Das Logbuch der Silberkugel. Hanns Kneifel
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Читать онлайн книгу Das Logbuch der Silberkugel - Hanns Kneifel страница 4
Der Loper scheute und stieg hoch. Ich zwang ihn vorwärts und in einem Satz über das tote Tier. Das letzte Stück des geraden Ganges legten wir nur im Scheine des Lichts zurück, der viereckige Eingang ließ sich nur in der Ferne ahnen, als ich mich umwandte. Der metallische Geruch der knisternden, kalten Fackel machte das Tier nervös.
Dann ‒ mit der Plötzlichkeit überraschender Ereignisse ‒ war der Gang zu Ende. Das Licht spiegelte sich in einer glänzenden Tür. Grinn scheute vor seinem Spiegelbild, und ich erkannte meine angespannten Züge in der glatten Platte. Die Tür war viereckig, flach, und bot nur in der Mitte einen Berührungspunkt, eine Klinke, die in einer Vertiefung lag. Ich dirigierte den Loper vorwärts, er machte eine halbe Drehung, und seine Flanken pressten meinen Fuß an das eisige Metall.
Ich beugte mich aus dem Sattel und versuchte, die Klinke zu drehen. Sie ließ sich nicht bewegen, und die Erkenntnis dessen, was ich hier entdeckt hatte, überwältigte mich.
Nun wusste ich mehr!
Hier ‒ über uns ‒ stand das Schiff. Es war unser nationales Heiligtum, die Arche unseres Glaubens. Sein Unterteil war unter dem Hügel verborgen, und die Tür stellte durch den Gang die einzig mögliche Verbindung mit der Außenwelt her. Man musste den Gang gemauert haben, als man dieses Denkmal baute. An hohen Festtagen übernahm eine Batterie von Scheinwerfern in verschiedenen Farben die Beleuchtung des Kolosses. Dann, im Laufe zweier Jahrtausende, vergaßen wir diesen Gang. Nicht eine einzige Notiz hatte sich in den Geschichtsrollen wiedergefunden. Ich konnte diese Behauptung aufstellen, denn jede geschriebene Zeile unserer Geschichte hatte ich gelesen. Weder ich noch meine Lehrer wussten von dieser Tür und diesem Gang. Mein Gefühl sagte mir, dass ich mein Thema für die Beendigung meines Studiums gefunden hatte.
Ich wandte den Loper herum. Wir verließen den Ort. Ich würde die Tür öffnen, die seit nahezu zweitausend Sonnenumläufen geschlossen gewesen war.
*
Den toten Bock und mein Gewehr hinter meinem Sattel, ritt ich zu meinem Haus zurück. Der Loper wurde versorgt, und bald drehte sich der Bock über dem Feuer. Ich holte aus der Ecke des Schrankes eine Tonkanne, deren Öffnung mit duftendem Wachs verschlossen war, und ließ den Wein in die Porzellanschale fließen. Eine Stunde später hatte ich gegessen und suchte in meiner Behausung nach Geräten und Werkzeugen, mit denen ich am nächsten Tag versuchen würde, in das Schiff einzudringen und die Geheimnisse, falls es welche gab, zu entschleiern.
Gegen Abend hatte ich alles zusammen. Einen Flaschenzug, Ölkanne und trockene Lappen, zwei Batterielampen und einen kleinen Vorrat von Fackeln, Werkzeugen und Haken und eine lange Strickleiter. Ich packte in die beiden Fellsäcke mehr ein, als ich wahrscheinlich brauchen würde, aber man konnte nie vor Überraschungen sicher sein.
Jedenfalls konnte ich am nächsten Tag aufbrechen und versuchen, den Eingang des Raumschiffes aufzubrechen. Ich wusste, dass ich unter Umständen dort eine Menge von Maschinen und Erkenntnissen finden konnte, die uns helfen würden, allen Dingen mehr Verständnis entgegenzubringen. Ich legte mich an diesem Abend früher hin ‒ jedenfalls war ich wieder beim ersten Sonnenstrahl wach und ritt mit meiner Last und einem größeren Essensvorrat los, dem kleinen Wald entgegen.
Die Sonne spiegelte sich in dem Metall der Schiffswände, als ich näher kam.
*
Trotz der Kälte begann ich zu schwitzen. Ich hatte die beiden Lampen angeschaltet und ihre Lichtkegel auf die Tür gerichtet. Dann hatte ich warmes Öl in die Ritzen geschüttet, die sich entlang der Tür zogen. Mit einer Lampe hatte ich das Metall erhitzt und schließlich heißes Öl durch das Loch des Schlosses geschüttet. Jetzt war ich daran, den Flaschenzug aufzustellen. Zu diesem Zwecke trieb ich einige lange Haken in die Wand und befestigte eiserne Ringe daran. Dort vertäute ich das eine Ende des Zuges, das andere hakte ich an der mühsam heruntergedrückten Klinke ein. Dann legte ich das Seil in die Rollen und begann zu ziehen. Die Seile spannten sich, und langsam zog ich die Tür auf. Knarrend ließ sie sich bewegen, ich musste meine gesamte Kraft einsetzen. Ich zog so lange, bis sie in einem rechten Winkel von der Schiffswand wegstand. Lockeres Erdreich begann zu rieseln und fiel mir in den Nacken. Dann hatte ich es geschafft.
Ich löste den Flaschenzug von den Haken und der Klinke, schaltete eine Lampe aus und steckte das schwere Jagdmesser ein. Mir schauerte ein kühler Luftzug entgegen, der mit seinem Raunen und Flüstern die Ereignisse vergangener Jahrhunderte zu tragen schien. Meine Krallen bogen sich um den Griff des Messers zusammen, und die Fellhaare sträubten sich. Dann war ich im Inneren, und der Lichtkegel tanzte aufgeregt vor mir her. Er glitt über Gegenstände, mit deren Formen und Funktionen ich mich in der folgenden Zeit erst vertraut machen musste.
Ich begann zu frieren.
Hinter mir drang warme Luft ein. Ihre Feuchtigkeit schlug sich auf den glatten Flächen nieder und trübte sie. Ich wusste nicht viel über Schiffe, die durch den Weltraum flogen, aber die Grundbegriffe ihres Aussehens und ihrer Anlagen waren mir nicht fremd. Hier in den Raum der Luftschleuse schien ein Aufzug zu münden, der früher in die oberen Räume gefahren war. Ich riss seine schmale Tür auf, und vor mir, unter einer Knopfleiste, sprang ein winziges Lämpchen an. Ich konnte die Bezeichnungen lesen, sie waren in der Sprache Terras abgefasst.
Steuerkabine, Wohndeck, Navigatorraum, Funkbude.
Ich versuchte, mir die Bedeutung dieser Begriffe klarzumachen. Die Pupillen meiner Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Dann drückte ich den ersten Knopf. Langsam zog der Lift in die Höhe, gleichzeitig ertönte ein leichtes Summen. Die Batterien des Schiffes mussten eine Meisterleistung der irdischen Technik gewesen sein. Nach zwanzig Jahrhunderten hatten ihre Isolierung und ihre Stärke noch den gespeicherten Strom aufbewahrt. Der Lift hielt in einer kleinen Kabine. Ich öffnete die Tür. Neben ihr waren wieder Leisten angebracht. Hier schien jedes Stückchen Metall alte Tradition und Erlebnisse zu enthalten. Es war sozusagen geschichtlicher Boden. Wieder erhellte sich eine runde Platte in der Decke, als ich den betreffenden Schalter betätigt hatte.
Nacheinander probierte ich alle Knöpfe und Schalter aus, die ich sah. Außer denen, die direkt zu der Steuerung des Schiffes zu gehören schienen, brachten sie alle Arten von Geräten zum Laufen oder Leuchten, von denen ich keines verstand. In einer Schrankrückwand entdeckte ich ein Schema, das die einzelnen Räume und Maschinenaggregate des Schiffes zeigte und in das Metall eingelassen war. Außerdem befanden sich in den einzelnen Fächern der Schränke noch Instrumente und Geräte, deren Verwendungszweck ich ebenfalls nicht erraten konnte; aber eines Tages würde ich alles verstehen.
Mit Mühe erkannte ich die Zusammenhänge zwischen den Batterien und ihrem Ladegerät. Es war ein einfacher Motor mit Flüssigkeitsantrieb, der durch ein Brennstoffaggregat angetrieben wurde. Ich fuhr mit dem Lift in den Maschinenraum und sah, dass noch sehr viel Brennstoff vorhanden war.
Mit einigen Handgriffen hatte ich die einfache Maschine angeworfen und den Generator angeschlossen. Er produzierte Strom und lud die Batterien auf.
Ich sah mich beim Scheine neu aufgeflammter Lampen ‒ die seit zweitausend Jahren nicht geleuchtet hatten ‒ im Maschinenraum um und stieß auf die undurchdringlich scheinende Mauer aus Ignoranz und Verständnislosigkeit, die mich von dieser Technik trennte. Ich fuhr wieder in den Steuerraum zurück und ließ mich in einen der drei Sessel fallen. Er schien zu kurz für meine Größe. Die