Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen. Gerd vom Steinbach

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Des Rates Schreiber - Chemnitzer Annalen - Gerd vom Steinbach

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style="font-size:15px;">      Weil sie aber nicht länger debattieren will, nimmt sie die Kelle und schöpft das Wasser in den Holzbottich. „So werden wir es wohl schaffen!“, erklärt sie und trägt das Gefäß aus dem Zimmer. Johanna bleibt reglos zurück und fühlt sich über die Maßen gescholten. Nun treten ihr die Tränen in die Augen und vor Empörung schluchzt sie zum Herzerbarmen. „Keinem kann ich es recht machen! Jeder meint, er könne auf mir herumhacken, nur weil ich die Jüngste bin!“

      Indes hat Elisabeth das Wasser neben der Mutter abgestellt, die den Bottich an sich heranzieht. „Das hat ja lange genug gedauert! Wenn es eilig ist, dann braucht ihr immer am längsten. Hilf mir und drück deinen Finger hierher!“, zischt Magdalena vor Sorge um den Sohn ungehalten. Kaum hat das Mädchen den Finger an Mutters Daumen statt platziert, hat diese den Stechbeitel mit einem Ruck aus der Hüfte des Sohnes gezogen. Mit der anderen Hand greift sie ein Tuch, spült es im warmen Wasser und wäscht die Verletzung. Anschließend deckt sie unter Druck die Wunde ab und legt einen straffen Verband an. Leises Seufzen dringt über die blauweißen Lippen Ruprechts. Die Augen finden wieder in die von der Natur zugedachte Stellung, die Lider schieben sich über die Pupillen und keinerlei Wahrnehmung ist erkennbar.

      Müde wischt sich Magdalena über die Stirn. „Ich hoffe, dass es vorerst hilft, Schätzchen. Aber eines können wir noch tun. Nimm dir Johanna und laufe mit ihr in die Johannisvorstadt. Gleich hinter der Kirche wohnt die alte Mechthild. Erzählt ihr, was vorgefallen ist und bittet sie um ein paar Kräuter. Pass gut auf das Geld auf, das ich dir mitgebe. Du musst es der Mechthild für die Kräuter geben.“ Sie greift in ihre Tasche und bringt eine Münze hervor. „Frage sie aber auch, was ich mit den Kräutern tun soll und merke dir das gut. Und nun sputet euch!“ Eilig schlüpft das Mädchen aus der Werkstatt und gleich darauf hört man die hastigen Schritte der Schwestern in der Gasse.

      In der Werkstatt kniet Magdalena neben ihrem Sohn. Ihre Hand in den Nacken des Liegenden schiebend flüstert sie ihm ins Ohr: „Komm schnell wieder auf die Beine, Großer. Was bist du nur für ein Tunichtgut, dass du dir immer wieder etwas antust? Aber du kannst noch nicht von uns gehen, denn du hast hier noch Aufgaben zu erfüllen!“ Keine Träne tritt aus ihrem Auge und doch schüttelt sie nun ein leises Weinen. Sie neigt den Kopf weit nach vorn und endlich ruht ihre Stirn an seinem Hals.

      „Was ist denn los Mutter, warum weinst du?“ Kaum hörbar dringen die Worte aus dem Mund des Verletzten an ihre Ohren. Geradezu erschrocken hält sie die Luft an und blickt in sein todbleiches Gesicht. Seine Augen sind geöffnet und in ihnen steht die Frage, was denn vorgefallen sei.

      „Was willst du mir noch für Schrecken einjagen, Junge? Kannst du nicht einmal auf deine Mutter Rücksicht nehmen und dabei auch noch auf deinen Vater hören? Was passiert ist? Du hast das Werkzeug in die Luft gelegt und aus lauter Dankbarkeit für deine Schusselei hat der Stechbeitel in dir den nötigen Halt gesucht! Wie willst du jemals ein guter Tischler werden? Bete zu Gott, dass du wieder gesund wirst und keine inneren Organe bedrohlich verletzt sind!“

      Nun endlich finden ihre Tränen den Weg aus den Augen und nur zu willig lässt sie ihnen freien Lauf. Schwach spürt sie den kraftlosen Druck seiner Hand, die sich eher trostsuchend denn trostspendend auf ihren Unterarm gelegt hat.

      Inzwischen sind die zwei Schwestern an der Stadtmauer angelangt. Elisabeths Sorge hat sich auf Johanna übertragen und so eilen sie mit verängstigter Miene hinter dem letzten Haus der Gasse hinüber zum Johannistor. Die alte Roselerin schaut aus ihrem Gärtchen herüber und die Neugier steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Gar zu gern wüsste sie, was vorgefallen sei, um sich mit ihren Gevatterinnen auszutauschen. Natürlich muss sie sich vor ihrem Mann, dem Schuhmacher, in Acht nehmen. Eben will sie den Mädchen nachrufen, da ertönt Michael Roselers Stimme unwirsch aus dem Werkstattfenster: „Brauchst gar nicht erst dein Maul aufreißen! Kümmere dich um deinen Kram, da hast du genug zu tun!“

      Empört wendet sich die Roselerin dem Fenster zu, in dem gerade noch mit Mühe im Dunkeln des Zimmers das Gesicht des Schuhmachers zu erkennen ist. „Du musst mir nicht vorschreiben wollen, was ich mit wem zu besprechen habe!“, keift sie ihren Mann an. „Wir wüssten gar nichts über unsere Nachbarn, wenn es nach dir ginge! Dir wäre es sicher recht, als Einsiedler in den Bergen zu hausen. Deswegen steht unser Haus gewiss auch direkt an der Stadtmauer, wohin sich kaum einer verläuft.“

      Die Antwort des Schuhmachers besteht nur aus einem Brummen, das den Unmut des Alten nicht deutlicher ausdrücken könnte.

      Martha, die jüngste Tochter der beiden und das letzte noch im Haus lebende Kind, hört an der Gartenpforte mit Erheiterung den Wortwechsel der Eltern. Seit Jahr und Tag steht die Tratschsucht der Mutter gegen die Wortkargheit des Vaters und immer wieder entwickeln sich daraus recht unterhaltsame Dispute. Gerade will sie einen bissigen Kommentar zur Auseinandersetzung der Eltern geben, da sieht sie drüben an der Mauer Claus mit einer Gruppe Gleichaltriger entlanghuschen, die es offensichtlich auf einen Schabernack mit den zwei Prescher-Mädchen abgesehen haben.

      Der Junge ist mit seinen zehn Jahren das vierte Kind vom Töpfermeister Reichenhein und aufgrund seines Draufgängertums Anführer einer Bande gleichaltriger Knaben, die in der Gasse und darüber hinaus reichlich von sich reden macht. Geradezu spektakulär sind ihre Streifzüge durch die Höhlen und Keller drüben im Katzberg und nicht erst einmal hat der Michel Reichenhein diese wilde Horde aus dem Berg herausgeprügelt.

      Eilig huscht Martha aus dem Garten und folgt den Lausbuben in sicherem Abstand. „Halt, Martha! Wo willst du hin?“ Die gebieterische Stimme der Mutter erreicht zwar ihr Ohr, allein, sie ist nicht gewillt einzuhalten und so huscht sie um die Ecke des Ratsdienerhauses am Johannistor.

      Es fehlte ihr gerade noch, den Eltern sofort Rede und Antwort zu stehen. Wenn sie jetzt den beiden Mädchen zur Seite stehen will, dann nicht um derentwegen, sondern vielmehr, um den Ruprecht auf sich aufmerksam zu machen. Schon geraume Zeit hat sie ein Auge auf diesen stattlichen Burschen geworfen, aber dieser Narr bemerkt es einfach nicht. Was auch immer sie anstellt, ob beim Tanzen oder Singen, beim Ausflug der jungen Leute in die Auen oder beim Kirchgang, es gelingt ihr einfach nicht, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Es scheint ganz so, als würde Ruprecht gar keine Mädchen wahrnehmen, zumindest nicht so, wie sie es sich vorstellt. Er ist eben ein völlig anderer Kerl als sein Bruder Paul, vor dem kein Rockzipfel sicher ist. Aber Marthas Traum ist es, Ruprechts Weib zu werden. Darüber ist natürlich niemand im Bilde und sie mag es auch nicht ihren Eltern anvertrauen. Wer weiß schon, welchen Mann diese ihr zugedacht haben und wenn das dann nicht der Ruprecht ist …

      Eilig tritt Martha durch das Stadttor. Die Wache ist mit der Kontrolle der Fuhrwerke beschäftigt und so kann sie unbehelligt der Johannisvorstadt entgegeneilen.

      Nicht weit vor ihr hasten die zwei Prescher-Mädchen Hand in Hand die ausgefahrene Zschopauer Landstraße entlang, gefolgt von der johlenden Horde unter Claus‘ Führung, deren Geschrei nicht gerade von Lieblichkeit und Feingefühl zeugt. Plötzlich wird es Johanna zu viel. Sie reißt sich von ihrer Schwester los, dreht sich um und tippt sich über den aufgeplusterten Wangen mit spitzem Zeigefinger an die Stirn. „Haut ab, ihr blöden Kerle! Sucht euch doch ein neues Loch im Katzberg oder ersäuft euch im Tümpel an der Pforte, aber lasst uns in Ruhe!“ Diese deutliche Ansage ist kaum geeignet, die Jungen zu mäßigen. So gewinnt ihr Lärm an Kraft. Zugleich fliegen die ersten Erdklumpen durch die Luft, jedoch beeindruckt dies Johanna aufgrund fehlender Treffsicherheit keineswegs. „Ach die Kleinen, wie süß! Kleinchen wirft Steinchen! Hört ja auf, ihr Rotznasen. Ansonsten greife ich mir einen von euch und klatsche ihm meine Hand so auf die Nase, dass das Blut spritzt!“

      Tatsächlich sind die Jungen ein Jahr jünger als sie und Knaben pflegen in diesem Alter für gewöhnlich nicht größer zu sein als die Mädchen. So ist die Drohung Johannas durchaus ernst zu nehmen, zumal ihr die Kampfeslust überdeutlich ins Gesicht geschrieben steht.

      Claus,

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