Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich.. Hans-Joachim Grünitz

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Eingezogen. Ein Wehrpflichtiger der NVA erinnert sich. - Hans-Joachim Grünitz

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Und wer nicht blöd war, hatte nichts auszustehen. Doch schlauer als der Vorgesetzte sollte man tunlichst nicht sein. Das war aber nicht immer leicht! Der Stoff, nicht sonderlich anspruchsvoll, war mehr auf Geheimhaltung ausgerichtet. Und der gemeine Soldat ist ja ohnehin nur Befehlsausführender. Er braucht nur soviel zu wissen, um einen Befehl ausführen zu können! Also gab es ein wenig Waffenkunde, die oft zitierte Ballistik oder die Beantwortung solcher Fragen: »Wie sieht der Feind aus, was hat er für Uniformen, welche Waffen und Fahrzeuge?« Hier halfen die von meiner Wandzeitungsredaktion abgemalten Lehrtafeln der Nachbarkompanie. Lehrmaterial war knapp, man mußte sich eben zu helfen wissen.

      Rein ideologisch betrachtet, weiß ich allerdings heute noch nicht, wie unser damaliger Feind ausgesehen hat. Dafür gab es aber zuhauf Erörterungen »Vom Sinn des Soldatseins« im Politunterricht, von uns »Rotlichtbestrahlung« genannt. Auch die »Aktuell politische Information« gehörte dazu. Diese hatte stets eine Tendenz zur Tendenz, will sagen, sie war strikt einseitig in ihrer Betrachtungsweise. Kein Wunder, wollte man doch vom kalten Krieg nicht loslassen. Kurz und gut, es galt das »Militärische Kampfkollektiv« auch theoretisch zu formen.

      Bei all der Theorie war es ein Spaß aus dem Fenster zu schauen. Dort unten auf dem Kasernenhof übten sich unsere Unteroffiziere in der Schutzausbildung. Ja tatsächlich, denen, die uns immer triezten, geschah jetzt selbiges. Natürlich unter Anleitung eines Offiziers. Soviel Hierarchie muß schon sein und wie es richtig geht, kann nur ein Offizier sagen. Wie auch immer, das Lachen unsererseits war nur befehlsmäßig zu unterbinden. Wir hörten an solchen Unterrichtstagen noch etwas von Taktik und Strategie, d.h. die Bedeutung der Wörter wurde erklärt. Sehr tiefgründig waren diese Erläuterungen allerdings nicht, detailliertes Wissen blieb den Offizieren vorbehalten. Man führte uns ein in die Politik und Theorie des Grenzschutzes und man lehrte uns Lieder, wie ja weiter oben schon zu lesen war. Alles in allem zwar langweilig aber eben nicht anstrengend. Eben wunderbare Stunden!

      Maskenball

      Damit es an solchen Tagen nicht gar zu geruhsam zuging, war zwischendurch »Maskenball« angesagt. Tolle Erfindung, durften wir doch nach vorgegebenen Zeiten die Uniform in all ihren Spielarten wechseln und dann immer wieder zum Appell antreten. Wurden Zeiten nicht geschafft, gab es eine Sonderrunde. Oder aber es wurde BA-Appell befohlen. Dann durften wir mit all unseren Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenständen, eingewickelt in unsere Zeltplane, auf dem Kasernenhof erscheinen. Glücklicherweise war die Ausrüstung damals in ihrem Umfang relativ bescheiden.

      Überaus bescheiden war die Ausgangsuniform. Diese bestand im Sommer aus Hose und Paradejacke, getragen mit Schirmmütze, Lederkoppel und schwarzen Halbschuhen. In die Jacke wurde eine weiße Kragenbinde eingeknöpft. Ein Oberhemd und Binder gab es für die einfachen Grundwehrdienstpflichtigen nicht. Die Jacke wurde somit direkt über dem Unterhemd getragen. Das hatte im Sommer natürlich auch Vorteile, denn diese Uniform war ohnehin aus dickem, schwerem und dazu noch kratzigem Stoff. Noch um einige Kilo schwerer war der Mantel, von uns »Pferdedecke« genannt. Dieser wurde im Ausgang getragen wenn »Winter« befohlen war. Bei der Armee ist es nämlich Winter oder Sommer und damit kalt oder warm, wenn die Militärführung dies festlegt. Zu unserem Bedauern stimmten aber Befehle und real existierende Witterung meistens nicht überein. Die Ausgangsuniform zu tragen, hatten wir aber bisher immer noch keine Gelegenheit. Die ersten Wochen der Grundausbildung waren scheinbar unendlich.

      Damit keine Langeweile aufkam und um Zeiten zu überbrücken, wenn mal keine Ausbildung war, standen sogenannte Putz- und Flickstunden auf dem Dienstplan oder wurden einfach eingeschoben. Hier hatten wir Gelegenheit, unsere BA-Gegenstände sauber und in Ordnung zu halten. Wer es noch nicht konnte, lernte spätestens jetzt, mehr oder weniger gut, Knöpfe anzunähen, Dreiangel und kleine Löcher zu reparieren, aufgeplatzte Nähte zuzunähen oder Socken zu stopfen oder letztere wegzuwerfen und neue zu kaufen. Die gab es nämlich in der MHO, der Militär-Handelsorganisation. Und hier gab es auch Kragenbinden, von denen man nicht genug haben konnte. Eine wahre Sammlerleidenschaft war ausgebrochen, denn immerzu die schnell verschmutzenden Kragenbinden zu waschen, war doch sehr zeitraubend und nervig. Diese weißen Kragenbinden hatten wir auch in unserem Felddienstanzug zu tragen. Jeden Tag wurde kontrolliert, ob die auch sauber waren!

      Naturgemäß war der Felddienstanzug am stärksten strapaziert, sollte aber trotzdem immer sauber sein. Die Pflege des Anzuges, wir nannten ihn scherzhaft »ein Strich, kein Strich«, weil er zwecks Tarnung ein Muster aus lauter senkrechten Strichen hatte, bestand vorwiegend im Ausbürsten, Ausklopfen und Fleckentfernung. Von Zeit zu Zeit wurde das gute Stück laut Befehl des Hauptfeldwebels in die Reinigung gegeben. In dieser Zeit mußte dann wohl das DhS, das Diensthabende System, eine Art Einsatz- und Gefechtsbereitschaft für den Ernstfall, gefährdet gewesen sein, da bei uns Reservekampfanzüge eher die Rarität waren. In die Pflegearbeiten wurden all unsere Ausrüstungsgegenstände mit einbezogen. Das ging soweit, daß wir die Metallteile der Gasmaske mit neuer grüner Farbe versahen, damit der Rost unsichtbar wurde. Gut, daß es diese Stunden gab. Sie waren immer auch eine Verschnaufpause, zumal sie oft nicht sinngemäß genutzt wurden.

      Hierarchisch

      Wir lümmelten dann in der Stube herum, quatschten, rauchten, tranken Club-Cola oder Limo und ärgerten uns über die militärisch unbequemen Hocker, auf denen wir sitzen mußten. Die Einrichtung der Unterkünfte erfolgte, wie alles in der Armee, streng hierarchisch. Den Mannschaftsdienstgraden standen eben nur Hocker, Doppelstockbetten mit sehr dünnen Kopfkissen und schmale Spinde zur Verfügung, während die Uffze Stühle, Einzelbetten mit dicken Federkopfkissen und breitere Schränke hatten. Aber die mußten ja auch länger bleiben. Und die, die ganz lange blieben, denen sei es vergönnt, hatten Sessel, bequeme Holzbetten und kleine Schrankwände im Zimmer. Ja, die Hierarchie war allgegenwärtig. Eben nicht nur im Verhältnis der Genossen untereinander mit ihren unterschiedlichen Dienstgraden, Rangabzeichen und sonstigen Effekten, sondern auch in den Ausstattungsmerkmalen. Offiziere hatten im Winter einen Webpelzkragen. Nun stellt sich die Frage, ob der einfache Soldat weniger kälteempfindlich ist? Übrigens gab es BUs, Berufsunteroffiziere, die hatten auch einen Webpelzkragen. Bis heute weiß ich nicht, ob der ihnen denn tatsächlich zugestanden hat.

      Und die Hierarchie machte sich auch in den Rechten der Armeeangehörigen bemerkbar. Zum Beispiel durfte nur ein Offizier in der MHO alkoholische Getränke kaufen. Trinken durfte er sie aber innerhalb des Kasernenengeländes nicht. Das war laut Dienstvorschrift grundsätzlich verboten. Grundsätzlich durchzusetzen war das Verbot jedoch kaum. Vor allem die Offiziere und Unteroffiziere begleitete nicht selten nur die »Truppenstandarte«. Obwohl strengstens verboten, war Alkohol ein immer wieder auftretendes Problem. Gelegentlich gelang es auch uns etwas zu schmuggeln. Postpakete, von den Angehörigen verschickt, wurden allerdings vom Hauptfeld immer argwöhnisch geschüttelt. Es hätte ja was gluckern können. Dann war Paketaufmachen angesagt. Die konfiszierten Flaschen bekam man im günstigsten aber seltenen Fall bei Heimreise zurück, im ungünstigsten Fall wurden sie im Beisein ausgekippt und im für den Hauptfeld günstigsten Fall von diesem und seinen eng Verbündeten ausgetrunken. Der Einfallsreichtum, Alkohol zu schmuggeln, war enorm. Aufwendig getarnt, z.B. in Konservendosen oder anderen unauffälligen Verpackungen, oder gar in Paketen mit doppeltem Boden, wurde versucht, die begehrte Flüssigkeit in die Kaserne zu schicken. Der Spieß, oft mit jahrelanger Berufserfahrung, kannte aber auch sämtliche Tricks und es hing von seiner Laune ab, ob er kurz nach Paketausgabe urplötzlich in der Soldatenstube erschien. Ja, es gab auch Zeiten, da konnte man denken, es gelte der Satz »Leben und leben lassen«. Diese Momente waren allerdings recht selten. Und wenn der Schnaps dann doch in den Kehlen der Vorgesetzten verschwand, hätte man sich zwar beschweren können, aber zum einen war der Dienstweg der Beschwerde lang und zum anderen war man ja durch den Besitz des Feuerwassers im Unrecht.

      Freizeit

      Wie also die kärgliche Freizeit verbringen? Täglich etwa ein bis zwei Stunden waren vorgesehen und die galt es, wie wir im Soldatendeutsch sagten, »abzudienen«. In jeder Kaserne standen sogenannte Klubräume zur Verfügung. Hierin

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