Die Leute von Seldwyla - 2. Teil. Gottfried Keller

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Die Leute von Seldwyla - 2. Teil - Gottfried Keller

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nur schwach und traurig. Da fiel sie über ihn her, fuhr mit der Hand über sein Gesicht und gab ihm in der Beängstigung Nasenstüber auf die verbleichte Nasenspitze. Dann nahm sie, hiedurch auf einen guten Gedanken gebracht, Hände voll Schnee und rieb ihm die Nase und das Gesicht und auch die Finger tüchtig, soviel sie vermochte und bis sich der glücklich Unglückliche erholte, erwachte und langsam seine Gestalt in die Höhe richtete.

      Er blickte um sich und sah die Retterin vor sich stehen. Sie hatte der Schleier zurückgeschlagen; Wenzel erkannte jeden Zug in ihrem weissen Gesicht, das ihn ansah mit grossen Augen.

      Er stürzte vor ihr nieder, küsste der Saum ihres Manstels und rief: „Verzeih mir! Verzeih mir!“

      „Komm, fremder Mensch!“ sagte sie mit unterdrückter, zitternder Stimme, „ich werde mit dir sprechen und dich fortschaffen!“

      Sie winkte ihm, in den Schlitten zu steigen, was er folgsam tat; sie gab ihm Mütze und Handschuh, ebenso unwillkürlich, wie sie dieselben mitgenommen hatte, ergriff Zügel und Peitsche und fuhr vorwärts.

      Jenseits des Waldes, unfern der Strasse, lag ein Bauernhof, auf welchem eine Bäuerin hauste, deren Mann unlängst gestorben. Nettchen war die Patin eines ihrer Kinder, sowie der Vater Amtsrat ihr Zinsherr. Noch neulich war die Frau bei ihnen gewesen, um der Tochter Glück zu wünschen und allerlei Rat zu holen, konnte aber zu dieser Stunde noch nichts von dem Wandel der Dinge wissen.

      Nach diesem Hose fuhr Nettchen jetzt, von der Strasse ablenkend und mit einem kräftigen Peitschenknallen vor dem Hause haltend. Es war noch Licht hinter den kleinen Fenstern; denn die Bäuerin war wach und machte sich zu schaffen, während Kinder und Gesinde längst schliefen. Sie öffnete das Fenster und guckte verwundert heraus. „Ich bin’s nur, wir sind’s!“ rief Nettchen. „Wir haben uns verirrt wegen der neuen obern Strasse, die ich noch nie gefahren bin; macht uns einen Kaffee, Frau Gevatterin, und lasst uns einen Augenblick hineinkommen, ehe wir weiterfahren!“

      Gar vergnügt eilte die Bäuerin her, da sie Nettchen sofort erkannte, und bezeigte sich entzückt und eingeschüchtert zugleich, auch das grosse Tier, den fremden Grafen zu sehen. In ihren Augen waren Glück und Glanz dieser Welt in diesen zwei Personen über ihre Schwelle getreten; unbestimmte Hoffnungen, einen kleinen Teil daran, irgendeinen bescheidenen Nutzen für ich oder ihre Kinder zu gewinnen, belebten die gute Frau und gaben ihr alle Behendigkeit, die jungen Herrschaftsleute zu bedienen. Schnell hatte sie ein Knechtchen geweckt, die Pferde zu halten, und bald hatte sie auch einen heissen Kaffee bereitet, welchen sie jetzt hereinbrachte, wo Wenzel und Nettchen in der halbdunklen Stube einander gegenüber sassen, ein schwach flackerndes Lämpchen zwischen sich auf dem Tische.

      Wenzel sass, den Kopf in die Hände gestützt, und wagte nicht aufzublicken. Nettchen lehnte auf ihrem Stuhle zurück und hielt die Augen fest verschlossen, aber ebenso den bitteren schönen Mund, woran man sah, dass sie keineswegs schlief.

      Als die Gevattersfrau der Trank auf den Tisch gesetzt hatte, erhob sich Nettchen rasch und flüsterte ihr zu: „Lasst uns jetzt eine halbe Viertelstunde allein, legt Euch aufs Bett, liebe Frau, wir haben uns ein bisschen gezankt und müssen uns heute noch aussprechen, da hier gute Gelegenheit ist!“

      „Ich verstehe schon, Ihr macht’s gut so!“ sagte die Frau und liess die zwei bald allein.

      „Trinken Sie dies,“ sagte Nettchen, die sich wieder gesetzt hatte, es wird Ihnen gesund sein!“ Sie selbst berührte nichts. Wenzel Stravinski, der leise zitterte, richtete sich auf, nahm eine Tasse und frank sie aus, mehr, weil sie es gesagt hatte, als um sich zu erfrischen. Er blickte sie jetzt auch an, und als ihre Augen sich begegneten und Nettchen forschend die seinigen betrachtete, schüttelte sie das Haupt und sagte dann: „Wer sind Sie? Was wollten Sie mit mir?“

      „Ich bin nicht ganz so, wie ich scheine!“ erwiderte er traurig, „ich bin ein armer Narr, aber ich werde alles gutmachen und Ihnen Genugtuung geben und nicht lange mehr am Leben sein!“ Solche Worte sagte er so überzeugt und ohne allen gemachten Ausdruck, dass Nettchens Augen unmerklich ausblitzten. Dennoch wiederholte sie: „Ich wünsche zu wissen, wer Sie eigentlich seien und woher Sie kommen und wohin Sie wollen?“

      „Es ist alles so gekommen, wie ich Ihnen jetzt der Wahrheit gemäss erzählen will“, antwortete er und sagte ihr, wer er sei und wie es ihm bei seinem Einzug in Goldach ergangen. Er beteuerte besonders, wie er mehrmals habe Fliehen wollen, schliesslich aber durch ihr Erscheinen selbst gehindert worden sei wie in einem verhexten Traume.

      Nettchen wurde mehrmals von einem Anflug von Lachen heimgesucht; doch überwog der Ernst ihrer Angelegenheit zu sehr, als dass es zum Ausbruch gekommen wäre. Sie fuhr vielmehr fort zu fragen: „Und wohin gedachten Sie mit mir zu gehen und was zu beginnen?“ „Ich weiss es kaum,“ erwiderte er; „ich hoffte auf weitere merkwürdige oder glückliche Dinge; auch gedachte ich zuweilen des Todes in der Art, dass ich mir denselben geben wolle, nachdem ich —“

      Hier stockte Wenzel, und sein bleiches Gesicht wurde ganz rot.

      „Nun, fahren Sie fort!“ sagte Nettchen, ihrerseits bleich werdend, indessen ihr Herz wunderlich klopfte.

      Da flammten Wenzels Augen gross und füss auf, und er rief:

      „Ja, jetzt ist es mir klar und deutlich vor Augen, wie es gekommen wäre! Ich wäre mit die in die weite Welt gegangen, und nachdem ich einige kurze Tage des Glückes mit dir gelebt, hätte ich dir den Betrug gestanden und mir gleichzeitig den Tod gegeben. Du wärst zu deinem Vater zurückgekehrt, wo du wohlaufgehoben gewesen wärest und mich leicht vergessen hättest. Niemand brauchte darum zu wissen; ich wäre spurlos verschollen. — Anstatt an der Sehnsucht nach einem würdigen Dasein, nach einem gütigen Herzen, nach Liebe Lebenslang zu kranken,“ fuhr er wehmütig fort, „wäre ich einen Augenblick lang gross und glücklich gewesen und hoch über allen, die weder glücklich noch unglücklich sind und doch nie sterben wollen! O hätten Sie mich liegen gelassen im kalten Schnee, ich wäre so ruhig eingeschlafen!“

      Er war wieder still geworden und schaute, düster sinnend vor sich hin.

      Nach einer Weile sagte Nettchen, die ihn still betrachtet, nachdem das durch Wenzels Reden, angefachte Schlagen ihres Herzens sich etwas gelegt hatte:

      „Haben Sie dergleichen oder ähnliche Streiche früher schon begangen und fremde Menschen angelogen, die Ihnen nichts zuleide getan?“

      „Das habe ich mich in dieser bitteren Nacht selbst schon gefragt und mich nicht erinnert, dass ich je ein Lügner gewesen bin! Ein solches Abenteuer habe ich noch gar nie gemacht oder erfahren! Ja, in jenen Tagen, als der Hang in mir entstanden, etwas Ordentliches zu sein oder zu scheinen, in halber Kindheit noch, habe ich mich selbst überwunden und einem Glück entsagt, das mir beschieden schien!“

      „Was ist dies?“ fragte Nettchen.

      „Meine Mutter war, ehe sie sich verheiratet hatte, in Diensten einer benachbarten Gutsherrin und mit derselben auf Reisen und in grossen Städten gewesen. Davon hatte sie eine feinere Art bekommen als die anderen Weiber unseres Dorfes und war wohl auch etwas eitel; denn sie kleidete sich und mich, ihr einziges Kind, immer etwas zierlicher und gesuchter, als es bei uns Sitte war. Der Vater, ein armer Schulmeister, starb aber früh, und so blieb uns bei grösster Armut keine Aussicht auf glückliche Erlebnisse, von welchen die Mutter gerne zu träumen pflegte. Vielmehr musste sie sich harter Arbeit hingeben, um uns zu ernähren, und damit das Liebste, was sie hatte, etwas bessere Haltung und Kleidung, aufopfern. Unerwartet sagte nun jene neuverwitwete Gutsherrin, als ich etwa sechzehn Jahre alt war, sie gehe mit ihrem Haushalt in die Residenz für immer; die Mutter solle mich mitgeben, es sei schade für mich, in dem Dorfe ein Taglöhner oder Bauernknecht zu werden, sie wolle mich etwas Feines Lernen lassen,

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