Das Echo deiner Frage. Eva Weissweiler

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Das Echo deiner Frage - Eva Weissweiler

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auf, ihr Fürsten:

      Ich will singen, dem Herrn will ich singen, dem Herrn, dem Gott Israels, will ich spielen.[34]

      Und noch einen zweiten Namen bekam das Kind: Sophie, »die Tugend« oder »göttliche Weisheit«. Ihre Schwester PaulaKellner, Paula, die nur einen Namen trug, war ein wenig neidisch. »Ich litt schwer unter Eifersucht«, wird sie später schreiben, »ein hässlicher Zug in meinem Charakter, der mir auch später noch viel Leid verursacht hat. Aber sie war eben doch das Nesthäkchen, und vielleicht war auch der tiefste Grund für meine kindliche Eifersucht, dass sie mein Bett usurpierte! Ich war doch schon ein großes Mädel, aber ich schlief immer noch in einem hohen hölzernen Gitterbett. […] Jetzt wurde die Kleine dahinein gelegt, und ich schlief in einer Art Lade […], die abends aufgezogen wurde.«[35]

      Das »Stiefkind«

      PaulaKellner, Paula war noch kein halbes Jahr alt, als ihr VaterKellner, Leon seinen ersten England-Besuch machte, der mehrere Monate dauern sollte. Er wollte dort forschen und Land und Leute kennenlernen, vielleicht, um für immer zu bleiben, weil er glaubte, in England sei »Antisemitismus« ein Fremdwort, während man in Wien Petitionen des »Österreichischen Reformvereins« abdruckte, in denen man forderte, alle nicht aus Wien stammenden Juden auszuweisen und jede weitere Einwanderung zu verhindern, »damit unser schönes Vaterland nicht zum Ablagerungsplatze jener staats- und gesellschaftsgefährdenden Elemente werde, deren sich andere Staaten […] zu entledigen trachten.«[36]

      Anna KellnerKellner, Anna (geb. Weiß) blieb in Wien bei dem Baby, aber nur für kurze Zeit. Nach ein paar Monaten hielt sie es nicht mehr aus, engagierte eine Amme und fuhr zu ihrem Mann. Sie blieb zehn Wochen, die ihr wie ein Honeymoon vorkamen. Nur widerwillig kehrte sie zurück zu ihrem Kind.

      Erst Monate später war KellnerKellner, Leon wieder in Wien, wo er sofort die Lehramtsprüfung für Deutsch, Englisch und Französisch ablegte. Er erhielt eine Stellung an einer k.u.k. Staatsoberrealschule, schrieb Feuilletons über literarische und anglistische Themen und bereitete sich nebenbei auf seine Habilitation vor, sodass er zu Hause eigentlich nur noch physisch präsent war. Die Beziehung zwischen MutterKellner, Anna (geb. Weiß) und Tochter wurde derweil immer schlechter. In ihren Memoiren wird PaulaKellner, Paula später schreiben:

      Ein kleines Mädchen liegt im Bett – und weint. Sie erstickt wohl das Schluchzen im Kissen, so gut sie kann, aber ihr Vater hört sie. Sie liegt auf dem Sofa im Studierzimmer des Vaters, weil das Kinderzimmer von Gästen besetzt ist. Der Vater kommt zu ihr und setzt sich neben sie.

      »Was hast du, Kind?«

      »Mama – Mama!«

      »Hör mich an, mein Kind. Deine Mutter hat das beste Herz der Welt. Es gibt nichts, das sie nicht für dich täte. Aber sie ist jähzornig – verdammt jähzornig … Diese Ausbrüche machen ihr mehr zu schaffen als uns. – Bist du alt genug, um das zu verstehen? Um ihr nicht übelzunehmen was sie schwer hindern kann? Ja?«

      Das runde Gesicht wendet sich ihm zu. Runde blaue Augen starren ihn an. Schließlich lächelt sie unter Tränen und nickt, nicht ganz überzeugt. Der Vater gibt ihr zum zweiten Mal den Gutenacht-Kuss und setzt sich an den Schreibtisch. Sie hört noch seinen schweren Seufzer, ehe sie einschläft.[37]

      Manchmal redete sie sich ein, gar nicht AnnasKellner, Anna (geb. Weiß) leibliche Tochter zu sein, sondern nur ihr »Stiefkind«, was man ihr aber verschwiegen habe. Dieser Gedanke machte alles etwas tröstlicher. Es war ja kein Wunder, dass die Mutter sie nicht liebte. Sie gehörte ja gar nicht hierher. Sie war nur zu Gast.

      Prinzessin im Käfig

      Im Juli 1890, sechs Monate nach Doras Geburt, schloss KellnerKellner, Leon sein Habilitationsverfahren ab und hielt seine ersten Vorlesungen in Anglistik. Er war nun »Privatdozent« und hoffte auf eine Professur. Doch just in diesem Moment kam die Nachricht, dass er versetzt werden sollte, als »k.u.k. wirklicher Lehrer« und »Ordinarius« an die Staats-Oberrealschule im mährisch-schlesischen Troppau.[38] Er hatte nun den Status eines Beamten mit Anspruch auf lebenslange Pension. Seine wirtschaftliche Zukunft war – wenn auch dürftig – gesichert, seine akademische Laufbahn aber beendet, bevor sie richtig begonnen hatte. Wollte man ihn abschieben, weil er Jude war?

      Troppau, die Hauptstadt des österreichischen Kronlandes Schlesien, hatte knapp 23000 Einwohner und war fast sieben Eisenbahnstunden von Wien entfernt. Es gab dort hübsche Barockhäuser, eine Garnison, eine spätgotische Kirche, mehrere deutsche und böhmische Schulen, einige Kaffeehäuser, eine Synagoge, ein Stadttheater, eine Landesirrenanstalt und viel Industrie, hauptsächlich Tuch-, Zucker-, Maschinen- und Papierfabriken. Eigentlich war es ganz hübsch in diesem »schlesischen Wien«, das in einem Tal am Ufer der Oppa lag und von einem dichten Grüngürtel umgeben wurde.[39]

      Für die Kellners muss es sich trotzdem als eine Art Strafversetzung angefühlt haben, ein grandioser Abstieg nach Wien und London. Da sie hofften, nicht lange bleiben zu müssen, behielten sie die Wohnung in der Hetzgasse 8 und mieteten sich nur provisorisch ein, in der Centralbahnstraße 4, heute »Husova«.[40] Wieder an der Straßenbahn, wieder ohne Grün, obwohl es wahrscheinlich ein Leichtes gewesen wäre, etwas Hübsches mit Garten zu bekommen. Aber sie hatten nun einmal kein Geschick bei der Wohnungssuche.

      Trotzdem war PaulaKellner, Paula hier zum ersten Mal richtig glücklich, denn jetzt kam endlich Leben ins Haus. Sie wohnten nicht mehr allein, sondern zusammen mit Tante RosaSchanzer, Rosa (geb. Weiß), einer früh verwitweten Schwester von AnnaKellner, Anna (geb. Weiß), die den Haushalt führte. Nebenbei betrieb sie ein kleines Konfektionsgeschäft. Ihre Tochter ElseWeiss, Else Elserle war genauso alt wie PaulaKellner, Paula, also sechs, ihr Sohn MaxSchanzer, Max neun. Die drei Kinder bildeten ein eingeschworenes Team. Dora stand draußen.

      PaulaKellner, Paula ging nicht zur Schule, obwohl es in Troppau mehrere Elementarschulen gab, darunter sogar eine für Mädchen und eine für jüdische Kinder. Aber KellnerKellner, Leon war wohl der Meinung, dass sie sich gar nicht erst richtig eingewöhnen sollte, weil sie ja sowieso bald wieder wegziehen würden. Vielleicht hatte er auch Angst, sie könnte sich Krankheiten und schlechte Manieren »einfangen«, denn es waren hauptsächlich Arbeiterkinder, die in Troppau zur Schule gingen und ein wildes Gemisch aus Deutsch, Tschechisch, Jiddisch und Polnisch sprachen. Um die Schulpflicht nicht zu verletzen, holte er sich eine amtliche Erlaubnis zum Hausunterricht.

      1893 erkrankte RosasSchanzer, Rosa (geb. Weiß) Tochter »ElserleWeiss, Else Elserle« an Diphtherie und starb wie damals etwa

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