Das Evangelium nach Lukas. Ambrosius von Mailand
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12.
[Forts. ] Adressiert aber ist das Evangelium an Theophilus, d. i. den Gottgeliebten. Wenn du Gott liebst, ist es an dich geschrieben; wenn es an dich geschrieben ist, nimm das Geschenk des Evangelisten hin! Bewahre des Freundes Pfand im Inneren des Herzens! „Bewahre die schöne Hinterlage durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist"91, betrachte sie häufig, erwäge sie oftmals! Treue gebührt vor allem dem Pfande; der Treue folgt Sorgfalt, daß nicht Motte oder Rost die dir anvertrauten Pfänder verzehre92; denn verzehrbar ist, was dir anvertraut ist. Das Evangelium ist ein schönes Pfand, doch sieh zu, daß nicht in deinem Herzen Motte oder Rost es verzehren! Mottenfraß ist’s, wenn du der guten Lektüre schlechten Glauben schenkst.
13.
Eine Motte ist der Häretiker, eine Motte Photinus, eine Motte für dich Arius. Es zernagt das Kleid (der Gottheit), wer das Wort von Gott trennt. Es zernagt das Kleid Photinus, da er liest: „Im Anfange war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war"; denn unversehrt bleibt das Kleid, wenn du liest: „Und Gott war das Wort"93. Es zernagt das Kleid, wer Christus von Gott trennt. Es zernagt das Kleid, wer liest: „Das ist aber das ewige Leben, daß sie dich erkennen, den alleinigen wahren Gott"94, wenn er nicht auch Christus erkennt. Denn nicht allein den Vater wahrhaft als Gott erkennen, ist ewiges Leben, sondern auch Christus als wahren Gott erkennen, als den Wahren vom Wahren, als Gott von Gott, ist unsterbliches Leben. Mottenfraß ist’s, Christus erkennen zu wollen ohne den Glauben an seine Gottheit oder ohne das Geheimnis seiner Menschheit. Eine Motte ist Arius, eine Motte ist Sabellius. Diese Motten duldet nur der Geist der Glaubensschwachen. Diese Motten duldet nur der Geist, der nicht glaubt, daß der Vater und der Sohn eins sind in der Gottheit. Das Schriftwort: „Ich und der Vater sind eins"95 zernagt, wer das „eins" durch die Annahme verschiedener Wesenheiten teilt. Diese Motte duldet nur der Geist, der nicht glaubt,„daß Christus im Fleische gekommen ist"96: und er selbst ist eine Motte; denn er ist ein Antichrist97. Die aber aus Gott sind, halten am Glauben fest und können darum die Motte nicht dulden, die das Kleid zerteilt. Denn alles, was unter sich geteilt ist, wie des Satans Reich, kann nicht ewig sein98.
14.
Es gibt auch einen Rost der Seele, wenn der scharfe Stahl des religiösen Eifers von der Kruste weltlicher Begierden belegt oder des Glaubens Reinheit von der Dunstschicht des Unglaubens getrübt wird. Ein Rost des Geistes ist die Begierde nach Hab und Gut; ein Rost des Geistes ist die Lauheit; ein Rost des Geistes ist ein Streben nach Würden, wenn man hierin das höchste Hoffnungsideal des gegenwärtigen Lebens setzt. Darum laßt uns, dem Göttlichen zugewendet, den Geist schärfen, die Begeisterung entflammen, daß wir jenes Schwert, das der Herr um den Erlös des Rockes zu kaufen heißt99, stets bereit und blank gleichsam in der Scheide des Geistes verwahrt zu halten vermögen! Denn die geistigen, tapfer „für Gott (kämpfenden) Waffen zur Zerstörung von Bollwerken“ 100 müssen den Streitern Christi stets zur Hand sein, damit nicht der Führer der himmlischen Heerschar101 bei seiner Ankunft über den Zustand unserer Waffen aufgebracht wird und uns vom Verband seiner Legionen ausschließt.
2. Zacharias und Elisabeth; des Zacharias Opfer und Engelserscheinung, Luk. 1, 5―12
Eltern und Ahnen der Stolz der Kinder. Die Ruhmestitel und der religiöse Erbadel des Täufers (15 f.). Die Möglichkeit eines sündelosen Lebenswandels nach Taufe und Bekehrung (17). Das „Gerechtsein vor Gott“: Gott urteilt nach der inneren Absicht, nicht nach dem äußeren Erfolg (18—20). Des Täufers Lob bei Lukas ein ,volles Lob' (21). Zacharias anscheinend ein Hoherpriester. Der durch das Los erkorene, wechselnde Hohepriester im Alten Bunde Typus des ewigen Hohenpriesters Christus im Neuen Bunde (22—23). Der biblische Begriff ‚erscheinen'. Theophanien, Engelserscheinungen. Vorbedingungen des Schauens Gottes und der Engel (24―27). Die ,Rechte' Metapher für Huld und Hilfe Gottes (28).
15.
[Forts. ] * „Es war in den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa, ein Priester mit Namen Zacharias aus der Reihe Abias; und sein Weib war von den Töchtern Aarons und hieß Elisabeth. Beide waren gerecht und wandelten in allen Geboten und Urteilen des Herrn untadelig"102.*
Es lehrt uns die Göttliche Schrift, daß bei Männern, die des Ruhmes würdig sind, nicht bloß dem sittlichen Wandel, sondern auch den Eltern Lob gebührt: wie ein überkommenes Erbe leuchtet an denen, welchen unser Lob gilt, der Vorzug makelloser Lauterkeit hervor. Was anders auch bezweckt der heilige Evangelist an unserer Stelle als den Ruhm aufzuzeigen, in welchem Eltern, Wunder, Wandel, Beruf und Leidenstod den heiligen Johannes erstrahlen lassen? So erfährt auch des heiligen Samuel Mutter Anna Lob103; so erbte Isaak von den Eltern den Adel der Frömmigkeit, den er auf die Nachkommen fortpflanzte. So war denn Zacharias „Priester", nicht bloß Priester, sondern auch „aus der Reihe Abias", d. i. eines Edlen von Geburt unter den Altvordern104.
16.
[Forts. ] „Und sein Weib war von den Töchtern Aarons." Also nicht bloß von den Eltern, sondern auch von den Altvordern leitet sich der Adel des heiligen Johannes her: nicht von weltlicher Machthoheit strahlend, sondern ehrwürdig als religiöser Erbadel. Solche Vorfahren nämlich waren dem Vorboten Christi vonnöten, damit es offenbar würde, daß er den Glauben an die Ankunft des Herrn, den er verkündete, nicht von ungefähr angenommen, sondern von den Vorfahren überkommen und gleichsam von Natur eingepflanzt erhielt.
17.
„Es waren beide gerecht und wandelten in allen Geboten und Urteilen des Herrn untadelig." Was sagen hierzu jene, die als Schild über ihre Sünden den Trostgedanken halten105, es könne der Mensch nicht ohne häufiges Sündigen leben, und hierfür auf den Schriftvers im Buche Job sich beziehen: „Niemand ist rein von Makel, und selbst wenn sein Leben nur einen Tag dauerte; eine große Zahl von Monden auf Erden hängt von ihm (Gott) ab"106. Diesen nun ist zunächst entgegenzuhalten, sie mögen genau den Sinn der Worte angeben: „der Mensch sei ohne Sünde"; heißt das: er habe überhaupt niemals gesündigt, oder: er habe zu sündigen aufgehört? Halten sie nämlich das „ohne Sünde sein" gleichbedeutend mit ‚aufgehört haben zu sündigen', bin auch ich einverstanden ― „denn alle haben gesündigt und ermangeln der Herrlichkeit Gottes"107 ― leugnen sie aber, daß derjenige von Verfehlungen sich freihalten könne, welcher die frühere Verirrung gut gemacht und zu einer Lebensweise sich durchgerungen hat, die ihm die Meidung der Sünde ermöglicht, kann ich ihrer Ansicht nicht beipflichten, weil wir lesen: „So hat der Herr die Kirche geliebt, daß er selbst sich dieselbe herrlich darstellte, ohne Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen, daß sie vielmehr heilig und fleckenlos sei"108. Da nämlich die Kirche aus Heiden, d. i. aus Sündern gesammelt ward, wie könnte sie aus Sündebefleckten fleckenlos sein, wenn nicht in erster Linie auf Grund der Gnade Gottes, weil von Schuld rein gewaschen; sodann auf Grund der Enthaltsamkeit von weiterer Schuld kraft der Fähigkeit zum Nichtsündigen? Also nicht von Anfang war sie makellos ― das ist der menschlichen Natur unmöglich ― ihre Makellosigkeit erklärt sich vielmehr aus der Gnade Gottes und der eigenen Fähigkeit, nicht mehr zu sündigen.
18.