Unterm Rad. Hermann Hesse

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Unterm Rad - Hermann Hesse

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des Händlers Sackmann vorbei, in dem er noch als ganz kleiner Bub einmal mit ein paar andern unreife Pflaumen gestohlen hatte. Und am Kirchnerschen Zimmerplatz, wo die weißen Tannenbalken herumlagen, unter denen er früher immer Regenwürmer zum Angeln gefunden hatte. Er kam auch am Häuschen des Inspektors Geßlers vorüber, dessen Tochter Emma er vor zwei Jahren auf dem Eis so gern den Hof gemacht hätte. Sie war das zierlichste und eleganteste Schulmädel der Stadt gewesen, gleich alt wie er, und er hatte damals eine Zeitlang nichts so sehnlich gewünscht, als einmal mit ihr zu reden oder ihr die Hand zu geben. Es war nie dazu gekommen, er hatte sich zu sehr geniert. Seither war sie in eine Pension geschickt worden und er wußte kaum mehr, wie sie aussah. Doch fielen diese Bubengeschichten ihm jetzt wieder ein, wie aus weitester Ferne her, und sie hatten so starke Farben und einen so seltsam ahnungsvollen Duft, wie nichts von allem seither Erlebten. Das waren noch Zeiten gewesen, als man abends bei Nascholds Liese im Torweg saß, Kartoffeln schälte und Geschichten anhörte, als man Sonntags in aller Frühe mit hochgekrempelten Hosen und schlechtem Gewissen beim untern Wehr ins Krebsen oder auf den Goldfallenfang gegangen war, um nachher in durchnäßten Sonntagskleidern vom Vater Prügel zu bekommen! Es hatte damals so viel rätselhafte und seltsame Dinge und Leute gegeben, an die er nun schon lange gar nimmer gedacht hatte! Der Schuhmächerle mit dem krummen Hals, der Strohmeyer, von dem man sicher wußte, daß er sein Weib vergiftet hatte, und der abenteuerliche „Herr Beck“, der mit Stecken und Schnappsack das ganze Oberamt durchstrich und zu dem man Herr sagte, weil er früher ein reicher Mann gewesen war und vier Pferde samt Equipage besessen hatte. Hans wußte von ihnen nichts mehr als die Namen und empfand dunkel, daß diese obskure, kleine Gassenwelt ihm verloren gegangen war, ohne daß etwas Lebendiges und Erlebenswertes statt dessen gekommen wäre.

      Da er für den folgenden Tag noch Urlaub hatte, schlief er morgens in den Tag hinein und genoß seine Freiheit. Mittags holte er den Vater ab, der noch von allen den Stuttgarter Genüssen selig erfüllt war.

       „Wenn du bestanden hast, darfst du dir etwas wünschen“, sagte er gutgelaunt. „Überleg’ dir’s!“

      „Nein, nein,“ seufzte der Knabe, „ich bin sicher durchgefallen.“

      „Dummes Zeug, was wirst du auch! Wünsch’ dir lieber was, eh’s mich reut.“

      „Angeln möcht’ ich in den Ferien wieder. Darf ich?“

      „Gut, du darfst, wenn’s Examen bestanden ist.“

      Am nächsten Tage, einem Sonntag, ging ein Gewitter und Platzregen nieder und Hans saß stundenlang lesend und nachdenkend in seiner Stube. Er überdachte seine Stuttgarter Leistungen nochmals genau und kam immer wieder zu dem Ergebnis, er habe heillos Pech gehabt und hätte viel bessere Arbeiten machen können. Zum Bestehen würde es nun auf keinen Fall mehr reichen. Das dumme Kopfweh! Allmählich bedrückte ihn eine wachsende Bangigkeit und schließlich trieb eine schwere Sorge ihn zu seinem Vater hinüber.

      „Du, Vater!“

      „Was willst?“

      „Etwas fragen. Wegen dem Wünschen. Ich will lieber das Angeln bleiben lassen.“

      „So, warum denn jetzt das wieder?“

      „Weil ich ... Ach, ich wollte fragen, ob ich nicht ...“

      „Heraus damit, ist das eine Komödie! Also was?“

      „Ob ich aufs Gymnasium darf, wenn ich durchfalle.“

      Herr Giebenrath war sprachlos.

      „Was? Gymnasium?“ brach er dann los. „Du aufs Gymnasium? Wer hat dir das in den Kopf gesetzt?“

      „Niemand. Ich meine nur so.“

      Die Todesangst stand ihm im Gesicht zu lesen. Der Vater sah es nicht.

      „Geh, geh“, sagte er unwillig lachend. „Das sind Überspanntheiten. Aufs Gymnasium! Du meinst wohl, ich sei Kommerzienrat.“

       Er winkte so heftig ab, daß Hans es aufgab und verzweifelnd hinausging.

      „Ist das ein Bub!“ grollte er hinter ihm her. „Nein so was! Jetzt will er gar noch aufs Gymnasium! Ja prosit, da brennst du dich.“

      Hans saß eine halbe Stunde lang auf dem Fenstersims, stierte auf den frisch geputzten Dielenboden und versuchte sich vorzustellen, wie das sein würde, wenn es nun wirklich mit Seminar und Gymnasium und Studieren nichts wäre. Man würde ihn als Lehrling in einen Käsladen oder auf ein Bureau tun und er würde zeitlebens einer von den gewöhnlichen armseligen Leuten sein, die er verachtete und über die er absolut hinaus wollte. Sein hübsches, kluges Schülergesicht verzog sich zu einer Grimasse voll Zorn und Leid, wütend sprang er auf, spuckte aus, ergriff die daliegende lateinische Chrestomathie und warf das Buch mit aller Wucht an die nächste Wand. Dann lief er in den Regen hinaus.

      Am Montag früh ging er wieder in die Schule.

      „Wie geht’s?“ fragte der Rektor und gab ihm die Hand. „Ich dachte, du würdest schon gestern zu mir kommen. Wie war’s denn im Examen?“

      Hans senkte den Kopf.

      „Na, was denn? Ist’s dir schlecht gegangen?“

      „Ich glaube, ja.“

      „Nun, Geduld!“ tröstete der alte Herr. „Vermutlich kommt noch heute vormittag der Bericht von Stuttgart.“

      Der Vormittag war entsetzlich lang. Es kam kein Bericht und beim Mittagessen konnte Hans vor innerlichem Schluchzen kaum schlucken.

      Nachmittags, als er um zwei Uhr ins Schulzimmer kam, war der Klassenlehrer schon dort.

      „Hans Giebenrath“, rief er laut.

      Hans trat vor. Der Lehrer gab ihm die Hand.

       „Ich gratuliere dir, Giebenrath. Du hast das Landexamen als Zweiter bestanden.“

      Es entstand eine feierliche Stille. Die Tür ging auf und der Rektor trat herein.

      „Ich gratuliere. Nun, was sagst du jetzt?“

      Der Bub war ganz gelähmt vor Überraschung und Freude.

      „Na, sagst du gar nichts?“

      „Wenn ich das gewußt hätte,“ fuhr es ihm heraus, „dann hätt’ ich auch vollends Primus werden können.“

      „Nun geh heim“, sagte der Rektor, „und sag’ es deinem Papa. In die Schule brauchst du jetzt nicht mehr zu kommen, in acht Tagen fangen ja ohnehin die Ferien an.“

      Schwindlig kam der Junge auf die Straße hinaus, sah die Linden stehen und den Marktplatz in der Sonne daliegen, alles wie sonst, aber alles schöner und bedeutungsvoller und freudiger. Er hatte bestanden! Und er war Zweiter! Als der erste Freudensturm vorüber war, erfüllte ihn ein heißes Dankgefühl. Nun brauchte er dem Stadtpfarrer nicht aus dem Wege zu gehen. Nun konnte er studieren! Nun brauchte er weder den Käsladen noch das Kontor mehr zu fürchten!

      Und jetzt konnte er auch wieder angeln. Der Vater stand gerade in der Haustür, als er heimkam.

      „Was gibt’s?“ fragte er leichthin.

      „Nicht

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