Eva | Erotischer CumingOfAge Roman. Gaby Lamarr
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Da trafen sich ihre Blicke im Spiegel. Chris erschrak ein wenig, fühlte sich ertappt, unterbrach den Blickkontakt aber nicht. Offenbar war er wieder bei einer erheiternden Stelle im Buch angelangt, denn er hatte aus den Buchseiten sein Lächeln mitgenommen, das er ihr nun offen zeigte, als er den Blick hob. Ein sehr anziehendes Lächeln, welches ein makelloses Gebiss freilegte. Unwillkürlich lächelte sie zurück. Es dauerte gerade in paar Sekundenbruchteile zu lang, als dass man den Blick flüchtig hätte nennen können.
»Da schau her, fruchten doch schon ganz gut, meine Maßnahmen.« Chris grinste zufrieden in sich hinein. Dann widmete sie sich ihrer Caprese, die ihr der Kellner soeben serviert hatte – übrigens die beste der Stadt.
»Darf ich Sie zu einem Gläschen Prosecco einladen?«
Mit dem Buch unter dem Arm stand der amüsierte Leser plötzlich vor ihrem Tisch. Aus der Nähe sah er ein wenig älter aus, aber um nichts weniger attraktiv. Ein Mann in seinen besten Jahren, der schon einiges erlebt haben dürfte, wie sein interessant modelliertes Gesicht verriet. Er schaute sie aus jugendlich strahlenden Augen durch seine modische Brille an und wartete auf ihre Antwort.
»Wenn ich statt dem Prosecco ein Glas Wein wählen darf, sehr gern. Und das auch nur, wenn Sie mir verraten, was Sie an dem Buch so amüsiert, das Sie da lesen.«
»Beide Wünsche sollen Ihnen erfüllt werden.« Er vollführte eine leichte Verneigung. Oha, ein Gentleman der alten Schule! Er winkte dem Kellner und Chris lud den Unbekannten mit einer Geste ein, Platz zu nehmen. Sie konnte nicht glauben, dass ihr Plan jetzt schon so erfolgreich war. Offenbar hatte sie, seit sie G. zum Teufel geschickt hatte, genug Energie sammeln können, um ihre alte Ausstrahlung wiederzuerlangen. Dann noch die kosmetischen Polituren an ihrem Exterieur und ihrem Ego und schon lief die Sache wieder rund. Perfekt!
Der Kellner brachte zwei Gläser burgenländischen Cuvée.
»Zum Wohle!« Sie prosteten sich zu.
»Mein Name ist José. Eigentlich Josef, aber ich lebe schon lange nicht mehr in Österreich.«
»Chris. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Sie vermied es, sofort zum vertrauten Du überzugehen. Das machte das Spiel spannender, wie sie fand.
»Na, dann lassen Sie mal sehen«, forderte Chris ihre neue Bekanntschaft auf und machte eine Kopfbewegung Richtung Buch, das er geheimnisvoll mit dem Titel nach unten neben sich auf die mit rotem Samt bespannte Bank gelegt hatte. Ohne allzu offensichtlich neugierig die Brille aufzusetzen und auf den Klappentext zu schielen, gelang es Chris nicht, einen Hinweis auf den Inhalt des Buches zu erkennen.
»Mögen Sie amerikanische Literatur?« Er mochte Spielchen offenbar auch.
»Ja, ich habe zum Beispiel sehr gern Philip Roth gelesen, bis er mir zu alterslarmoyant wurde. ‚The Human Stain‘ hat mich noch begeistert, aber ab ‚Exit Ghost‘ schrieb er fast nur noch über Inkontinenz und versäumte Gelegenheiten. Lähmend langweilig. Warten Sie, wer fällt mir sonst noch spontan dazu ein? Ist es was Klassisches oder was Neueres?«
»Klassisch.«
»Salinger, Updike, Hemingway …«
»Updike.«
»Hasenherz? Nein, das ist nicht so komprimiert amüsant. Sie haben ständig gelächelt beim Lesen. Die Hexen von Eastwick?« Chris hatte bald ihr ganzes Pulver verschossen, was Updike betraf.
»Ehepaare.«
»Ach, das habe ich noch nicht gelesen. Erzählen Sie mir mehr.«
»Am besten, Sie lesen es selbst. Ich kann Ihnen versprechen, dass es keine langweilige Geschichte über alte Männer ist. Im Gegenteil, es geht recht munter zu in dieser amerikanischen Kleinstadtidylle.« Bei diesen Worten schaute er Chris tief in die Augen und neigte sich ihr zu.
»Klingt interessant«, gab sie zu und hielt seinem Blick stand.
Wenn sie an einem Mann etwas attraktiv fand, dann waren das die drei H: Hirn, Humor und Herz, Reihenfolge beliebig. Es sah fast danach aus, als ob dieser José oder Josef alles davon besaß.
Sie tauschten sich noch lange über Literatur im Allgemeinen und im Besonderen aus. Chris erfuhr, dass er in Oberösterreich geboren war, aber schon lange in Südamerika lebte. Dorthin musste er morgen auch schon wieder zurück. Bei dieser Mitteilung versetzte es ihr einen kleinen Stich.
»Das ist aber schade!«, entfuhr es ihr unwillkürlich nach dieser Offenbarung. In der gleichen Sekunde ärgerte sie sich über diese spontane Äußerung. Er soll bloß nicht glauben, dass er unwiderstehlich ist. Oh Gott, diese alten Rollenmuster wieder! Warum war es so schwer, sie abzulegen? Warum mussten Frauen immer die zu Erobernden spielen und Männer die Rolle der Eroberer ausfüllen? Aber gegen tradierte Muster und Erziehung anzukämpfen war eben ein langer Prozess.
José nahm die Bemerkung ganz gelassen auf.
»Ja, das finde ich auch.« Dabei nahm er Chris’ Hand und führte sie zu einem Handkuss an seinen Mund. Zu einem wirklichen, echten Handkuss nach alter Manier, nicht zu einem feuchten Abklatsch dessen, was mittlerweile darunter verstanden wurde. Seine Lippen berührten ihren Handrücken nicht, es blieb bei einem angedeuteten Kuss. Der begleitende Blick sprach allerdings Bände und Chris’ Knie wurden weich, obwohl sie saß.
Holy moly!, dachte sie ganz unprätentiös und für den Augenblick so was von unpassend.
Sie tranken noch zwei weitere Gläser Rotwein, unterhielten sich blendend, lachten viel. Als die Stimmung gerade am ausgelassensten war, eröffnete José, dass es für ihn Zeit zum Aufbruch sei, da er noch den Zug nach Wien erwischen müsse.
»Ich begleite dich zum Bahnhof.« Chris fand, die besondere Situation rechtfertige keine weiteren Spielchen mehr, und ging zum vertrauten Du über.
»Das würde mich sehr freuen, Chris.« Er drückte ihre Hand.
»Wann geht dein Zug?«
»In einer knappen Stunde.«
»Zeit genug«, bemerkte Chris.
»Zeit genug wofür?«, hakte er nach. Sie blieb ihm die Antwort schuldig.
Als sie das Kaffeehaus verließen, war es draußen schon dunkel. »Lass uns noch ein Stück gehen, wenn es die Zeit erlaubt«, schlug Chris vor.
»Sehr gern.« Sie wanderten die Hauptstraße entlang, die zu dieser Zeit schon weniger frequentiert war.
»Ich muss noch mein Gepäck aus dem Hotel holen, bevor