Keine Zeit für Arschlöcher!. Horst Lichter

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Keine Zeit für Arschlöcher! - Horst Lichter

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      Ich möchte – weil es mir sehr wichtig ist – vorab ein paar Dinge klären. In diesem Buch stehen natürlich nur meine Erinnerungen. Ich habe sie so aufgeschrieben, wie ich mich erinnert habe. Es gibt logischerweise immer zwei Seiten: Yin und Yang, Sonne und Schatten. Aber in diesem Buch geht es natürlich um meine Sicht der Dinge. Falls jemand sich verletzt fühlen sollte und die Dinge ganz anders sieht, dann tut mir das leid.

      1. Keine Zeit

       für

       Arschlöcher

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      Auf der Fahrt vom Krankenhaus ins Hotel fühle ich mich wie ferngesteuert. Ich schließe die Tür auf und setze mich zitternd auf den Stuhl in meinem Zimmer. Trotz der Kälte draußen bin ich komplett durchgeschwitzt. Schweiß perlt von meiner Stirn, tropft mir auf den Pulli. Ich rauche eine Zigarette nach der anderen, aber das Nikotin kann meine blanken Nerven nicht beruhigen. Die Wut in mir lässt sich kaum verdrängen.

      So schnell geht das also. Ruck, zuck! wird man selber zum Arschloch. Ist ganz einfach. Leider. Ich drücke wieder eine Kippe aus und mache mir gleich die nächste an. Versuche, etwas runterzukommen. Diese blöde Kuh von Krankenschwester, ist doch wahr. Ich bin völlig zerrissen. Zwischen blanker Wut gegenüber dieser Frau und Entsetzen über meine eigene Entgleisung. Ich fühle mich im Recht, aber mir ist mein Benehmen im Nachhinein doch auch schwer peinlich. Wie konnte das nur passieren? Ich versuche, mich ganz nüchtern zu erinnern. Wie bin ich überhaupt in diese Situation geraten? Eine Situation, die mir so schnell über den Kopf gewachsen ist. Ein explosiver Cocktail aus Wut, Trauer und Hilflosigkeit.

      Vor nicht mal einer Stunde saß ich noch in Mutters Krankenzimmer. Sah, wie sie litt. Die Schmerzen, die Angst in den Augen. Und der Scheißtropf mit den Schmerzmitteln leer. Ich hatte dreimal nach der Schwester gerufen, immer freundlich bittend. Und jedes Mal hatte ich nur ein leicht genervtes »kommt ja gleich, kommt ja gleich« aus dem Schwesternzimmer gehört. Kam aber keiner. Die Minuten wurden zur Ewigkeit und mit jedem schmerzvollen Atemzug meiner Mutter wurde ich noch hilfloser und gleichzeitig aggressiver. Ihr unendliches Leid sprang mir ins Genick und biss sich dort fest. Da ich das Elend nicht abschütteln konnte, musste ich mich anderweitig abreagieren. Starrte nochmal auf den leeren Tropf. Immer wieder, bis mir die kalte Wut die Knochen hinaufkroch. Fast genoss ich es, wie dieses Horrorgefühl sich langsam in mir ausbreitete. Aber irgendwann kippte es, und ich sprang wütend auf. Lief auf den Flur und suchte mein Opfer. In dem Moment hatte ich schon jegliche Beherrschung verloren, war nur noch auf Krawall gebürstet. Draußen im Gang prallte ich auf die Krankenschwester – und das Unglück nahm seinen Lauf. Ich weiß gar nicht mehr, was ich brüllte. Sie stand an der Wand, ich wutschäumend vor ihr, völlig außer Kontrolle. Sie verblüfft, angespannt und ängstlich. Ich klinkte komplett durch. Wütete wie ein Irrer. Schrie rum, warum sich hier eigentlich niemand um meine sterbende Mutter kümmerte und ob das keinen vom Personal interessieren würde. Die Rechtfertigungsversuche der verängstigten Pflegerin und das neugierige Getuschel der anderen Gestalten, die vom Lärm angezogen auf dem Flur standen und uns mit Abstand beobachteten, gingen mir am Allerwertesten vorbei. Als ich endlich merkte, dass der Druck entwichen war, mir die Stimme wegblieb und alles in mir in entsetzliche Trauer umschlug, ließ ich die Frau in Ruhe und fing bitterlich an zu weinen. Fluchtartig verließ ich das Krankenhaus, setzte mich ins Auto und fuhr zurück ins Hotel.

      Das Hotel, das seit Wochen mein Zuhause ist. Seit meine Mutter so schwer erkrankt war. Die Wände in meinem Zimmer sind stumme Zeugen meines täglichen Wechselbades aus Hoffnung, Verzweiflung und Resignation. Dabei hatte ich doch genau in diesem Hotel die schönsten Stunden meines Lebens erlebt: meine Hochzeit mit meiner wunderbaren Frau Nada. Aber jetzt sind die Freude und die schöne Erinnerung wie weggeblasen. Meine Mutter liegt ganz in der Nähe im Sterben. Die Leichtigkeit, die ich in den letzten Jahren meiner rasanten Karriere verspürt habe, spült diese Flut von Leiden und Schmerzen einfach weg. Gleichzeitig spüre ich eine Erkenntnis in mir reifen. Der Tod gehört zum Leben, auch wenn wir das gerne verdrängen. Denn erst wenn unsere Eltern sterben, wird uns klar: Wir sind die Nächsten. Nur wann?

      Ich bin 52 Jahre alt. Mir fällt die Geschichte mit dem Maßband wieder ein, die mir ein guter Freund vorgeführt hat. Wir haben einen dieser unvergesslichen, wunderbaren Abende am Küchentisch verbracht. Lecker Bierchen und Wein getrunken. Über Gott und die Welt geplaudert. Gelacht und geweint, uns an gute und böse Menschen erinnert. Und dann hat er dieses verdammte kleine Maßband aus der Manteltasche geholt: »Guck mal, Hotte. Das sind 100 Zentimeter. Oder aber 100 Jahre. Wir werden laut Statistik allerdings nur 78 Jahre.« Er schnappte sich die Schere und schnitt bei 78 Zentimetern ab. »Du bist jetzt 52, also schneide ich hier auch ab.« Und dann drückte er mir diesen mickrigen, kleinen Rest vom Maßband in die Hand und sagte ernst: »Vielleicht hast du noch 26 Jahre. Aber nur vielleicht. Mach was draus, mein Freund.« Ich habe gelacht und genickt. Fand das witzig und dachte noch: »Das musste dir merken, Hotte.« Aber wie ich da so in meinem Hotelzimmer sitze, bleischwer voller trüber Gedanken, wird mir überhaupt erst klar, was mir das Maßband sagen wollte.

      Vor knapp einer Stunde habe ich mich wie ein Arschloch benommen. Dabei waren mir Arschlöcher schon immer zuwider gewesen. Ich hatte nie sein wollen wie diese Typen, die mich seit meiner Kochlehre belächelten. Die mir, als ich noch mein Restaurant hatte, das Leben schwer gemacht haben mit Neid und Missgunst. Arschlöcher braucht kein Mensch, schon gar nicht, wenn uns die Lebenszeit wie Sand zwischen den Fingern zerrinnt. Nein, das Maß ist voll. Ich will weder eine überarbeitete, unterbezahlte Krankenschwester zusammenfalten, die sich auf einer Station alleine gleichzeitig um 20 Patienten kümmern muss. Noch habe ich Lust, in Zukunft meine kostbare Lebenszeit mit unbekömmlichen Zeitgenossen zu verbringen. Es ist an der Zeit, eine wichtige Entscheidung zu treffen.

      Ich bin selbst etwas verwundert, wie laut meine Stimme in dem stillen Hotelzimmer schallt. Und die Worte, die ich höre, überraschen mich nicht. Im Gegenteil, sie erfüllen mich mit großer Zufriedenheit und Zuversicht. Mit einer Zuversicht, die wie ein Leuchtturm durch die dunkle Nacht strahlt und mir Hoffnung macht. Mir wird richtig leicht ums Herz, als ich mich sagen höre: »Keine Zeit mehr für Arschlöcher. Nie mehr.«

      Keine. Zeit. Für. Arschlöcher.

      2. Mutters

       Entscheidung

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      2013 hatte ich mir für das folgende Jahr etwas ganz Unanständiges vorgenommen: Urlaub. Ich hatte seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht, ich hätte Urlaub zu dem Zeitpunkt mit »h« geschrieben, so fremd war mir allein schon das Wort. Also habe ich mir in den Kalender für 2014 dick mit Edding eingetragen, dass ich mal zweieinhalb Monate nicht arbeite. Nix, nothing, niente. Warum? Kinders, mit 14 bin ich von der Schule direkt in die Lehre gekommen und ab da hab ich ja immer durchmalocht. Und wenn ich Urlaub hatte, dann wurde weitergeschackert. Ich brauchte ja Kohle für mein Moped und was weiß ich noch alles. Für den ganzen Blödsinn, den ich so im Leben veranstaltet habe. Spaß kost’ Geld, das heißt ja nicht umsonst so. Dann kam mein Restaurant. Bis das lief, war Urlaub so wahrscheinlich wie Hitzefrei in Grönland. Außerdem: War ja nicht so, dass ich jammernd dagesessen und gesagt hätte »oh Gott, oh Gott, ich armes Schwein hab’ keinen Urlaub«. Ich liebte meinen Laden und die Arbeit ja. Das war mein Leben, mein Ein und Alles. Aber als ich den Laden dann zumachte und wir in den Schwarzwald gezogen waren, fing das Herumreisen erst so richtig an: Dreharbeiten in Hamburg, in Köln, Tournee kreuz und quer durch die Republik … rein ins Hotel, raus aus dem Hotel. Das ganze Jahr unterwegs. Auch wenn ich

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