Die Politik Jesu. John Howard Yoder

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Die Politik Jesu - John Howard Yoder Edition Bienenberg

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Die Rekonstruktion einer Sozialethik auf dieser Seite des Übergangs wird darum ihre Richtung vom gesunden Menschenverstand und der Natur der Dinge erhalten. Wir wägen ab, was „passend“ und „adäquat“ ist; was „relevant“ und „effektiv“. Wir sind „realistisch“ und „verantwortlich“. Alle diese Leitsätze verweisen auf eine Erkenntnistheorie mit dem klassischen Etikett natürliche Theologie. Die Natur der Dinge meint man in ihrer bloßen Gegebenheit angemessen zu erfassen. Recht ist, was das wesentlich Gegebene respektiert oder seine Verwirklichung fördert. Ob man dieser Ethik in der reformatorischen Form begegnet, wo sie als Ethik der „Berufung“ oder des „Standes“ bezeichnet wird, oder in der augenblicklich populären Form der „Situationsethik“, oder in den älteren katholischen Formen, wo „Natur“ in anderer Weise auftaucht – immer ist es der Struktur nach das gleiche Argument: durch die Beobachtung der Realitäten um uns herum, nicht durch das Hören einer Verkündigung Gottes, erkennen wir, was recht ist.14

      Glücklicherweise, so fährt die Erklärung fort, wurden die Dinge bald durch den Apostel Paulus richtiggestellt. Er korrigierte die Tendenz zum Neo-Judaismus oder zum Frühkatholizismus durch die Betonung der Priorität der Gnade und der sekundären Bedeutung der Werke, so dass ethische Belange nicht mehr zu ernst genommen werden konnten.

      … wer eine Frau hat, [soll] sich in Zukunft so verhalten, als habe er keine, wer weint, als weine er nicht, wer sich freut, als freue er sich nicht, wer kauft, als würde er nicht Eigentümer, wer sich die Welt zunutze macht, als nutze er sie nicht.

      1Kor 7,29ff (Einheitsübersetzung)

      Eine zweite Frage müssen wir stellen: Was wird aus der Behauptung der Menschwerdung, wenn Jesus nicht als Mensch normative Bedeutung hat? Wenn er Mensch ist, aber nicht Vorbild, ist das nicht die alte ebonitische Häresie? Wenn er irgendwie Autorität ist, aber nicht in seiner Menschlichkeit, ist das nicht ein neuer Gnostizismus?

      Auch die innere Schlüssigkeit ist problematisch. Warum sollten Christen innerhalb der Machtstrukturen soziale Verantwortung ausüben, wenn ihr Handeln dort von denselben Maßstäben geleitet ist wie das der Nichtchristen?

      Wollten wir diese Fragen vom systematischen oder historischen Ende aufrollen, so hätte das mit biblischer Forschung nichts zu tun. Wir könnten aber, da wir nun einmal durch diese Fragen sensibilisiert sind, wiederum am Anfang beginnen, und zwar so, dass wir versuchen, einen Teil des Neuen Testaments ohne die üblichen negativen Vorurteile über seine Verbindlichkeit zu lesen. Oder schärfer gesagt: Ich schlage vor, die Evangeliumserzählung mit der dauernd gegenwärtigen Frage zu lesen: „Gibt es hier eine Sozialethik?“ Mit anderen Worten, wir testen die den vorherrschenden Annahmen entgegenlaufende Hypothese, dass nämlich Dienst und Anspruch Jesu am besten so verstanden werden, dass Jesus den Menschen nicht die Vermeidung politischer Stellungnahmen empfiehlt, sondern gerade eine bestimmte soziale – politische – ethische Stellungnahme nahelegt.

      Diese Studie geht also zwei recht verschiedene Aufgaben an. Die beiden unterscheiden sich in Inhalt und Vorgehensweise. Sie verlangen also auch nach verschiedenen Methoden und Veranschaulichungen.

      1. Ich will versuchen, ein Verständnis Jesu und seines Dienstes zu skizzieren, aus dem die direkte Bedeutung Jesu für die Sozialethik ersichtlich wird. Das fällt in das Gebiet neutestamentlicher Forschung innerhalb der exegetischen Wissenschaft.

      2. Ich werde außerdem zeigen, dass Jesus, so verstanden, nicht nur relevant, sondern auch normativ ist für eine zeitgenössische christliche Sozialethik.

      Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass das Unternehmen nur dann von Bedeutung ist, wenn beide Antworten bejaht werden können. Wenn aus allgemeinen Gründen der systematischen oder philosophischen Theologie, wie sie lange Zeit die theologische Ethik weitgehend beherrschten, Jesus, wer immer er war, kein Modell für die Ethik ist, dann wird es im Detail bedeutungslos, wer er war und was er tat.

      Wenn Jesus jedoch, anders als alle anderen Menschen, kein politisches Wesen war, oder wenn er weder Originalität noch Interesse gezeigt hätte, auf die Fragen einzugehen, die seine soziopolitische Umgebung ihm stellte, so wäre es witzlos, nach der Bedeutung seiner Haltung für uns heute zu fragen.

      Um die Frage zu vereinfachen und bearbeiten zu können, schlage ich vor, dass wir uns hauptsächlich auf ein Dokument konzentrieren: auf den kanonischen Text des Evangeliums nach Lukas. Lukas’ erzählerische Linie bietet uns eine einfache Skizze, und seine redaktionelle Haltung wurde oft als Versuch angesehen, eine Bedrohung der mediterranen Gesellschaft oder der römischen Herrschaft durch die christliche Bewegung zu bestreiten. Dass wir unsere verstreuten Sondierungen auf Lukas konzentrieren, soll die Lektüre nicht lenken. Jeder andere Evangelientext hätte ebensogut benutzt werden können, und gelegentlich werden wir die Parallelen und Unterschiede in den anderen Evangelien heranziehen.

      Unser Unternehmen hat nicht einmal so sehr mit dem neutestamentlichen Text als solchem zu tun, als mit den modernen Ethikern, die behauptet haben, die einzige Möglichkeit, von der Geschichte der Evangelien zur Ethik zu kommen, von Bethlehem nach Rom oder nach Washington oder Saigon, liege darin, diese Geschichte hinter sich zu lassen. Ich werde mehr die Ereignisse als die Lehre betrachten, mehr die Abfolge als die Substanz. Die nächsten Seiten werden eher Sondierungen als ein eingehendes Gutachten bringen.

      Es

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