Gedankenspiele über das Glück. Paul Jandl
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Paul Jandl
Gedankenspiele über das
Glück
Literaturverlag Droschl
Happy oder glücklich
Es gibt einen Witz mit zwei jüdischen Emigranten, die sich in New York auf der Straße treffen. Der eine sagt zum anderen: »Und? Bist du glücklich?« Dieser andere antwortet nicht, also versucht es der erste noch einmal: »Bist du glücklich?« Es kommt wieder keine Antwort, und er fragt: »Bist du happy?« Da sagt wiederum der andere: »Happy ja, aber glücklich …?« Wer happy ist, muss nicht glücklich sein. Das ist etwas, das wir sofort verstehen, aber nicht unbedingt erklären können. Dass es Nuancen des Glücklichseins gibt, ist Teil unserer Erfahrung. Aus unserer Erfahrung wissen wir aber auch, dass wir Glück gar nicht wirklich definieren können.
Wer kennt es nicht, das Glück? Wer es sieht, der ist sich sicher: das ist es. Aber manchmal schaut es auch nur so aus wie ein Glück. Wir haben uns getäuscht, und das macht uns dann noch unglücklicher, als wir ohne dieses hinterhältige Glück gewesen wären. Es geht auch umgekehrt. Manchmal schaut etwas so aus, als wäre es gar kein Glück, und am Ende stellt sich heraus: es war doch eines. Viele Jahre später stellt es sich heraus. Zu spät. Der Philosoph Immanuel Kant hat über das Ungefähre des Glücks auch nachgedacht. Richtig weit ist er damit nicht gekommen: »Allein es ist ein Unglück, dass der Begriff der Glückseligkeit ein so unbestimmter Begriff ist, dass obgleich jeder Mensch zu dieser zu gelangen wünscht, er doch niemals bestimmt und mit sich selbst einstimmig sagen kann, was er eigentlich wünsche und wolle.«
Das Schlechte am Glück: Es ist relativ. Das Gute am Glück: dass es relativ ist. Wer soll sich da auskennen? Es gibt aber doch immer mehr Leute, die sich auskennen. Im Jahr 2000 hatte der Buchgroßverkäufer Amazon nur 300 Titel zum Thema Glück im Angebot, heute sind es viele Tausend. Überhaupt ist das Glück überall. Es gibt die richtigen Lottozahlen. Es gibt Marmeladen, die einfach nur »Glück« heißen. Es gibt das Unterrichtsfach »Glück«. Das Königreich Bhutan hat den Begriff des »Bruttonationalglücks« eingeführt, weil es sichergehen wollte, dass seine Bürger rundum zufrieden sind und nicht nur ihr Geld zählen.
Wer nicht glücklich ist, nimmt professionelle Hilfe in Anspruch. Ganze Heere von Unglücklichen sitzen in therapeutischen Praxen, erwärmen sich für esoterische Angebote oder kaufen Ratgeber. Herr Eckart von Hirschhausen, der Arzt, der als ambulanter Kurpfuscher täglich in den Talkshows ordiniert, hat ein modernes Sachbuch mit dem Titel »Glück kommt selten allein …« geschrieben. Es wurde ein Bestseller. Frau Ines Maria Eckermann wiederum hat ein Sachbuch über antike Glückstheorien geschrieben. Es wurde kein Bestseller, aber wenn Ines Maria Eckermann Herrn Hirschhausens Erkenntnisse für »zu unspezifisch« hält, hat sie wahrscheinlich recht. Der ganze Sachbuch-Krempel à la Hirschhausen füllt die Buchläden mit Menschen, die es gerne unspezifisch haben wollen. Sie haben drogenhafte Lebenshilfebücher wie Frau Enders’ »Darm mit Charme« schon zuhause, oder Herrn Hirschhausens Elaborat »Die Leber wächst mit ihren Aufgaben«. Auf Zehennägel und Zirbeldrüsen ist in der Verlagsbranche schon Titelschutz beantragt. Der Buchhandel jubelt und der millionenfach verkaufte Herr Hirschhausen sowieso. So geht Glück. Die Soziologin Eva Illouz hat kürzlich gemeinsam mit Edgar Cabanas ein Buch namens »Das Glücksdiktat« geschrieben. Auch ein Buch, das sich sehr gut verkauft. Darin steht der Satz: »Das meiste von dem, was wir für unser Glück tun, ob es uns nutzt, enttäuscht, irreführt oder nicht, nutzt unterm Strich zuallererst jenen, die die Wahrheit über das Glück zu hüten beanspruchen.«
Eine meiner frühen Ideen vom Glück hat mit zwei Holländerinnen zu tun. Wahrscheinlich waren es Freundinnen meiner Großmutter, jedenfalls waren sie plötzlich bei uns zu Besuch. Sie hießen Nell und Wib, saßen einen Sonntagnachmittag lang auf unserem Sofa und sprachen mit jenem holländischen Akzent, der Rudi Carrell im Humorgeschäft zum Durchbruch verholfen hat. Die beiden Damen, deren Verhältnis zueinander mir als Kind nicht ganz klar war, erzählten und lachten. Sie erzählten eigentlich nur, um lachen zu können. Es wäre lächerlich gewesen, hätten sie nur gelacht. Aber so! Die beiden Frauen waren ein Ausbund an Glück, wie man damals vielleicht noch gesagt hätte. Sie waren das Gegenteil jener synthetisch hergestellten guten Laune, die zu dieser Zeit schon ihren Weg in die Fernsehapparate gefunden hatte. Das Fernsehen hat es geschafft, das Glück in seine eigenen medialen Formate abzufüllen. So wie der Marmeladenproduzent das Glück. Man kann es dem Publikum nicht einmal verdenken, dass es in manchen Jahrzehnten geradezu einen Glücksnachholbedarf hatte. Herr Kulenkampff zum Beispiel war damals zur Stelle. Seine blankpolierte Art sagte uns, dass es deutsche Höflichkeitsformen gibt, die durch den Krieg nicht nur keinen Schaden genommen haben, sondern in ihrer zeitlos chevaleresken Art auch in Friedenszeiten anschlussfähig sind. Herr Kulenkampff hat während des Krieges in Russland ein paar Zehen verloren. Ihm hat sich für den Samstagabend ein Mann angeschlossen, der früher bei der SS war. Martin Jente spielte in der Fernsehshow »Einer wird gewinnen« den Butler. Zuvor hatte er in Oberbayern noch eine Kabarettgruppe gegründet, die »Die Hinterbliebenen« hieß. Kein Witz! Die perfekte Tarnung.
Früher, also nach dem Ende des Krieges, war das Glück viel harmoniesüchtiger, als es heute ist. Man kann fast sagen, es war mit Harmonie identisch. Es wölbten sich die Wolken in den Heimatfilmen, und die Gastarbeiter wurden mit Geschenkkörben empfangen. Die siebziger Jahre waren ein einziger Film und wurden ganz in Orange gedreht. Dann kamen die achtziger Jahre. Seither ahnen wir, dass Glück, Glas und Globus vielleicht gleich sind: Wie leicht bricht das! Man kann sich auch täuschen. Retrospektiv schaut das Glück vielleicht immer glücklicher aus, als es in Wirklichkeit war. Man nennt das auch Nostalgie. Irgendetwas in uns sagt: Früher war alles besser. Geordneter. Wir kommen ja gar nicht drauf, dass wir uns die Dinge umso leichter ordnen, je länger sie zurückliegen. Mit Spannung verfolge ich die »Spiegel«-Rubrik »Früher war alles schlechter«. Da gibt es Statistiken zu verschiedenen Bereichen unseres Lebens, und es zeigt sich dann, dass, im Gegensatz zu unserer Annahme, früher gar nichts besser war. Es ist die Pointe dieser Rubrik, zu zeigen, dass unser Leben immer besser wird.
Der österreichische Minnesänger der Nostalgie heißt André Heller. An seiner laufenden Produktion kann man ganz gut erkennen, wann das, woran wir uns erinnern, reif ist für Nostalgie. Reif für das ranzige Schmalz auf der Linse des Rückblicks. Das würde man gerne noch erleben: dass André Heller ein paar wienerische Gstanzln über die Gegenwart singt. Über Tinder und Instagram. »Für immer jung«, singt Heller, der als altes Kind geboren wurde. Für ihn müsste man ein Tinder erfinden, auf dem man sich mit Dienstmädeln oder Hula-Hula-Girls zum Millirahmstrudel verabreden kann.
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