Dolomitenladinisch - Sprachgeschichte und hochschuldidaktische Aspekte. Johannes Kramer
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Auch das Interesse des Autorenteams dieses Werks ist auf dem Wege über zufällige Begegnungen mit dem Ladinischen geweckt worden. Bei mir, Johannes Kramer, ist die Begeisterung für die ladinische Sprache zunächst einmal ein „Beiprodukt“ für das Interesse an der Italianistik gewesen. In den sechziger Jahren war zumindest in Nordrhein-Westfalen die Stunde des Schulfaches Italienisch noch längst nicht gekommen, und wenn man sich für die Sprache und die Kultur Italiens interessierte, war der einzige Weg, sich über Volkshochschulkurse damit zu beschäftigen. Für Fortgeschrittene gab es dann die Beschäftigung mit den Texten von Dante Alighieri: Dafür kamen einmal in der Woche meist ältere Damen des Bildungsbürgertums zusammen, um in gemächlichem Tempo bei einer Lectura Dantis bei einer italienisch-deutschen Übersetzung unter Leitung eines betagten Studienrates den Charme der Canti zu genießen. Für die wenigen Schüler des Gymnasiums, die in ihrer Italien-Begeisterung den Weg zu diesen Dante-Feiern fanden, war ein Anreiz auf jeden Fall ein Monatsstipendium in den Sommerferien, das einem tägliche italienische Unterrichtsstunden in einem der damals noch zahlreichen Orte Italiens verschaffte, wo es ein Comitato der Società Dante Alighieri gab. Die Wahl fiel auf Bressanone/Brixen, wo die Universität Padua Sprachkurse für Ausländerinnen und Ausländer anbot, wo aber gleichzeitig für die regulären italienischen Studierenden Wiederholungskurse veranstaltet wurden, die ihnen ermöglichten, eine Veranstaltung aufzuholen, die sie im Studienverlauf nicht bestanden hatten. Der Zufall wollte es, dass einer dieser Kurse eine gedrängte Einführung in die Romanistik war, wo es um die Ausgliederung der romanischen Sprachen ging. Die Veranstaltung wurde von Carlo Tagliavini geleitet, wobei den sehr wenigen aus dem Ausland stammenden Besuchern absolut nicht klar war, was für eine Größe der Romanistik der Kursleiter wirklich war. Die wichtigste Erfahrung bestand darin, dass das Spektrum der romanischen Sprachen gegenüber dem bescheidenen Gepäck, das man von zu Hause mitbrachte, erheblich erweitert wurde – und eine der Sprachen, deren Behandlung natürlich dem genius loci geschuldet war, war das Ladinische, das ja etwa dreißig Kilometer von Brixen entfernt begann. Was tun wissbegierige Studierende, die von einer bis dahin nicht zum normalen Spektrum gehörenden Sprache hören? Sie kaufen ein einschlägiges Buch. Das war, wieder ein Zufall, die Überarbeitung der „Formenlehre“ aus dem grundlegenden Werk von Johann (Baptist) Alton, Die ladinischen Idiome in Ladinien, Gröden, Fassa, Buchenstein, Ampezzo, Innsbruck, Wagner’sche Universitäts-Buchhandlung 1879, 81–126. Die Überarbeitung wurde im „aurì 1968“ abgeschlossen und lag seit Juli 1968 in der Wegerschen Buchhandlung in Brixen zum Verkauf bereit: J. B. Alton, L ladin dla Val Badia. Beitrag zu einer Grammatik des Dolomitenladinischen, neu bearbeitet und ergänzt von Franz Vittur, unter Mitarbeit von Guntram Plangg mit Anmerkungen für das Marebanische von Alex Baldissera, Druck und Auslieferung A. Weger, Brixen 1968. Freilich, eine Neubearbeitung im engeren Sinne des Wortes war das nicht: 1879 hatte J. B. Alton versucht, eine „Formenlehre“ für die fünf Dialekte zu erstellen, die er zu den „ladinischen Idiomen“ rechnete, 1968 wurde daraus eine kleinräumigere Grammatik für das Abteitalische (l Ladin dla Val Badia) mit Bemerkungen zu Sonderformen in Marebbe (Enneberg) und im unteren Gadertal.
Für den Wortschatz verweist die „Formenlehre“ auf die Behandlung in der Publikation von J. B. Alton von 1879, auf das Vocabolarietto badiotto-italiano von G. S. Martini von 1950 und auf die Parores ladines von Antone Pizzinini, die 1966 im Druck erschienen, aber auf ein Manuskript aus den vierziger Jahren zurückgehen. Ein zuverlässiges etymologisches Wörterbuch war am Ende der sechziger Jahre ein wirkliches Desiderat, zumindest wenn man das Ladinische als echte romanische Sprache mit dem Lateinischen verbinden wollte. Ein etymologisches Wörterbuch, dem noch in mancherlei Hinsicht die Schwächen einer Anfängerarbeit anhaften, habe ich in acht Faszikeln im selbst finanzierten Privatdruck (beim Dissertationsdruck R. J. Hundt) herausgebracht: Etymologisches Wörterbuch des Gadertalischen, Fasz. 1 (A), Köln 1970; Fasz. 2 (B), Köln 1971; Fasz. 3 (C–D–E), Köln 1971; Fasz. 4 (F–G-I), Köln 1971; Fasz. 5 (K–L–M), Köln 1972; Fasz. 6 (N–O–P–R), Köln 1973; Fasz. 7 (S–T), Köln 1974; Fasz. 8 (U–V–Z), Köln 1975.
Eine gründliche Überarbeitung auf dem aktuellen Diskussionsstand der etymologischen Forschung erschien dann in acht Lexikonbänden zwischen 1988 und 1998 im Helmut-Buske-Verlag Hamburg, durch die Bereitstellung von Mitarbeiterstellen gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von der Universität Siegen: Etymologisches Wörterbuch des Dolomitenladinischen (EWD), Band I (A–B), unter Mitarbeit von Ruth Homge, Sabine Kowallik, Hamburg 1988; Band II (C), unter Mitarbeit von Rainer Schlösser, Hamburg 1989; Band III (D–H), unter Mitarbeit von Klaus-Jürgen Fiacre, Brigitte Flick, Sabine Kowallik, Ruth Homge, Hamburg 1990; Band IV (I–M), unter Mitarbeit von Klaus-Jürgen Fiacre, Rainer Schlösser, Eva-Maria Thybussek, Hamburg 1991; Band V (N–R), unter Mitarbeit von Ute Mehren, Klaus-Jürgen Fiacre, Rainer Schlösser, Eva-Maria Thybussek, Hamburg 1993; Band VI (S), unter Mitarbeit von Rainer Schlösser, Hamburg 1995; Band VII (T–Z), unter Mitarbeit von Klaus-Jürgen Fiacre, Ruth (Homge-)Boketta, Ute Mehren, Hamburg 1996; Band VIII, Indizes, unter Mitarbeit von Birgit Arendt, Hamburg 1998. Ausführliche und umsichtige Rezensionen zu den aufeinanderfolgenden Bänden des Etymologischen Wörterbuchs des Dolomitenladinischen sind regelmäßig von Otto Gsell in der Zeitschrift Ladina veröffentlicht worden: 13, 1989, 143–162 und 278–286; 14, 1990, 351–369; 17, 1993, 117–124 und 172–188; 18, 1994, 325–341; 20, 1996, 225–260.
Aus der langen Beschäftigung mit etymologischen Problemen des dolomitenladinischen Wortschatzes entstand bei mir eine allgemeine Begeisterung für die Beschäftigung mit Problemen des Ladinischen, und so sind im Laufe der Jahre allerlei Aufsätze entstanden, die im engeren und weiteren Sinne mit dem Ladinischen zu tun haben. Dabei kamen natürlich Kontakte zu anderen Forscherinnen und Forschern zu Stande, die sich ebenfalls mit dem Ladinischen beschäftigten, und da in einer alten Tradition der Romanistik seit einem Buch von Theodor Gartner (Raetoromanische Grammatik, Heilbronn, Henninger, 1883) die Bezeichnung „Rätoromanisch“ für romanische Varietäten des Zentralalpenraums und des Vorlandes, genauer gesagt für das Bündnerromanische, das Dolomitenladinische und das Friaulische, geläufig war, richteten sich die Interessen auch auf diese sprachlichen Varietäten. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhundert betrieb man Forschungen zum „Rätoromanischen“ an deutschsprachigen Bildungsinstitutionen in Göttingen, in Mainz, in Erlangen, in Innsbruck, in Zürich und in Chur, in Italien waren die Kristallisationspunkte die Universitäten in Padua und Udine, und logischerweise lagen die Akzente nördlich der Alpen eher auf dem Bündnerromanischen, südlich der Alpen auf dem Friaulischen, und das Dolomitenladinische war sozusagen die Klammer zwischen den beiden Gebieten. Natürlich treten die allgemeinen Probleme der Romanistik sozusagen wie unter einem Brennglas auch in der Rätoromanistik auf, und so führt die wissenschaftliche Durchdringung eines, wenn man so will, wissenschaftlichen ‚Randgebietes‘ immer wieder zu den ‚Hauptproblemen‘ des Gesamtfaches Romanistik und damit zu den zentralen Problemen zurück, aber das große persönliche Vergnügen, das man beim Kontakt mit einem noch nicht abgegrasten Territorium in einem an sich unendlich großen Fach hat, ist durch keine Erfahrung in den durch und durch erforschten Standardsprachen zu ersetzen.
Kinder finden im Urlaub bekanntlich schnell Kontakte zu Gleichaltrigen, in diesem Fall zu ladinischen Kindern. Im Alter von 14 Jahren habe ich gefragt, was