Der Raubgraf. Julius Wolff
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Stiftsschreiber hieß Florencius, damit das Ding doch einen Namen hatte, denn obwohl er in der höheren Schreibkunst außerordentlich geübt war und diese auch mit Vorliebe pflegte, so gab es doch im Stifte nicht viel zu schreiben für ihn. Er füllte aber seine müßige Zeit gern damit aus, dass er Köpfe und Anfänge von Urkunden und Briefen auf Vorrat schrieb. Eingangsworte wie z. B. »Wir Jutta, von der Gnade Gottes Äbtissin von Quedlinburg usw.« prangten auf einer ganzen Anzahl von Pergamentblättern mit großen buntfarbig gemalten und goldverzierten Anfangsbuchstaben, von Blumenranken und vielverschlungenen Schnörkeln umgeben. Er war auch der vertraute und verschwiegene Geheimschreiber der Konventualinnen, die ihm alle wohlwollten, weil er, obschon ihm zuweilen der Schalk im Nacken saß, von guten Sitten, gefällig und bescheiden war. Der Stiftshauptmann hatte ihnen seine Abkunft verraten, die er eigentlich verschwiegen wissen und durch einen angenommenen Namen vergessen machen wollte, und so betrachteten ihn die Damen als ihnen ebenbürtig und behandelten ihn mehr wie einen adligen Junker, als wie einen Dienenden. Im Übrigen machte er sich nützlich, wo und wie er konnte, als Vorleser, Sänger und Lautenist, kurz, er war der allbeliebte, unentbehrlich gewordene Spiritus familiaris des ganzen Schlosses.
Als die beiden über den Hungerplan, einen hügeligen Anger zwischen der Stadt und den sogenannten Weinbergen, hinwegritten, sagte der Stiftshauptmann, der ihn auf seine ausdrückliche Bitte du nannte: »Sieh mal, Florencius, wie auf dem Brocken der Schnee im Sonnenscheine glänzt!
»Und hier unten im Lande sprießen fröhlich die Saaten, und Sträucher und Hecken fangen an sich zu belauben,« erwiderte der Stiftshauptmann. »Aber wir werden bald Regen bekommen.«
»Woher hast du diese Wissenschaft?« frug Herr Willekin.
»Ei Herr, wisst Ihr denn nicht, dass sich unsere Dekanissin, Fräulein Gertrud von Meinersen, auf das Wetter versteht wie der älteste Schäfer? Sie hält sich einen Laubfrosch, für den sie im ganzen Schlossen herum Fliegen fängt und auf den sie sich mit ihren Weissagungen verläßt.«
»Trifft es denn auch ein, was sie weissagt?«
»Nicht immer,« lachte Florencius, »und dann kriegt der Laubfrosch zur Strafe, dass er gelogen hat, zwei Fliegen weniger.«
»Du lieber Gott!« sagte Herr Willekin. »Wo hat sie denn den Laubfrosch her?«
»Wo soll sie ihn her haben! Ich habe ihn fangen müssen, als der vorige seine letzte Fliege gefressen hatte; es war eine giftige, – sagt die Scholastika.«
»Sagt die Scholastika, so! Die ist wohl die Lustigste im ganzen Kapitel?« frug Herr Willekin.
»Das ist schwer zu sagen, Herr Stiftshauptmann,« antwortete Florencius und fuhr nach einer kurzen Überlegung fort: »Ich glaube, die Custodin und die Sangmeisterin übertreffen sie noch. Wenn die beiden ihre blonden Köpfe zusammenstecken, so läuft es in der Regel auf einen merklichen Possen hinaus, über den es ein paar Tage lang zu lachen gibt. Am liebsten hängen sie einer der beiden Ältesten, der Pröpstin und der Dekanissin, eine Schelle an.«
»Florencius!« drohte der Stiftshauptmann, »wem hängt man Schellen an?!«
»Verzeiht, Herr!« lachte der Jünger, »aber ich muss ja oft genug helfen; sie lassen mir keine Ruhe, und wenn Gräfin Luitgard von Stolberg nicht wäre, die immer zu schlichten und zu sühnen sucht, was die jüngeren Fräulein in ihrem Übermut gefehlt haben, so ging es manchmal arg zu.«
»Und die Domina?«
»Die Domina? nun, Herr, – Ihr wißt wohl, die freut sich, wenn die Pröpstin sich ärgert, und Gräfin Adelheid von Hallermund lacht auch lieber, als dass sie weint. Neulich haben es unsere lieben Jüngsten aber doch einmal zu toll getrieben, so dass sie es büßen mussten.«
Auf einen ermunternden Blick des Stiftshauptmann erzählte Florencius: »Wie Euch bekannt, ist die Dekanissin eine Meisterin im Sticken schwerer Wandteppiche mit Figuren aus der Geschichte der Heiligen, eine Liebhaberei von ihr, mit deren aufgezwungener Erlernung sie den jüngeren Damen manche qualvolle Stunde bereitet. Nun hatte sie kürzlich wieder einen solchen Teppich in Arbeit, auf dem die heilige Apollonia, die viel angerufene, von der Dekanissin besonders verehrte Helferin bei Zahnschmerzen, in Pflegung ihres gnadenreichen Amtes dargestellt war. Da schmiedete unser durchtriebenes Vierblatt einen mutwilligen Plan und brachte ihn, sorglich vorbereitet, zur Ausführung. Die Cameraria, Gräfin Agnes von Schrapelau, und die Scholastika, Fräulein Hedwig von Hakeborn, mussten die Dekanissin beim Fliegenfangen in einem entlegenen Teile des Schlosses möglichst lange festhalten; unterdessen schlichen sich die Kustodin und die Sangmeisterin in das Zimmer des Fräulein Gertrud von Meinersen und stickten der heiligen Apollonia mit flüchtigen, groben Stichen eine schneckenartig gewundene Haarflechte an die Schläfe, wie sie die Dekanissin selber trägt, versahen auch die Heilige mit einer so langen Nase und einem so eckigen Kinn, dass ihr Bild mit den Zügen der Dekanissin eine überraschende Ähnlichkeit erhielt. Die also Abkonterfeite erhob einen fürchterlichen Lärm über die Untat. Auch die stets nachsichtige Thesauraria stellte sich diesmal auf die Seite der Beleidigten und setzte mit dieser und der Pröpstin trotz Fürbitte der Gräfin Adelheid die Bestrafung der Schuldigen durch. Die beiden überführten Missetäterinnen Mechtild von Klettenberg und Sophia von Hohenbuch mussten am anderen Morgen auf vierundzwanzig Stunden in das dunkle Bußkämmerlein unterhalb der Krypta wandern, zu ihrem Glück beide zusammen, damit sie sich gegenseitig trösten konnten. An dem Nachmittage aber kam der Erbmarschall des Stiftes Herr Gerhard von Ditfurt zum Besuch, vermisste die beiden Blonden und erfuhr die Geschichte. Erst lachte er aus vollem Halse zum großen Verdruss der beiden alten Kat–«
»Florencius!!«
»– der beiden ehrwürdigen Fräulein Kunigunde und Gertrud, dann bat er um Gnade für die zwei Eingesperrten. Er brauchte nicht lange zu bitten; die Domina war froh, einen Anlaß zu waltender Milde zu haben. Die Kanonissin Gräfin Adelheid holte die mäßig Zerknirschten aus ihrem tiefen Verlies herauf, und nach einer Strafpredigt der gnädigen Frau, bei der das ganze Kapitel, die einen vor verbissenem Ärger, die anderen vor unterdrücktem Lachen, rot wurde, war die Sache für diesmal tot und abgetan. Soll mich nur wundern, was der nächste Schelmenstreich sein wird.«
Jetzt musste auch Herr Willekin lachen, und der Stiftsschreiber stimmte fröhlich ein.
Unter so kurzweiligen Gesprächen ritten die beiden selbander durch die grünende Flur. Ihnen teils zur Linken, teils im Rücken dehnte sich der gewaltige, dunkelblaue Kamm des Gebirges in langer, sich immer höher hebender Linie von der weit sichtbaren Burg zu Ballenstedt bis zu dem schneebedeckten Gipfel des Brockens. Auf der Höhe des Liebfrauenberges haltend und die Rossen wendend, betrachteten sie mit Freuden das ihnen wohlbekannte, entzückende Bild.
Im Lande vor ihn wechselten fruchtbare Ackerbreiten und Wiesen, durch welche die Bode und eilende Bäche an freundlichen Dörfern und umbuschten Mühlen blinkend vorüberzogen, mit klippengekrönten Hügeln und gewölbten Bergrücken ab, auf denen einsame Warten standen zum Ausflug in die Runde. Die noch unvollendeten Domtürme von Halberstadt winkten aus der Ferne herüber, während die Stadt Quedlinburg hinter Bergen versteckt lag; nur das Schloss, aus dessen innerem Leben Florencius eine so ergötzliche Schilderung zum besten gegeben hatte, ragte darüber hinaus. Dahinter aber, halbwegs vor der breiten Schlucht des Bodetales, starrte