurde zur Raupe, die nun aus eigenen Kräften auf ihren vielen Füßen hin und her schwankte. Kühle Luft drang von Bahnsteig in den stickigen Gang. Ihm war, als sei der Geruch von Rauch und Ruß immer noch wahrzunehmen, obgleich hier doch bestimmt seit Jahrzehnten keine Dampflok mehr gefahren war.

      »… Anschluss auf Gleis sieben.« Stahnke bekam nur den Schluss der Durchsage mit, als er die beiden Gitterstufen zum Bahnsteig hinabstieg, seinen Rollkoffer hinter sich her zerrend, aber er kannte seinen Reiseplan ohnehin auswendig. Gleis sieben, das war seine Verbindung, 16.50 Uhr ab Oldenburg, über Bad Zwischenahn, Leer und Emden nach Norddeich. Sieben Minuten Zeit für den Bahnsteigwechsel, kein Problem.

      Die Menschenmenge wogte die ausgetretenen Stufen hinab in die Katakomben unter den Gleisen. Unmittelbar vor Stahnke gingen zwei Männer, die ihm bereits im Intercity aufgefallen waren, kaum dass der Hannover verlassen hatte. Der eine trug einen dunkelgrauen Mantel, unter dem scharfe Bügelfalten und polierte Lackschuhe von Akkuratesse zeugten; Aktenkoffer und Laptop wiesen ihn als Geschäftsmann aus. Der andere hatte ausgewaschene Jeans und abgeschabte Camel-Boots an. Dass er um die Körpermitte herum so ausgebeult aussah wie das Michelin-Männchen, lag nur zum Teil an seinem gesteppten Plastikanorak; sein aufgedunsenes Gesicht verriet, was seinen Wanst so hatte anschwellen lassen. Statt einer Reisetasche schwenkte der Mann eine Plastiktüte, als wollte er sich mit aller Macht zum Penner abstempeln.

      Zwei grundverschiedene Typen also, die sich denn auch auf dem Hannoveraner Bahnsteig keines Blickes gewürdigt hatten. Stahnke erinnerte sich deutlich daran. Kaum aber war der IC losgefahren, hatten beide zielstrebig den Großraumwaggon in der Zugmitte aufgesucht, sich einander gegenüber niedergelassen und ein ebenso intensives wie leise geführtes, von den üblichen Zuggeräuschen vollkommen überdecktes Gespräch begonnen. Wie es der Zufall wollte, fast unter Stahnkes Augen.

      Am Fuß der Treppe strebte die Mehrzahl der Reisenden nach rechts, Richtung Gleis sieben. Auch das ungleiche Paar blieb im Hauptstrom, nach wie vor Seite an Seite. Beide sehen aus wie Mitte dreißig, überlegte der Hauptkommissar; der Suffkopp mag in Wirklichkeit vielleicht ein paar Jahre jünger sein, für einen verlorenen Sohn aber reicht es vom Alter her auf keinen Fall. Brüder? Wenn, dann Stiefbrüder, aber auch danach sah es eher nicht aus. Es musste etwas anderes sein, das diese beiden Männer verband.

      Aber was ging ihn das eigentlich an? Er hatte Urlaub, feierte genauer gesagt aufgelaufene Überstunden ab. Der Lehrgang in der Polizeiakademie Hannover – »Möglichkeiten der Rasterfahndung im Computerzeitalter«, du lieber Himmel! – hatte ihn mächtig geschlaucht, da kamen ihm ein paar Tage Erholung gerade recht. Und zwar nicht etwa zu Hause in Leer. Freunde

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