Das rote Meer. Clara Viebig

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Das rote Meer - Clara Viebig

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hatte, von Alpengrün bedeckt, stieg der tote Leutnant Rossi und suchte seine Witwe heim. Nachts trat er an ihr Bett, sprach Worte der Liebe und — Worte der Drohung. Sie warf sich rastlos hin und her, wand sich wie in körperlichen Qualen, und schlief sie endlich ein, träumte sie so lebhaft von ihm, dass sie, vom eigenen Schrei erschreckt, wieder erwachte. — —

      Unten schalt Lilis Hauswirtin, die Witwe Krüger: was gab die Frau Leutnant da oben denn an? Die weckte ihr noch den Jungen auf.

      Des kleinen Gustav Bett stand neben dem Bett der Grossmutter. Der tat es so gut, seinen Atemzügen lauschen zu können. Wie ruhig das Kind schlief! Sie selber schlief nur wenig. Es ging ihr wie unendlich vielen anderen. Ruhig schlafen? Wer konnte das jetzt?! Die, die einen draussen hatten, bangten um den, und den anderen war es auch bang genug.

      Jetzt, in diesen grauen Wintertagen, auf toter, kalter Erde, schien die Welt ganz freudenarm, die Zeit trostlos. Sollte auch das Jahr 1918 herankommen und noch immer kein Friede sein? Es ballte sich heimlich manche Faust — ‚Herrlichen Zeiten führe ich euch entgegen‘ — ei, schöne, herrliche Zeiten! Den ganzen vergangenen Winter hatte man Kohlrüben fressen müssen, immer Kohlrüben; Kartoffeln gab’s nicht. Mittags Kohlrüben, abends Kohlrüben, morgens Kohlrüben wieder aufgewärmt; Kohlrübensuppe, Kohlrübengemüse, Kohlrübenmarmelade, Kohlrüben im Brot. Man wurde den Kohlrübengeschmack überhaupt nicht mehr los. Diesen Winter würde es Kartoffeln geben, dafür aber gar kein Gemüse. Der heisse Sommer hatte alles verbrannt. Keinen Kopf Kohl, kein Pfund Spinat, kein Bündchen Zwiebeln. Kartoffeln, nur Kartoffeln; ohne Fleisch und Fett würgen sie in der Kehle. Fett! Wer hatte wohl Fett gesehen?! So wenig Fett man selber am Leibe hatte, so wenig schien auch das Vieh zu haben. Das Viertelpfund Fleisch, das man pro Kopf zweimal die Woche bekam, war zäh wie Sohlenleder. Es gab nichts Fettes mehr auf der Welt. Ha, nur einmal wieder eine Schnitte Brot essen können mit Butter bestrichen oder mit Schmalz! Und womit sollte man kochen? Das Kleckschen Butter, das jeder auf seine Karte bekam, war so gut wie gar nichts, und das bisschen Margarine stank. Nach Fischtran, nach Petroleum, nach alten Knochen. — — —

      „Geh man einholen,“ sagte Frau Müller, bei der die Dombrowskischen Kinder in Pflege waren, zu der kleinen Minna. „Ich kann heut nich selber gehn. Brot-, Fett-, Kartoffel- und da de Lebensmittelkarte. Auf die haste Heringe zu kriegen; wir sind unsre drei, also ein und einen halben. Pass auf, dass du de Karten nich verlierst. Verlierste se, kriegste Dresche. Un du weisst, denn haben wer bis nächste Woche kein Brot, keine Kartoffeln, jar nischt. Denn musste verhungern.“

      Mit dem Gefühl ungeheurer Wichtigkeit verliess Minna die Stube. Sie wohnten zu ebener Erde hinten heraus, nun tänzelte sie über den Hof. Das war doch zu schön, dass sie einmal einholen durfte, und so alleine! Der Erich würde staunen, wenn er aus der Schule kam. Zierlich ihr kurzes Röckchen hinten noch kürzer raffend, wie sie’s bei den Damen gesehen hatte, trippelte sie über die Strasse.

      Die Strasse war schmutzig, Herbstgüsse hatten den Boden erweicht. Sie wurde auch jetzt längst nicht mehr alle Tage gefegt; die Strassenreiniger waren im Krieg, nur die alten, durch ein langes Leben Ermüdeten und zu fördernder Arbeit nicht mehr Tauglichen, waren zurückgeblieben. Kot, Papier, Überreste, was lag, das lag. Durch die Regenlachen waren viele Füsse gepatscht und hatten Brei gerührt, ein paar Pferde waren durchgetrappelt; sie hatten ihre Äpfel fallen lassen.

      Im offenen Körbchen, das Minna am Arme trug, lagen die gelbe, die grüne, die weisse und die rosa Karte. Sie warf ab und zu einen besorgten Blick darauf: alle noch da. Nun war sie bald am Konsumverein. Ach, vielleicht kriegte sie da einen Bonbon zu! Der Erich hatte neulich mal einen gekriegt. Ihre kleine Nase schnupperte, sie leckte sich über die Lippen. Da gab es Bonbons, die färbten die Zunge rot; welche waren auch so hart, dass man sie nicht durchbeissen konnte, und welche schmeckten nach Farbe, aber es gab auch welche, die schmeckten schön süss. Vor ihrer Phantasie gaukelten die Bonbons, die die Mutter ihr in den Mund gesteckt hatte, ehe der garstige Krieg war. Sie hatte lange nichts Süsses gegessen; den Zucker, den man für den Monat bekam, den brauchte die Müllern zum Kochen und tat ihn sich auch in den Kaffee.

      Minna stand in Sehnsucht versunken, ihr Körbchen am Arm.

      Ein Bollerwagen kam angerasselt, der Schmutz spritzte nach allen Seiten. Der Kutscher, ein halbwüchsiger Bengel, peitschte unvernünftig auf die Pferde, die Hufe schlugen das Pflaster, dass Funken sprühten, Fässer und Kisten hopsten und polterten, — da, ein Fass kollerte vom Wagen. Krach. Das Fass war morsch, es zerbrach, der Inhalt floss auf die Strasse.

      Wo kamen nur so schnell auf einmal alle die Kinder her? Und auch die Erwachsenen? Das war ja Sirup, köstlicher Sirup! Wo Wasserlachen zwischen dem holprigen Pflaster gestanden hatten, standen jetzt Siruplachen. Was machte es, dass Füsse gegangen, Wagen gefahren und Pferdeäpfel gefallen waren! Ein Junge kniete nieder, ein anderer stiess ihn weg: „Lass mir ooch mal!“ Bald war ein Gebalge im Gange, die Kinder stritten sich. Und während die Kleinen noch zankten, waren die Grossen schon am Werk. Geschäftige Hausfrauen schöpften mit Löffeln in Töpfe und Krüge. Zum Backen war’s noch ganz schön, und auch wenn man’s den Kindern aufs Brot strich; die assen noch ganz was anderes. Ein Alter besann sich nicht lange, Löffel und Topf hatte er nicht, er schöpfte, sich stöhnend bückend, mit seiner Mütze, der alten Soldatenmütze, die der Enkelsohn auf den Grossvater vererbt.

      Minna war zur Seite gestossen worden, die Jungen waren stärker; nun hatte sie aber doch ein Plätzchen erwischt. Sie leckte und schleckte: oh, so schön süss! Ihr Mund war rundum beschmiert und verbreitert bis an die Ohren, ihre Nasenspitze braun, ihre Schürze zeigte vorn eine Traufe. Die blonden Haare hingen ihr tief ins Gesicht, als sie, auf den Hacken kauernd, sich noch tiefer bückte. Sie war heiss und rot — oh, plötzlich war’s alle! Wie sie auch tunkte, nichts mehr, nichts als das nackte Pflaster.

      Wie aus einem Traum erwachend, stand Minna auf. Ihr Kleid war schmutzig geworden, ganz nass war’s, bis durch auf die Knie. Sie bekam plötzlich Angst: die Müllern würde schimpfen. Und nun fasste sie nach ihrem Körbchen; es war ihr längst vom Arm geglitten. Das Körbchen war noch da, umgestürzt lag’s auf der Seite, aber die Karten, die grüne, die gelbe, die weisse, die rosa, die waren weg. ‚Wenn du se verlierst, denn musste verhungern —‘ „Mutter, Mutter!“ Minna erhob ein lautes Geschrei.

      Warum weinte die Kleine denn so? Die Karten verloren? „Tröste dir man, Kleene,“ sagte eine Frau, deren hohlwangigem Gesicht der Jammer der Zeit seinen ganz besonderen Stempel aufgeprägt hatte: Verbissenheit, Trotz, Verzweiflung, stumpfe Ergebung. „Is ja janz ejal, ob du eene Woche früher verhungerst oder eene später. Krepieren duhn wer doch alle!“

      Im Anzeiger wurde die Geschichte vom heruntergestürzten und aufgeschleckten Sirupfass humoristisch wiedergegeben — war das nicht sehr komisch? Aber Hermine von Voigt lachte nicht mit. So traurig waren die Ernährungsverhältnisse schon? Ein unheimliches Gefühl überkroch sie: was sollte werden, wenn der Krieg nun noch länger dauerte? Ihr Mann schrieb, ein Ende sei nicht abzusehen. Was auch die Zeitungen posaunten von hoffnungsvollen Aussichten, vom Frieden, den man sich so heiss ersehnte, auf den man hoffte wie auf eine Seligkeit, ach, und den man so nötig hatte, ja, bitter nötig — man brauchte nur die Augen offen zu haben — vom Frieden redeten sie nicht mehr. Über beispiellose Siege in Italien wurde freilich gejubelt, an eine zugespitzte kritische Lage zwischen Japan und Amerika allerlei günstige Kombinationen geknüpft, über die vergeblichen Anläufe der Engländer in Flandern und die unbesiegliche Abwehrkraft der Deutschen viele Worte gemacht. Der Waffenstillstand an der Ostfront hatte dem Zweifrontenkrieg ein Ende gemacht, alle ihre Kraft konnte die geniale Heeresleitung nun dem Westen zuwenden; die U-Boote fegten den Ozean rein, und doch noch kein Ende.

      ‚Zur Jahreswende 17!‘ Mit ernstem Blick sah Hermine von Voigt auf das Zeitungsblatt in ihrem Schoss. Wiederum eine Jahreswende! Ein kalter Schauer überlief sie. Und doch war es um sie warm und behaglich.

      Es war etwas Altmodisches in diesen Räumen, etwas von Eltern und Grosseltern

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