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vor Sonnenaufgang, Junge. Wenn alle Leute schlafen. Es kann doch sein, daß einer, der spät vom Tanzen gekommen ist und womöglich einen Schwips hatte, seine Brieftasche verlor, verstehst du? Es darf jedenfalls noch keiner auf der Straße gewesen sein. Wir müssen die ersten sein. Und nachher, wenn es hell geworden ist, gehen wir in die großen Geschäftsstraßen und auf die Plätze und danach, wenn es wieder dunkel wird, in die Parks und die Vorstädte. O Thees, ich kann dir schwören, daß es der schönste Tag unseres Lebens wird!«

      »Und was machen wir mit dem Geld?«

      »Das teilen wir.«

      »Und dann?«

      »Kaufen wir ein.«

      »Was denn?«

      »Das weißt du nicht? Junge, ich hätte dich für gescheiter gehalten. Du weißt nicht, was du für fünfhundert Mark kaufen sollst?«

      »Ich hab' doch noch nie was für fünfhundert Mark gekauft!« rief Thees verzweifelt. »Weißt du denn, was man mit soviel Geld anfangen kann?«

      »Ich?« Schöner Ak-ak ließ seine Nase ein wenig in den Himmel wachsen. »Ich?« fragte er noch einmal. »Ich kaufe mir zehn Pfund Margarine und zehn Brote, damit es gleich bis Weihnachten reicht. Und dann eine Flasche Feuerwasser. — Hast du schon mal Feuerwasser probiert? — Und Tabak natürlich …«

      »Ich denke, Tabak ist nicht gesund«, sagte Thees.

      Schöner Ak-ak legte ihm eine Hand auf die Schulter und blickte bedeutungsvoll zu ihm nieder.

      »Hör mal zu, mein Junge. Ich kann dir schwören, daß kein Mensch mit viel Geld gesund bleiben kann. Darauf kommt es dann auch gar nicht mehr an. Wenn man krank wird, hat man ja das Geld, um sich wieder gesund zu machen. Und deshalb werde ich mir von meinen fünfhundert Mark auch noch eine dicke Brasilzigarre kaufen.«

      »Und ich mir Schokolade«, sagte Thees und warf seinem Freund einen neugierigen Blick zu. Der schien gar nichts dabei zu finden. Er nickte, als sei der Kauf von Schokolade das Selbstverständlichste von der Welt, als sei es niemals eine verabscheuungswürdige Sünde.

      »Und was noch?« fragte er sogar begierig.

      Thees warf einen raschen Blick in das Schaufenster, an dem sie in diesem Augenblick vorbeikamen. Er sah lauter Würste — links eine stattliche Anzahl praller, hellgrauer Leberwürste, und rechts alles mögliche: Mett- und Teewürste, Braunschweiger und Jagdwurst, gekochten Schinken und Salami und eine ganze Kette von Knackwürsten.

      »Das da!« rief er und wies mit dem ausgestreckten Arm auf die Knackwürste.

      Schöner Ak-ak schnalzte mit der Zunge und trat nahe an das Schaufenster heran.

      »Die würde ich mir auch alle kaufen«, sagte er und beschrieb mit der Hand einen weiten Kreis. »Und dann würde ich mir Gänsebraten leisten. Weißt du, was das ist? Ich kann dir schwören, daß mir irgendwo einmal der Duft von Gänsebraten in die Nase gestiegen ist. Damals habe ich davon einen richtigen Rausch gekriegt, als wäre es nicht eine gebratene Gans, sondern irgendein süßes Rauschgift gewesen. Seitdem habe ich Appetit auf Gänsebraten! Ach Junge, hab' du mal beinahe fünfzig Jahre lang Appetit auf Gänsebraten! Du wirst krank, wenn du nur eine Gans siehst. — Komm weiter! Das Schaufenster hat mich auf eine Idee gebracht. Wir müssen uns noch mehr Schaufenster ansehen, damit wir wissen, was wir kaufen wollen. Sonst geben wir das Geld nachher womöglich für lauter dummes Zeug aus. Komm!«

      Er griff nach Thees' Arm und zog den Jungen mit sich fort. Seine Augen waren groß und glänzend geworden, und obwohl heute erst Dienstag war, sah er schon aus wie ein Besen, dem die Haare zu Berge stehen.

      Das nächste war ein Spirituosenladen, und Schöner Ak-ak blieb davor stehen, wie der einzige Überlebende einer verdursteten Karawane nach langem Wüstenmarsch vor einer Oase. Thees sagte gar nichts. Wenn ihm an diesem Schaufenster etwas gefiel, so war es die gedämpfte Festlichkeit, die es ausstrahlte. Dafür sprach Schöner Ak-ak wie ein Buch.

      »Der da kommt aus Algier, Junge. Ein süßer, schwerer Wein aus Algier. Ich kann dir schwören, daß er wie ein Abenteurerroman wirkt. So was geht ins Blut und in die Füße. Wenn du den in dir hast, gehst du per Schiff durch die Gustergasse, und allein das ist schon ein Abenteuer. Und das Fläschchen, das gelbe Babyfläschchen da links, das wäre was für dich. Eierlikör. Süß und zäh wie Honig. Oder Kakao mit Nuß? Und siehst du die Flasche da, die aussieht wie ein Backofen? — Warm, sage ich dir! Heiß! Oh, Thees —«

      »Ach komm«, bat Thees, »du kannst dir doch morgen das Richtige aussuchen — für mich ist das sowieso nichts.«

      Schöner Ak-ak lachte und benahm sich, als hätte er den süßen Wein aus Algier im Magen und im Blut. — Sie gingen weiter und kamen an ein Schaufenster mit Textilwaren. Thees sah sofort die roten Wollhandschuhe in der Ecke.

      »Die da!« sagte er.

      Schöner Ak-ak nickte. Der algerische Rausch war verflogen. Schöner Ak-ak war wieder der Mann, der in Lumpen ging und sich aus seinen Lumpen herauswünschte.

      »Man müßte wohl an einen guten, dicken Mantel denken«, sagte er und musterte die Auslagen. Es schien ihm nichts zu gefallen.

      »Aber der da!« rief Thees.

      »Ein Trenchcoat? So ein Regenmantel? — Nein. Der wird so schnell schmutzig.«

      Thees warf seinem Freund einen erstaunten Blick zu.

      »Schöner Ak-ak«, sagte er, »vielleicht kaufen wir uns lieber gar keine Sachen. Du hast vorhin gesagt, daß man in anderen Sachen ein ganz anderer Mensch wird. Dann passen wir womöglich gar nicht mehr in die Gustergasse, und vielleicht ist es dann auch mit unserer Freundschaft aus …«

      Schöner Ak-ak wandte sich mißmutig von dem Schaufenster ab.

      »Ach was«, meinte er, »es gibt auch gar keinen Mantel, wie ich ihn haben möchte. Und vielleicht reicht das Geld dann nicht mehr für die Gans und den Wein und die Würste …«

      »Ja, ja.« Thees dachte, daß es vielleicht am günstigsten sei, überhaupt keine Brieftasche mit Geld zu finden. Dann würde sich wenigstens nichts ändern. »Ja, ja«, wiederholte er und legte in seine Stimme einen tröstenden Klang. »Es kann ja auch sein, daß wir die Brieftasche überhaupt nicht finden.«

      Wider Erwarten wollte Schöner Ak-ak solche Reden nicht hören.

      »Junge«, rief er, und seine Stimme war abenteuerlich wild und entschlossen, »Junge, ich kann dir schwören, daß wir die Brieftasche finden werden!«

      Und zum drittenmal schulterte er seinen Lumpensack und wandte sich der Richtung zur Gustergasse zu.

      Viertes Kapitel

      Seine Großmutter saß am Herd, als Thees zu Hause ankam. Sie war eine kleine, liebe alte Frau. Thees hatte keine Eltern — nur diese Großmutter. Wenn er seinen Freund Schöner Ak-ak noch hinzurechnete, dann besaß er in diesem Gespann zwei Menschen, die ihm Vater und Mutter vollauf ersetzten. Die Großmutter kochte ihm das Essen, flickte ihm gelegentlich die Sachen und hielt jeden Abend sein Bett bereit. Jetzt hatte er gerade Ferien, aber wenn er zur Schule ging, sorgte sie manchmal sogar dafür, daß er ein Frühstücksbrot mitbekam. Thees konnte sich sein Leben ohne die Großmutter genau so wenig vorstellen wie

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