Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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einen Satz. Und dann an das Bild; die Schattentiefe des Zimmers hing wie ein faltiger, wenig geöffneter Beutel an der grellen Besonntheit der Außenmauer. In den Falten dieses Beutels erschienen Walter und Clarisse; Walters Gesicht war schmerzlich in die Länge gezogen und sah aus, als ob es lange, gelbe Zähne hätte. Man könnte auch sagen, ein Paar langer, gelber Zähne lag in einem mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Kästchen, und diese zwei Menschen standen geisternd dabei. Die Eifersucht war natürlich Unsinn; Ulrich hatte keine Lust auf Frauen seiner Freunde. Aber Walter hatte immer eine ganz besondere Fähigkeit besessen, heftig zu erleben. Er kam nie zu dem, was er wollte, weil er so viel empfand. Er schien einen sehr melodischen Schallverstärker für das kleine Glück und Unglück in sich zu tragen. Er gab stets kleine Gefühlsmünze in Gold und Silber aus, während Ulrich mehr im großen operierte, mit Gedankenschecks sozusagen, auf denen gewaltige Ziffern standen; aber schließlich war das nur Papier. Wenn Ulrich sich Walter recht bezeichnend vorstellen wollte, lag er an einem Waldrand. Er hatte dann kurze Hosen an und merkwürdigerweise schwarze Strümpfe. Er hatte nicht die Beine eines Mannes, weder die kräftig muskulösen noch die dürr sehnigen, sondern die eines Mädchens; eines nicht sehr schönen Mädchens, mit sanften unschönen Beinen. Die Hände unter den Kopf gelegt, schaute er hinaus in die Landschaft, und der Himmel wußte, daß man ihn darin störte. Ulrich erinnerte sich nicht, Walter bei einer bestimmten Gelegenheit, die sich einprägte, so gesehen zu haben; dieses Bild prägte sich vielmehr heraus, wie ein zusammenschließendes Siegel, nach anderthalb Jahrzehnten. Und von der Erinnerung, daß Walter damals auf ihn eifersüchtig gewesen sei, ging eine sehr angenehme Erregung aus. Alles das hatte sich eben zu einer Zeit ereignet, wo man noch Freude an sich hatte. Und Ulrich dachte: «Ich war jetzt schon einigemale bei ihnen, ohne daß Walter meine Besuche erwidert hat. Aber ich könnte trotzdem heute abend wieder hinausfahren; was braucht mich das zu kümmern!»

      Er nahm sich vor, wenn Bonadea endlich mit dem Ankleiden fertig sein werde, ihnen Nachricht zu schicken, in Bonadeas Gegenwart war so etwas nicht ratsam, wegen des langweiligen Kreuzverhörs, das unweigerlich folgte.

      Und da Gedanken schnell sind und Bonadea noch lange nicht fertig war, fiel ihm eben noch etwas ein. Diesmal war es eine kleine Theorie; sie war einfach, einleuchtend und vertrieb ihm die Zeit. «Ein junger Mensch, wenn er geistig bewegt ist,» sagte Ulrich zu sich, und meinte damit wahrscheinlich noch seinen Jugendfreund Walter, «sendet unaufhörlich Ideen in allen Richtungen aus. Aber nur das, Was auf die Resonanz der Umgebung trifft, strahlt wieder auf ihn zurück und verdichtet sich, während alle anderen Ausschickungen sich im Raum verstreuen und verlorengehen!» Ulrich nahm ohne weiteres an, daß ein Mensch, der Geist hat, jede Art davon besitzt, so daß Geist ursprünglicher wäre als Eigenschaften; er selbst war ein Mensch mit vielen Gegensätzen und stellte sich vor, daß alle Eigenschaften, die in der Menschheit je zum Ausdruck gekommen sind, ziemlich nah beieinander in dem Geist jedes Menschen ruhen, wenn er überhaupt Geist hat. Das mag nicht ganz richtig sein, aber was wir vom Entstehen des Guten wie des Bösen wissen, stimmt noch am ehesten dazu, daß jeder zwar seine innere Größennummer hat, aber in dieser Größe die verschiedensten Kleider ausfüllen kann, wenn sie ihm das Schicksal bereit hält. Und so kam Ulrich auch das, was er soeben gedacht hatte, nicht ganz bedeutungslos vor. Denn wenn sich im Lauf der Zeit die gewöhnlichen und unpersönlichen Einfälle ganz von selbst verstärken und die ungewöhnlichen verlieren, so daß fast jeder mit der Sicherheit, die ein mechanischer Zusammenhang hat, immer mittelmäßiger wird, so erklärt das ja, warum trotz der tausendfältigen Möglichkeiten, die wir vor uns hätten, der gewöhnliche Mensch nun einmal der gewöhnliche ist! Und es erklärt auch, daß es selbst unter den bevorzugten Menschen, die sich durchsetzen und zu Anerkennung kommen, eine gewisse Mischung gibt, die ungefähr 51% Tiefe und 49% Seichtheit hat und den meisten Erfolg findet, und das erschien Ulrich schon seit langem so verwickelt sinnlos und unerträglich traurig, daß er gerne weiter darüber nachgedacht haben würde.

      Er wurde davon gestört, daß Bonadea noch immer kein Zeichen ihres Fertigseins gab; vorsichtig durch die Türe spähend, gewahrte er, daß sie sich im Ankleiden unterbrochen hatte. Sie fand Zerstreutheit, wenn es sich um die letzten Tropfen der Köstlichkeit des Beisammenseins handelte, unfein; gekränkt von seinem Schweigen, wartete sie ab, was er tun werde. Sie hatte ein Buch genommen, und glücklicherweise enthielt es schöne Abbildungen aus der Geschichte der Kunst.

      Ulrich fühlte sich, als er wieder seine Betrachtungen aufnahm, durch dieses Warten gereizt und geriet in eine unbestimmte Ungeduld.

      30

      Ulrich hört Stimmen

      Und plötzlich zogen sich seine Gedanken zusammen, und als ob er durch einen entstandenen Riß blickte, sah er Christian Moosbrugger, den Zimmermann, und seine Richter.

      Quälend lächerlich für einen Menschen, der nicht so denkt, sprach der Richter: «Warum haben Sie sich die blutigen Hände abgewischt? – Warum haben Sie das Messer weggeworfen? – Warum haben Sie nach der Tat frische Kleider und Wäsche angezogen? – Weil es Sonntag war? Nicht, weil sie blutig waren? – Weshalb sind Sie am Abend darauf zu einer Tanzunterhaltung gegangen? Die Tat hat Sie also nicht gehindert, das zu tun? Haben Sie überhaupt keine Reue empfunden?»

      In Moosbrugger erwacht ein Flackern: alte Zuchthauserfahrung, man müsse Reue heucheln. Das Flackern verzieht Moosbruggers Mund, und er spricht: «Gewiß!»

      «Bei der Polizei haben Sie aber gesagt: Ich empfinde keine Reue, sondern nur Haß und Wut bis zum Paroxysmus!» hakt der Richter sofort ein.

      «Möglich,» sagt Moosbrugger, wieder fest werdend und vornehm. «Möglich, daß ich damals keine anderen Empfindungen hatte.»

      «Sie sind ein großer, starker Mann,» fällt der Staatsanwalt ein «wie konnten Sie sich vor der Hedwig fürchten!»

      «Herr Gerichtsrat,» antwortet Moosbrugger lächelnd «sie war schmeichelhaft geworden. Ich stellte sie mir noch grausamer vor, als ich derlei Weiber sonst einschätze. Ich sehe wohl kräftig aus, bin es auch –»

      «Nun also,» brummt der Vorsitzende, im Akt blätternd.

      «Aber in gewissen Situationen,» sagt Moosbrugger laut «bin ich ängstlich und sogar feig.»

      Die Augen des Vorsitzenden schnellen aus dem Akt; wie zwei Vögel einen Ast, verlassen sie den Satz, auf dem sie soeben gesessen haben. «Damals, als Sie mit Ihren Kollegen auf dem Bau Streit bekommen haben, sind Sie aber gar nicht feig gewesen!» sagt der Vorsitzende. «Den einen haben Sie zwei Stock tief hinunter geworfen und die andern mit dem Messer –»

      «Herr Präsident,» ruft Moosbrugger mit gefährlicher Stimme «ich stehe heute noch auf dem Standpunkt –»

      Der Vorsitzende winkt ab.

      «Unrecht,» sagt Moosbrugger «das muß als Grundlage meiner Brutalität dienen. Ich bin als naiver Mensch vor Gericht gestanden und habe gedacht, die Herren Richter werden ohnehin alles wissen. Aber man hat mich enttäuscht!»

      Das Gesicht des Richters steckt längst wieder im Akt.

      Der Staatsanwalt lächelt und sagt freundlich: «Aber die Hedwig war doch ein ganz harmloses Mädchen!»

      «Mir erschien sie nicht so!» erwidert Moosbrugger, immer noch aufgebracht.

      «Mir scheint,» schließt der Vorsitzende mit Nachdruck «daß Sie immer anderen die Schuld zu geben wissen!»

      «Also warum haben Sie auf sie losgestochen?» fängt der Staatsanwalt freundlich von vorne an.

      31

      Wem gibst du recht?

      Das

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