Seemanns-Legende und andere Erzählungen. Henryk Sienkiewicz

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Seemanns-Legende und andere Erzählungen - Henryk Sienkiewicz

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       Henryk Sienkiewicz

      Seemanns-Legende und andere Erzählungen

      Books

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       [email protected]

      2017 OK Publishing

      ISBN 978-80-272-1243-9

       Komödie der Irrungen

       Die Jagd nach dem Glück

       Auf dem “großen Wasser”

       Der Leuchtturmwächter

       Waldidyll

       Seemanns-Legende

       Der Organist von Ponikla

       Orso

       An der Quelle

       Komödie der Irrungen

      Eine Skizze aus dem amerikanischen Leben.

      Inhaltsverzeichnis

      Vor fünf oder sechs Jahren wurden in der Grafschaft Maryposa in einer gewissen Ortschaft Naphtaquellen entdeckt. Bei dem immensen Gewinn, den derartige Gruben in den amerikanischen Staaten abwerfen, gründete gleich ein Unternehmer eine Gesellschaft, um die neuentdeckten Quellen zu verwerten. Es wurden verschiedene Maschinen, Pumpen, Bohrer und andere Gerätschaften angekauft, Arbeiterhäuser wurden erbaut, und die Ortschaft Struck Oil getauft. Nach einer geraumen Zeit erhob sich in einer öden, unbewohnten Gegend eine Ansiedlung, die aus einigen Dutzend Häusern mit einer Bevölkerung von mehreren hundert Arbeitern bestand. Zwei Jahre später hieß Struck Oil schon Struck Oil City, und es war tatsächlich schon eine City im vollen Sinne des Wortes entstanden. Es lebten bereits ein Schuster, ein Schneider, ein Zimmermann, ein Schmied, ein Fleischer und ein Doktor in der Stadt, ein Franzose, der seinerzeit in Frankreich die Bärte rasierte, im übrigen aber ein »gelehrter« und unschädlicher Mensch war, was bei einem amerikanischen Doktor schon viel sagen will. Wie das in kleinen Städten häufig der Fall ist, unterhielt der Doktor zugleich die Apotheke und die Post; und so hatte er eine dreifache Praxis. Er war als Apotheker ebenso unschädlich wie als Doktor, denn in seiner Apotheke waren nur zwei Arzneien erhältlich: Zuckersirup und Canol. Dieser stille und sanfte Greis pflegte seinen Patienten gewöhnlich zu sagen: »Habt vor meinen Arzneien keine Angst. Ich habe die Gewohnheit, wenn ich einem Kranken eine Arznei gebe, immer eine gleiche Dosis selbst einzunehmen, denn wenn sie mir Gesundem nicht schadet, wird sie auch den Kranken nichts schaden. Nicht wahr?«

      »Ganz richtig,« antworteten die befriedigten Bürger, denen es gar nicht einfiel, daß es die Pflicht eines Arztes sei, nicht nur dem Kranken nicht zu schaden, sondern zu helfen.

      Herr Dasouville – so hieß der Doktor – glaubte aber besonders an die wunderbaren Folgen des Canol. Auf Volksversammlungen zog er zum Beispiel den Hut vom Haupte, und sich zum Publikum wendend, sagte er: »Meine Herren und Damen! Überzeugt Euch von der Wirkung meines Mittels. Ich bin siebzig Jahre alt. Seit vierzig Jahren nehme ich täglich Canol ein, und schaut, ich habe kein einziges graues Haar auf dem Kopf.«

      Die Damen und Herren aber bemerkten, daß der Doktor nicht nur kein einziges graues Haar, sondern überhaupt keins hatte, denn sein Kopf war kahl wie ein Lampenschirm. Da aber derartige Bemerkungen zu Struck Oil Citys Gedeihen in gar keiner Weise beitrugen, wurden sie auch nicht weiter beachtet.

      Unterdessen wuchs und gedieh Struck Oil City.

      Nach Ablauf von zwei Jahren wurde eine Zweigbahn errichtet. Die Stadt hatte schon ihre eigenen Beamten; der Doktor, der allgemein beliebt war, wurde als Repräsentant der Intelligenz zum Richter eingesetzt, der Schuster, ein Jude aus Polen, Mister Devis, zum Sheriff, das heißt, Chef der Polizei, die nur aus dem Sheriff und sonst niemand bestand. Es wurde eine Schule errichtet, deren Leitung man einer uralten, kränklichen Jungfrau übertrug. Schließlich wurde auch das erste Hotel unter der Firma »United States Hotel« eröffnet.

      Die Geschäfte nahmen auch einen ungewöhnlichen Aufschwung. Der Naphtaexport warf einen guten Profit ab. Man sah, daß Mister Devis vor seinem Laden ein Schaufenster errichten ließ, ähnlich wie die, die in San Francisco die Schuhhandlungen schmücken. Dafür wurde dem Herrn Devis von den Bürgern für diese neue Zierde der Stadt öffentlicher Dank gesagt, worauf Mister Devis mit der Bescheidenheit eines großen Bürgers antwortete: »Danke Euch, danke Euch sehr!«

      Wo es einen Sheriff und Richter gibt, dort kommen auch Prozeßsachen vor, das erheischt Schreibwaren und Papier, und so entstand an der Ecke der Long-Street ein Papiergeschäft, in dem man politische Journale und Karikaturen verkaufte und sich über die Vereinigten Staaten lustig machte. Die Pflichten eines Sheriffs erheischten es ganz und gar nicht, den Verkauf derartiger Illustrationen zu verbieten, denn das gehört nicht zur Polizei.

      Aber das genügte nicht. Eine amerikanische Stadt kann ohne eine Zeitung nicht leben und so entstand im zweiten Jahr eine Zeitschrift unter dem Titel: »Samstags-Wochen-Rundschau«, die so viel Abonnenten wie Struck Oil City Einwohner zählte. Der Redakteur dieser Zeitung war gleichzeitig deren Herausgeber, Drucker, Verwalter und Austräger. Die letztere Obliegenheit war freilich um so leichter, da er sich außerdem Kühe hielt und jeden Morgen die Milch austragen mußte. Das hinderte ihn aber ganz und gar nicht, die politischen Leitartikel mit den Worten zu beginnen: »Wenn unser infamer Präsident der Vereinigten Staaten den Rat, den wir ihm in unserer vorigen Nummer erteilten, befolgt hätte …« und so weiter.

      Wie man sieht, fehlte also nichts im gesegneten Struck Oil City. Da sich außerdem die Grubenarbeiter, die sich mit Petroleumgewinnung beschäftigten, weder durch Gewalttätigkeit noch durch rüde Sitten, wie die Goldsucher, auszeichneten, war es in der Stadt ruhig. Es kamen keine Raufereien vor und von einer Lynchjustiz hörte man niemals. Das Leben floß ruhig dahin und ein Tag war wie der andere. In der Frühe ging jeder seinen Geschäften nach, abends verbrannten die Bürger den Kehricht auf den Gassen, und wenn es kein Treffen gab, gingen sie schlafen.

      Der einzige Kummer des Sheriffs war, daß er den Bürgern nicht abgewöhnen konnte, des Abends mit Flinten auf die wilden Gänse zu schießen, die über die Stadt dahinflogen. Die Stadtgesetze verbieten das Schießen in den Straßen. »Wenn dies irgendein obskures Städtchen wäre,« pflegte der Sheriff zu sagen, »nun, da hätte ich geschwiegen; aber in solch einer großen Stadt piff, paff! piff, paff! das ist nicht erlaubt.«

      Die

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