Die Jahre. Virginia Woolf
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Читать онлайн книгу Die Jahre - Virginia Woolf страница 17
»Sie interessieren sich für Geschichte?« fragte er und wandte sich seinem Teller voll Fisch und Kartoffeln zu.
»Ich liebe Geschichte«, sagte sie. Seine hellblauen Augen, die sie geradewegs und fast ungestüm ansahn, schienen sie zu zwingen, ganz kurz zu sagen, was sie meinte.
»Aber ich bin schrecklich faul«, fügte sie hinzu. Da sah Mrs. Robson sie fast streng an und reichte ihr eine dicke Schnitte Butterbrot auf der Spitze eines Messers.
Jedenfalls haben sie einen schauderhaften Geschmack, sagte sie sich wie aus Rache dafür, was, wie sie fühlte, als Verweis gemeint gewesen war. Sie richtete ihre Augen auf ein Bild gegenüber – eine ölige Landschaft in schwerem Goldrahmen. Rechts und links davon hing je ein blau und roter japanischer Teller. Alles war häßlich, besonders die Bilder.
»Die Berge hinter unserm Haus«, sagte Mr. Robson, der bemerkte, daß sie ein Bild ansah.
Es wurde Kitty bewußt, daß der Akzent, mit dem er sprach, der von Leuten aus Yorkshire war. Bei der Bemerkung über das Bild hatte er sich verstärkt.
»In Yorkshire?« fragte sie. »Wir kommen auch von dort. Die Familie meiner Mutter, meine ich«, fügte sie hinzu.
»Die Familie Ihrer Mutter?« fragte Mr. Robson.
»Rigby«, sagte sie, leicht errötend.
»Rigby?« wiederholte Mrs. Robson aufblickend. »Ich orr beitete bei einer Miss Rigby, beforr ich geheiratet hab’.«
Was für eine Art von Orrbeit hatte Mrs. Robson verrichtet? fragte sich Kitty. Sam erklärte:
»Meine Frau war Köchin, Miss Malone, bevor wir heirateten.« Wieder verstärkte er seinen Akzent, als wäre er stolz darauf. Ich hatte einen Großonkel, der war Zirkusreiter, fühlte sie sich versucht zu sagen, und eine Tante, die heiratete einen ... Aber Mrs. Robson unterbrach sie.
»Holunderheim hieß das Haus«, sagte sie. »Zwei sehr alte Damen; Miss Ami und Miss Matilda.« Ihr Ton war weicher. »Aber die beiden müssen längst gestorben sein«, schloß sie. Zum erstenmal lehnte sie sich zurück, und dann rührte sie ihren Tee, genau so wie der alte Snap auf der Farm, dachte Kitty, seinen Tee um und um rührt.
»Sag Jo, wir knapsen nicht mit dem Kuchen!« rief Mr. Robson, sich eine Schnitte von dem zerklüftet aussehenden Ding absägend; und Nelly verließ abermals das Zimmer. Das Hämmern im Garten hörte auf. Die Tür öffnete sich. Kitty, die ihre Augen auf den kleinen Wuchs der Familie Robson eingestellt hatte, erlebte eine Überraschung. Der junge Mann erschien ungeheuer groß in diesem kleinen Zimmer. Er war ein hübscher junger Mann. Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, als er hereinkam, denn Holzspäne waren darin hängengeblieben.
»Unser Jo«, sagte Mrs. Robson vorstellend. »Geh und bring den Kessel, Jo«, fügte sie hinzu; und er ging sogleich, als wäre er gewohnt, es zu tun. Als er mit dem Kessel zurückkam, begann Sam ihn mit dem Hühnerhaus zu necken.
»Du brauchst aber hübsch lange, mein Sohn, um ein Hühnerhaus zu flicken«, sagte er. Es gab da offenbar einen Familienscherz über das Flicken von Schuhen und Hühnerhäusern, den Kitty nicht verstand. Sie sah Jo zu, wie er unter den Neckereien seines Vaters stetig weiteraß. Er sah nicht nach Eton oder Harrow aus oder Rugby oder Winchester, weder nach Studium noch nach Sport. Er erinnerte sie an Alf, den Taglöhner oben auf Carters Farm, der sie hinter dem Heuschober geküßt hatte, als sie fünfzehn war, und wie dann plötzlich der alte Carter aufgetaucht war, der einen Stier an einem Nasenring führte und rief: »Laß das bleiben!« Sie senkte wieder den Blick. Sie hätte es ganz gern, wenn Jo sie küßte; lieber, als von Edward geküßt zu werden, dachte sie plötzlich. Sie wurde sich ihres eignen Äußern bewußt, an das sie gar nicht mehr gedacht hatte. Er gefiel ihr. Ja, sie gefielen ihr alle, sagte sie sich; sehr gut; wirklich sehr gut. Sie hatte das Gefühl, ihrer Bonne entwischt und allein weggelaufen zu sein.
Dann begannen die Kinder von ihren Stühlen zu krabbeln; die Mahlzeit war vorbei. Sie tastete unter dem Tisch nach ihren Handschuhen.
»Sind’s die?« fragte Jo, sie vom Boden aufhebend. Sienahm sie und knüllte sie in der Hand.
Er warf einen schnellen, mürrischen Blick auf sie, wie sie so in der Tür stand. Die ist zum Anbeißen, sagte er sich, aber, meiner Treu, sie spielt sich auf!
Mrs. Robson führte sie in das kleine Zimmer, wo sie sich vor dem Tee in dem Spiegel besehen hatte. Es war überfüllt von Sachen. Da waren Bambustischchen; in Samt gebundene Bücher mit Messingscharnieren; marmorne, schräg sich streckende Gladiatoren auf dem Kaminsims, und unzählige Bilder ... Aber Mrs. Robson deutete mit einer Geste, die genau einer Geste Mrs. Malones glich, wenn sie auf den Gainsborough wies, der nicht ganz sicher ein Gainsborough war, auf einen riesigen silbernen Präsentierteller mit einer Inschrift.
»Den haben seine Schüler meinem Mann geschenkt«, sagte Mrs. Robson, auf die Inschrift weisend. Kitty begann sie laut abzulesen.
»Und das ... « sagte Mrs. Robson, sobald Kitty zu Ende war, und wies auf ein Schriftstück, das gerahmt, wie ein Bibelspruch, an der Wand hing.
Da aber trat Sam vor, der im Hintergrund gestanden und an seiner Uhrkette gezupft hatte, und deutete mit seinem spachteligen Zeigefinger auf die Daguerreotypie einer alten Frau, die in dem Photographenstuhl fast überlebensgroß aussah.
»Meine Mutter«, sagte er und verstummte. Er stieß ein sonderbares glucksendes Lachen aus.
»Ihre Mutter? «wiederholte Kitty und neigte sich vor, um das Bild zu betrachten. Die unförmige alte Frau, die da in der ganzen Steifheit ihres besten Kleids posiert war, sah in höchstem Grad unschön aus. Und doch fühlte Kitty, daß Bewunderung erwartet wurde.
»Sie sehn ihr sehr ähnlich, Mr. Robson«, war alles, was sie zu sagen finden konnte. Tatsächlich hatten die beiden dasselbe stämmige Aussehn; denselben durchdringenden Blick; und sie waren beide sehr unschön. Er stieß sein glucksendes Lachen aus.
»Freut mich, daß Sie das bemerken«, sagte er. »Hat uns alle aufgezogen. Keins von uns kann ihr das Wasser reichen, allerdings.« Wieder stieß er sein sonderbares glucksendes Lachen aus.
Dann wandte er sich an seine Tochter, die hereingekommen war und in ihrem Arbeitskittel dastand.
»Kann ihr nicht das Wasser reichen«, wiederholte er und kniff Nelly in die Schulter. Wie Nelly so dastand, die Hand ihres Vaters auf der Schulter, unter dem Bild ihrer Großmutter, überkam Kitty ein jähes Selbstbedauern. Wenn sie die Tochter von Leuten wie die Robsons wäre, dachte sie, wenn sie oben im Norden gelebt hätte – aber es war klar, daß sie wollten, sie solle schon gehn. Niemand setzte sich je in diesem Zimmer. Sie standen alle umher. Niemand drängte sie, zu bleiben. Als sie sagte, sie müsse gehn, kamen sie alle mit ihr in den kleinen Flur hinaus. Sie warteten alle darauf, weiter zu tun, was ein jedes zu tun hatte, so fühlte sie. Nelly war im Begriff, in die Küche zu gehn und das Teegeschirr abzuwaschen; Jo ging zu seinem Hühnerhaus zurück; die Kinder würden von der Mutter zu Bett gebracht werden; und Sam – was hatte er vor? Sie sah ihn an, wie er da stand mit seiner schweren Uhrkette wie die eines Schuljungen. Du bist der netteste Mann, dem ich je begegnet bin, dachte sie, ihm die Hand hinstreckend.
»Hat mich sehr gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte Mrs. Robson auf ihre würdevolle Art.
»Hoffe, Sie werden bald wiederkommen«, sagte Mr. Robson und drückte ihr sehr fest die Hand.
»Oh,