Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel. Franziska zu Reventlow
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das Logierhaus zur schwankenden Weltkugel - Franziska zu Reventlow страница 4
»Wohl möglich«, schrien wir zurück, »wir haben noch nicht das Vergnügen, die Dame zu kennen.«
»Und Schwester Hildegard – wie es ihr ginge – vielleicht würde es sie amüsieren ... « »Nein«, brüllten wir förmlich, sie sei zwar in der Besserung, aber Wüstenspringmäuse seien einstweilen noch zu anstrengend für sie.
Das kränkte ihn, und nun fiel ihm ein, daß er noch einiges gegen uns auf dem Herzen habe.
Es war während seiner Abwesenheit eine wahre Hochflut von Briefen an uns eingelaufen, nicht etwa von unseren Freunden und Verwandten, sondern von wildfremden Menschen. Unseren sämtlichen Vereinsbrüdern stand ja das Recht zu, uns ungestraft mit Schriftstücken zu bombardieren, und sie machten ausgiebigen Gebrauch davon. Schelmische Wandervögel fragten an, ob sie bei nächster Gelegenheit ihren Flug hierher richten dürften und man bereit sei, sie zu beherbergen und zu atzen – eine Dame klagte dem Loreley, der ein ausgesprochener Weiberfeind war, daß sie sich einsam fühle – ein Handlungsreisender erkundigte sich bei der Schwester nach guten Hotels und erwähnte dabei, er sei in den besten Jahren und sehr lebenslustig – eine Gesellschaft für Nacktkultur wünschte ein Terrain zu mieten, wo man Hütten bauen und sich unter südlichem Himmel in schönen Bewegungen üben könne –, noch andere wollten alles Mögliche und unterrichteten uns aufs genaueste über ihre Lebensverhältnisse, Neigungen und Gefühle, in der sicheren Zuversicht, ein Echo zu wecken. – Einen vollen geschlagenen Tag hatten wir alle dagesessen und zum Teil recht grobe Antworten geschrieben, um die Leute in ihre Schranken zurückzuweisen.
Jetzt aber stand Hieronymus Edelmann in seiner ganzen Länge da und richtete zornig sein Monokel gegen uns:
Was uns denn eingefallen sei, den Verein so vor den Kopf zu stoßen? Man habe sich bereits bitter bei ihm beschwert. Und im nächsten Monat würden verschiedene Mitglieder hierherkommen, wunderbare Dinge würden sich dann ergeben – die stellenlose Gesellschaftsdame habe sich schon bereit erklärt, dem Flammenbund als – nun, als Präsidentin – vorzustehen. Er fand in der Eile wohl kein anderes Wort.
Aber wir waren ebenfalls gereizt, wir sahen in Gedanken schon die Insel von Wandervögeln, nackten Menschen und Handlungsreisenden überflutet, und das gab uns Mut. Der Loreley erhob seine Stimme und wurde ganz pathetisch:
»Nein – wir wollen nicht mehr – wir brauchen keine Springmäuse und keine Vereinsbrüder – wir wollen keinen Flammenbund – wir haben genug an den Blattern« – seine Stimme überschlug sich. Hieronymus aber blieb wie angewurzelt stehen, mit seinem Brehm unter dem Arm, das Monokel hing schlaff herab, und er sah sprachlos zu uns herüber. Dann ging er in das Haus.
Monsieur Mouton, der dieser Szene beigewohnt hatte, war außer sich vor Vergnügen und beteuerte wiederum, Hieronymus sei ein Revenant. Auch wir begannen uns dieser Ansicht immer mehr zuzuneigen. Sein ganzes Tun und Treiben mit dem Krokodil und den Springtieren trug tatsächlich ein gespenstisches Gepräge, und er hatte eine Art, Tatsachen und Wirklichkeiten zu ignorieren, die uns immer wieder in Erstaunen setzte.
So hatte er am nächsten Tage anscheinend alles vergessen, tat, als ob überhaupt nichts weiter vorgefallen sei und zähmte die Wüstenmäuse.
Schwester Hildegard war bald wieder hergestellt, und wir wollten mit dem nächsten Schiff fort, aber Mynheer hetzte uns die Gesundheitspolizei auf den Hals, und man verhängte eine vierwöchentliche Quarantäne über uns, ehe wir abreisen durften. Zudem steigerte er uns den Pensionspreis ins Ungeheuerliche, unter dem Vorwand, wir hätten ihm die Blattern ins Haus geschleppt und die Kundschaft verscheucht. Da wir nicht darauf eingingen, verklagte er uns. Wir erhoben Gegenklage unter Hinweis auf die sinkende Mauer und den linken Flügel und behaupteten, die »Schwankende Weltkugel« sei in baulicher wie in sittlicher Beziehung ein gefährlicher Aufenthalt. Nur die Erkrankung der Schwester habe uns gezwungen zu bleiben, so daß dem Hauswirt aus der Blatternaffäre noch materielle Vorteile erwachsen wären. Dagegen trat nun wieder Hieronymus auf, der inzwischen vergessen hatte, daß er eigentlich in freundschaftlichen Beziehungen zu uns stand, und gab an, daß er längst das Europäerviertel für seine Flammenbündler habe mieten wollen, während Mouton die Gelegenheit ergriff, um seine Forderung an den Hauswirt geltend zu machen. Er wollte durchaus den Beweis antreten, daß dieser ein Schurke und Hieronymus Edelmann ein Gespenst sei. Auf letzteren Umstand legte der Untersuchungsrichter kein besonderes Gewicht. Im Gegenteil, man begann zu zweifeln, ob Monsieur Mouton bei normalem Verstand sei, und das machte die Gegenpartei sich natürlich zunutze.
So tobte der Kampf hin und her, und es bestand keine Aussicht, daß der Prozeß jemals ein Ende nehmen würde.
Mittlerweile war auch die stellenlose Gesellschaftsdame in das Gartenhäuschen übergesiedelt. Kopf an Kopf standen wir am Fenster, als sie ihren Einzug hielt. Wir sahen, wie Hieronymus ihr das Krokodil und die Springmäuse, die inzwischen wirklich gelernt hatten, aus der Hand zu fressen, vorstellte. Übrigens mußten wir wieder einmal Monsieur Mouton recht geben – so wenig Charme das Krokodil auch hatte, es war ihr immerhin noch vorzuziehen. Wir sahen, daß sie nicht einen Augenblick zusammenzuckte, sondern vertrauensvoll zu Hieronymus aufblickte, und wir begriffen, daß sein Gespensterinstinkt ihn diesmal nicht getäuscht hatte. Diese Dame war sicherlich geeignet, an seiner Seite und von unheimlichem Getier umgeben als Präsidentin des Flammenbundes zu walten.
Nachdem sie sich in ihre Gemächer zurückgezogen, kam er mit strahlendem Monokel unter das Fenster – er hatte wieder vergessen, daß er jetzt im Prozeß unser erbitterter Gegner war – und verkündete, daß seine Pläne sich nunmehr aufs herrlichste entwickelten. Mit dem nächsten Schiff käme eine Reihe von Mitgliedern, und er hoffte, dann würden auch wir anders denken lernen und uns der Sache anschließen.
Uns war schlimm zumut.
Tags darauf kam er vom Hafen zurück und brachte einen dicken fröhlichen Kapitän mit. Es war das keine Seltenheit, denn wenn Hieronymus keine geeigneten Passagiere fand, überreichte er auch dem Kapitän seine Visitenkarte und versuchte, ihn mindestens für einen Abend in das Logierhaus zu bringen. Dieser hier fuhr mit einem kleinen Handelsdampfer und war entzückt über den gastlichen Empfang, der ihm zuteil wurde. Wir aber waren nicht minder froh, einmal wieder ein unbeteiligtes Gesicht zu sehen, und so kam es, daß der schlichte Seemann fast über Gebühr gefeiert wurde und die ganze Gesellschaft auf morgen zu einem Schiffsfrühstück einlud. Punkt zwölf Uhr, denn um zwei sollte in See gestochen werden.
Hieronymus ließ es sich angelegen sein, den Gast zu erfreuen, zog, kaum daß die Mahlzeit beendet war, die Statuten seines Vereins aus der Tasche, erläuterte seine organisatorischen Bestrebungen und suchte ihn dann ohne weiteres für den Flammenbund zu heuern.
Es war nicht ganz klar, ob der biedere Kapitän das alles richtig erfaßte, denn er wollte sich halbtot lachen und sagte immer wieder: »Ja, das wäre sehr hübsch, aber morgen kommen Sie erst mal zu mir, und dann wollen wir frühstücken.« Eine Welt von Alkohol lag in diesem einen Wort. Ein wenig verstimmt brachte Hieronymus nun das Gespräch auf exotische Tiere und erzählte, daß sein Krokodil seit ein paar Tagen nicht fressen wolle. Es müsse krank sein, und er wollte es ihm durchaus noch bei Nacht und Nebel zeigen, um seinen Rat einzuholen, in der festen Meinung, daß jeder weitgereiste Kapitän auch Sachverständiger in Krokodilangelegenheiten sein müsse. Dieser jedoch – er hieß Petersen – sagte, er selbst verstände nichts davon, aber sein Steuermann, und Hieronymus solle das Tier nur morgen mitbringen. Worauf er wiederholte: »Und dann wollen wir frühstücken«, und sich etwas benommen verabschiedete.
Wir anderen erwogen noch spät in der Nacht einen verzweifelten Plan. Kapitän Petersen war uns von Gott