Der Trotzkopf. Emmy von Rhoden

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Der Trotzkopf - Emmy von Rhoden

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die schweigende Ilse an.

      "Wie du Land schreibst, möchte ich von dir wissen," wiederholte sie noch einmal in bestimmtem Tone, der jeden Zweifel, ob er ernst gemeint sei oder nicht, benahm.

      Ilse kräuselte etwas unwillig die Stirn, zog die Lippe in die Höhe und buchstabierte so schnell, daß man ihr kaum folgen konnte: L–a–n–d. Den Blick hatte sie zum Fenster hinausgewandt, um Fräulein Raimar nicht anzusehen.

      "Also nur flüchtig, ich dachte es mir," sagte diese. "Wenn du in Zukunft deine Aufsätze machst, wirst du sehr aufmerksam sein. Fehler, wie ich sie in deinen Aufgaben finde, kommen bei uns nicht mehr in der dritten Klasse vor."

      Es wurden nun Ilse Fragen in den verschiedensten Fächern vorgelegt. Manchmal fielen die Antworten überraschend aus, zuweilen dagegen geradezu einfältig. Doktor Althoff lächelte einigemal, was Ilse das Blut bis hinauf in die braunen Locken trieb. Sie ärgerte sich darüber und drehte ihr Taschentuch wie eine Wurst fest zusammen.

      Im Französischen bestand sie gut. Monsieur Michael, der französische Lehrer, ein älterer Herr mit weißem Haar, redete sie gleich in dieser Sprache an, sie antwortete ihm korrekt und fließend.

      Miß Lead, die englische Lehrerin, die ebenfalls im Institute wohnte, hatte weniger Glück bei ihrer Anrede. Ilse holperte sehr, als sie die Antwort gab.

      "Nun kannst du uns verlassen, Kind," sagte Fräulein Raimar. "Dein Examen ist zu Ende. Später werde ich dir mitteilen, welche Klasse du besuchen wirst."

      Nachdem Ilse das Zimmer verlassen, wurde nach einigem Hin- und Herberaten der Beschluß gefaßt, sie in die zweite Klasse zu geben, im Französischen solle sie indes die erste besuchen.

      "Ich glaube, Ilse wird uns viel Not machen," äußerte die Vorsteherin besorgt. "Sie ist widerspenstig und trotzig, auch kann sie nicht den geringsten Tadel vertragen."

      "Aber sie hat ein gutes Herz," fiel Fräulein Güssow lebhaft ein. "Ich habe noch keine Beweise dafür, aber ich lese es in ihrem schönen, offnen Auge. Ich bin überzeugt, daß ich mich nicht täusche. Eins ist mir indes klar, mit Strenge werden wir wenig ausrichten, dagegen hoffe ich, mit Liebe und Energie wird es uns gelingen, ihren Trotz zu zähmen."

      "Das ist ganz meine Ansicht!" stimmte Monsieur Michael bei, "Sie werden sehen, meine Damen und Herren, Mademoiselle Ilse wird eine Zierde der Pension sein! Mit welcher Eleganz spricht sie französisch, wie gewählt setzt sie die Worte! Ah, sie ist ein Genie!" – Der kleine Herr hatte sich ordentlich in Begeisterung gesprochen und seine Worte mit lebhaften Gestikulationen begleitet.

      "Ich wünsche von Herzen, daß Sie recht haben mögen," entgegnete Fräulein Raimar und erhob sich von ihrem Platze. "An Liebe und Nachsicht wollen wir es nicht fehlen lassen, vielleicht gelingt es uns, Ilse verständig und gefügig zu machen." –

      Fürs erste schien noch wenig Aussicht dazu. Beim Mittagessen legte Ilse wieder den Beweis ab, wie recht Fräulein Raimar hatte, wenn sie behauptete, daß Ilse keinen Tadel vertragen könne.

      Sie hielt die Gabel schlecht. Die Fingerspitzen berührten fast die Speisen. Das Gemüse verzehrte sie mit dem Messer und so heiß, daß sie manchmal, um sich nicht zu verbrennen, den Bissen wieder aus dem Munde fallen ließ. Auch hielt sie den Kopf sehr tief über den Teller gebeugt, was ihr das Aussehen eines hungrigen Kindes gab.

      "Sitze gerade, liebe Ilse," ermahnte die Vorsteherin, "es ist dir nicht gesund, so krumm zu sitzen."

      "Ich esse immer so," erwiderte sie ziemlich kurz.

      "Ich aß immer so, meinst du wohl, mein Kind, denn hier wirst du dich daran gewöhnen, zu thun, was Sitte ist ... Hast du zu Hause auch stets die Gabel so kurz gefaßt und mit dem Messer gegessen?"

      "Ja," sagte Ilse und warf den Kopf leicht in den Nacken. "Papa hatte nie etwas an mir auszusetzen, er war zufrieden, wenn es mir nur schmeckte."

      "Aber die Mama, hat auch sie deine Art zu essen gutgeheißen?"

      Ilse schwieg. Eine Unwahrheit konnte und mochte sie nicht sagen, denn wie oft hatte die Mutter sie ermahnt, und wie oft hatte sie derselben zur Antwort gegeben: "Dann will ich gar nichts essen, wenn du mich immer tadelst."

      Das Fräulein hatte leise, nur für Ilse verständlich gesprochen. Niemand ahnte, was sie sagte, denn ihre Züge sahen mild und freundlich aus. Eine Antwort auf ihre Frage wartete sie nicht ab, aber es gefiel ihr, daß Ilse lieber schwieg, als gegen ihre Ueberzeugung sprach.

      "Nun iß nur, Kind," fuhr sie fort, "mit der Zeit wirst du dich schon gewöhnen. In wenigen Wochen hast du alle deine kleinen Unebenheiten abgestreift und wir werden niemals nötig haben, etwas an dir zu rügen. Nicht wahr?"

      "Ich weiß es nicht," erwiderte Ilse und sah mit einem ziemlich verdrießlichen Gesicht auf ihren Teller nieder.

      "Du mußt dir Mühe geben, dann wird es schon gehen."

      Dazu schwieg Ilse. Natürlich war sie fest davon überzeugt, daß ihr das größte Unrecht geschah. Warum sollte sie nicht natürlich essen? Der Papa hatte stets gesagt, sie solle keine Zierpuppe werden, nun hatte man bei allem, was sie that und wie sie es that, etwas auszusetzen. Sie wagte kaum noch etwas zu genießen und wenn das so weiter ging, wollte sie lieber verhungern. –

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