Das Ende des Wachstums. Richard Heinberg

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Das Ende des Wachstums - Richard Heinberg

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zu schielen, wo es keine solchen Vorschriften, aber billige Arbeitskräfte und relativ unberührte natürliche Ressourcen gab; sie erschienen als potentielle Goldminen. Internationale Investmentbanken liehen armen Ländern enorme Summen für unvernünftige Infrastrukturprojekte (und nebenbei auch für Schmiergeldzahlungen an korrupte Politiker), die die Länder später zwangen, ihre natürlichen Ressourcen zu Spottpreisen zu verschleudern, weil sie anders ihre Kredite nicht bedienen konnten. Auf Druck der Unternehmen drängten die Industrieländer dann auf eine Liberalisierung des Handels durch die Welthandelsorganisation WTO (die neuen Regeln wurden fast immer raffiniert von den reicheren Handelspartnern angestoßen). All das führte vorhersehbar zu einer geringeren Produktion und Ressourcenausbeutung in großen Industrieländern, vor allem in den Vereinigten Staaten (viele wichtige Ressourcen waren in den reichen Industrieländern sowieso erschöpft) und einem steilen Anstieg der Ressourcenausbeutung und Produktion in mehreren »Entwicklungs«-Ländern, vor allem in China. Der Rückgang der heimischen Produktion und Ressourcenausbeutung veranlaßte wiederum Investoren aus Industrieländern, Gewinne durch reine Finanzgeschäfte zu suchen. Infolge dieser Trends sind heute genauso viele Amerikaner in der Produktion beschäftigt wie 1940, als die Bevölkerungszahl nur rund halb so groß war, hingegen hat sich der Anteil der Finanzdienstleistungen an der Wirtschaftsaktivität im selben Zeitraum verdreifacht. Spekulative Investitionen sind gängige Praxis geworden, werden an Spitzenuniversitäten gelehrt und haben ihren festen Platz in den größten Firmen der Welt.

      Aber wenn wir zurücktreten und einen weiteren Blickwinkel einnehmen, erkennen wir größere und längerfristige Trends, die eine noch wichtigere Rolle spielen. Ein Schlüsselfaktor war die Ablösung des Geldes von seiner Bindung an Edelmetalle, ein Prozeß, der vor über einem Jahrhundert begonnen hat. Als Schulden die Grundlage des Geldes wurden (und Geld hauptsächlich durch die Kreditvergabe von Banken geschaffen wurde), wurde das Wachstum der Schulden zur Bedingung für das Wachstum der Geldmenge und damit der wirtschaftlichen Expansion. Weil praktisch alle – Arbeitnehmer, Investoren, Politiker – nach mehr Wachstum schrien, mußten zwangsläufig neue Wege gefunden werden, um die Generierung von Schulden zu stimulieren. Das erklärt, warum in den letzten Jahren so verwirrend viele Instrumente auftauchten, um zu leihen, zu wetten und zu versichern – von Kreditkarten bis zu Kreditausfall-Swaps –, allesamt im Kern Werkzeuge, um das Geld »flüchtiger« zu machen und mehr Schulden zu erzeugen.

      Ein Marxist würde sagen, all dies ergebe sich zwingend aus dem Wesen des Kapitalismus. Ein Historiker könnte behaupten, es spiegele den unvermeidlichen Gang aller großen Reiche wider (obwohl vergangene Reiche keine fossilen Brennstoffe besaßen und ihnen damit die Mittel für eine globale Expansion fehlten). Und ein Kulturanthropologe könnte darauf verweisen, daß die Ursachen für unsere Schuldenspirale zur Zivilisation gehören: Als die Schenkökonomien an Bedeutung verloren und der Tauschhandel an Bedeutung gewann, wurden aus den unendlich vielen wechselseitigen Verpflichtungen, die die Angehörigen einer Gemeinschaft verbanden, finanzielle Schulden (und, wie die Jäger und Sammler intuitiv begriffen, Schulden innerhalb einer Gemeinschaft können nie ganz zurückgezahlt werden – das sollen sie auch gar nicht und ganz sicher nicht mit Zinsen).

      Letzten Endes läßt sich das Dilemma der modernen Welt vielleicht in der einfachen Formel fassen »Was aufsteigt, kommt auch wieder herunter«. Aber weil wir die Ereignisse im Zusammenhang mit Aufstieg und Fall direkt und aus erster Hand erleben, erscheint uns das alles gar nicht einfach. Die Medien bombardieren uns; täglich werden wir mit ungefilterten und ungeordneten Daten überschüttet; das Tempo des Wandels überwältigt und verwirrt uns. Aber wenn wir auf den Wandel reagieren und uns erfolgreich anpassen sollen, müssen wir verstehen, was passiert, wohin es gehen könnte und was wir tun können, um unter den gegebenen Umständen ein optimales Ergebnis zu erreichen. Damit wir den Durchblick bekommen, müssen wir den Wald sehen (die großen, langfristigen Trends) und die Bäume (die unmittelbar bevorstehenden Veränderungen).

      Und das bringt uns zu der Schlüsselfrage: Wenn die Finanzwirtschaft nicht immer weiter Schulden aufhäufen kann, was wird dann als nächstes geschehen?

       1.3DIE MAGIE DES ZINSESZINSES

      Nehmen wir einmal an, Sie haben 100 Dollar. Die legen Sie zu 5 Prozent Zinsen auf ein Sparkonto. Nach einem Jahr haben Sie 105 Dollar. Sie lassen die ganze Summe auf dem Konto, so daß Sie am Ende des zweiten Jahres 5 Prozent nicht auf 100 Dollar bekommen, sondern auf 105 Dollar – das sind dann 5,25 Dollar. Nun haben Sie 110,25 Dollar auf Ihrem Konto. Auf den ersten Blick mag das nicht sehr bemerkenswert erscheinen. Aber warten Sie einfach ab. Nach drei Jahren haben Sie 115,76 Dollar, danach 121,55 Dollar, 127,63 Dollar, 134,01 Dollar. Nach zehn Jahren haben Sie 162,88 Dollar, und nach 14 Jahren hat sich Ihre ursprüngliche Investition fast verdoppelt. Nach 29 Jahren besitzen Sie 400 Dollar, und wenn es Ihnen gelingt, Ihr Guthaben die nächsten 43 Jahre nicht anzurühren, haben Sie am Ende fast 800 Dollar. Nach 86 Jahren kassieren Ihre Erben 3200 Dollar, und nach einem Jahrhundert sind aus der ursprünglichen Einlage von 100 Dollar fast 6200 Dollar geworden. Würde es sich statt um ein Guthaben um Schulden handeln, würde sich der Zinseszinseffekt natürlich genauso auswirken.

      Irgendwie haben sich die Ansprüche auf echten Reichtum (Güter und Dienstleistungen) vervielfacht, während die Weltvorräte an natürlichen Ressourcen in vielen Fällen durch die Ausbeutung fossiler Brennstoffe und Minerale, durch Überfischung und übermäßigen Holzeinschlag abgenommen haben. Geld, ob investiertes oder geliehenes, hat das »Recht« zu wachsen, für die Natur gilt das nicht.

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      Grafik 10. Lineares Wachstum. Hier sehen wir lineares Wachstum mit einer Wachstumsrate von 5. Beginnend bei 100 werden 5 addiert, dann 5 zu dieser Summe und so weiter. Nach 50 Wiederholungen dieser Operation sind wir bei 350.

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      Grafik 11. Exponentielles Wachstum (Zinseszinseffekt). Die Kurve zeigt exponentielles Wachstum um 5 Prozent, das heißt, wir beginnen damit, daß wir 100 mit 5 Prozent multiplizieren und das Ergebnis zu den ursprünglichen 100 addieren. Dann multiplizieren wir diese Summe wieder mit 5 Prozent und addieren das Ergebnis zur vorherigen Summe und so weiter. Nach 50 Wiederholungen der Operation sind wir bei 1147.

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