Griechischer Frühling. Gerhart Hauptmann

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Griechischer Frühling - Gerhart Hauptmann

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göttlichen Hirten, eine Gestalt, die mir übrigens schon seit längerer Zeit besonders lebendig ist. Eigentümlicherweise umgibt das Tier, dessen Pflege und Zucht ihm besonders oblag, noch heute bei uns auf dem Lande eine Art alter Opferpoesie. Es ist das einzige Tier, das von kleinen Leuten noch heute, nicht ohne große festliche Aufregung, im Hause geschlachtet wird. Das Barbarische liegt nicht in der naiven Freude an Trunk und Schmaus; denn die homerischen Griechen, gleich den alten Germanen, neigten zur Völlerei. Metzgen, essen, trinken, gesundes Ausarbeiten der Glieder im Spiel, im Kampfspiel zumeist, das alles im Einverständnis mit den Himmlischen, ja in ihrer Gegenwart, war für griechische wie für germanische Männer der Inbegriff jeder Festlichkeit.

      Es liegt in dem Eumäus-Idyll eine tiefe Naivetät, die entzückend anheimelt. Kaum ist irgendwo im Homer eine gleiche menschliche Wärme zu spüren wie hier. Es wäre vielleicht von dieser Empfindung aus nicht unmöglich, dem ewigen Gegenstande ein neues, lebendiges Dasein für uns zu gewinnen.

      Es ist nicht durchaus angenehm, außer zum Zweck der Beobachtung, durch diese weiße, stauberfüllte Vorstadt zurück den Weg zu nehmen. Unglaublich, wieviele Murillosche Kopfreinigungen man hier öffentlich zu sehen bekommt! Es ist glühend heiß. Scharen von Gänsen fliegen vor mir auf und vermehren den Staub, ihn, die weite Straße hinabfliegend, zu Wolken über sich jagend. Hochrädrige Karren kommen mir entgegen. Hunde laufen über den Weg: Bulldoggen, Wolfshunde, Pintscher, Fixköter aller Art! Gelbe, graue und schwarze Katzen liegen umher, laufen, fauchen, retten sich vor Hunden auf Fensterbrüstungen. Eselchen schleppen Ladungen frischgeflochtener Körbe, die den Entgegenkommenden das Ausweichen fast unmöglich machen. Eine breitgebaute, griechische Bäuerin drückt, im bildlichen Sinne, wie sie pompös einherschreitet, ihre Umgebung an die Wand. Bettler, mit zwei alten Getreidesäcken bekleidet, den einen unter den Achseln um den Leib geschlungen, den andern über die Schultern gehängt wie ein Umschlagetuch, sprechen die Inhaber ärmlicher Läden um Gaben an. Ein junger Priesterzögling von sehr gepflegtem Äußeren, mit schwarzem Barett und schwarzer Sutane, ein Jüngling, der schön wie ein Mädchen ist, von einem gemeinen Manne, dem Vater oder Bruder begleitet, geht mir entgegen. Der Arm des Begleiters ist um die Schultern des Priesters gelegt, dessen tiefschwarz glänzendes Haar im Nacken zu einem Knoten geflochten ist. Weiber und Männer blicken ihm nach.

      Heute entdecke ich eigentlich erst den Garten des Königs und seine Wunder. Ich nehme mir vor, von morgen ab mehrere Stunden täglich hier zuzubringen. Seit längerer Zeit zum ersten Male genieße ich hier jene köstlichen Augenblicke, die auf Jahre hinaus der Seele Glanz verleihen, und um derentwillen man eigentlich lebt. Es dringt mir mit voller Macht ins Gemüt, wo ich bin, und daß ich das Jonische Meer an den felsigen Rändern des Gartens brausen höre.

      Wir haben heute den 1. April. Meine Freunde, die Maler sind, und ich, haben uns am Eingange der Königsvilla von einander getrennt, um, jeder für sich, in dem weiten, verwilderten Gartenbereich auf Entdeckungen auszugehen. Es ist ein Morgen von unvergleichlicher Süßigkeit. Ich schreibe, meiner Gewohnheit nach, im Gehen, mit Bleistift diese Notizen. Mein Auge weidet. Das Paradies wird ein Land voll ungekannter, köstlicher Blumen sein. Die herrlichen Anemonen Korfus tragen mit dazu bei, daß man Ahnungen einer andern Welt empfindet. Man glaubt beinahe, auf einem fremden Planeten zu sein.

      In dieser eingebildeten Loslösung liegt eine große Glückseligkeit.

      Ich finde nach einigem Wandern die Marmorreste eines antiken Tempelchens. Es sind nur Grundmauern; einige Säulentrommeln liegen umher. Ich lege mich nieder auf die Steine, und eine unsägliche Wollust des Daseins kommt über mich. Ein feines, glückliches Staunen erfüllt mich ganz, zunächst fast noch ungläubig, vor diesem nun Ereignis gewordenen Traum.

      Weniger um etwas zu schaffen, als vielmehr um mich ganz einzuschließen in die Homerische Welt, beginne ich ein Gedicht zu schreiben, ein dramatisches, das Telemach, den Sohn des Odysseus, zum Helden hat. Umgeben von Blumen, umtönt von lautem Bienengesumm, fügt sich mir Vers zu Vers, und es ist mir allmählich so, als habe sich um mich her nur mein eigener Traum zu Wahrheit verdichtet.

      Die Lage des Tempelchens am Rande der Böschung, hoch überm Meer, ist entzückend; alte, ernste Oliven umgeben in einiger Ferne die Vertiefung, in die es gestellt ist. Welchem Gotte, welchem Heros, welchem Meergreise, welcher Göttin oder Nymphe war das Tempelchen etwa geweiht, das in das grüne Stirnband der Uferhöhe eingeflochten, dem nahenden Schiffer entgegenwinkte? diese kleine, schweigende Wohnung der Seligen, die, Weihe verbreitend, noch heute das Rauschen der Ölbäume, das schwelgerische Summen der Bienen, das Duftgewölke der Wiesen als ewige Opfergaben entgegennimmt. Die kleinen, blinkenden Wellen des Meeres ziehen, vom leisen Ost bewegt, wie in himmlischer Prozession heran, und es ist mir, als wäre ich nie etwas anderes, als ein Diener der unsterblichen Griechengötter gewesen.

      Ich weiß nicht, wie ich auf die Vermutung komme, daß unterhalb des Tempelchens eine Grotte und eine Quelle sein müsse. Ich steige verfallene Stufen tief hinab und finde beides. Quellen und Grotten münden auf grüne von Marguerits übersäte Terrassen, in ihrer versteckten Lage von süßestem Reiz. Ich bin hier, um die Götter zu verehren, zu lieben und herrschen zu machen über mich. Deshalb pflücke ich Blumen, werfe sie in das Becken der Quelle, zu den Najaden und Nymphen flehend, den lieblichen Töchtern des Zeus.

      Ein brauner, schwermütiger Sonnenuntergang. Wir finden uns an die Schwermut norddeutscher Ebenen irgendwie erinnert. Es ist etwas Kühles in Licht und Landschaft, das vielleicht deutlicher vorstellbar wird, wenn man es unitalienisch nennt. Das Landvolk, obgleich die Bäuerinnen imposant und vollbusig sind und von schöner Rasse, erscheint nach außen hin temperamentlos, im Vergleich mit Italien, und zwar trotz des italienischen Einschlags. Es kommt uns vor, als wäre das Leben hier nicht so kurzweilig, wie auf der italienischen Halbinsel.

      Die griechische Bäuerin hat durchaus den graden, treuherzigen Zug, der den Männern hier abgeht, und den man als einen deutschen gern in Anspruch nimmt. Sinnliches Feuer scheint ebenso wenig Ausdruck ihrer besonderen Art zu sein, als bei den homerischen Frauengestalten. Überhaupt erscheinen mir die homerischen Zustände den frühen germanischen nicht allzu fern stehend. Der homerische Grieche ist Krieger durchaus, ein kühner Seefahrer, wie der Normanne verwegener Pirat, von tiefer Frömmigkeit bis zur Bigotterie, trunkliebend, zur Völlerei neigend, dem Rausche großartiger Gastereien zugetan, wo der Gesang des Skalden nicht fehlen durfte.

      Ich habe mich auf den Resten des antiken Tempelchens, das ich nun schon zum dritten- oder viertenmal besuche, niedergelassen. Es fällt lauer Frühlingsregen. Ein großer, überhängender, weidenartiger Strauch umgibt mich mit dem Arom seiner Blüten. Die Wellen wallfahrten heut mit starkem Rauschen heran. Immer der gleiche Gottesdienst in der Natur. Wolkendünste bedecken den Himmel.

      Immer erst, wenn ich auf den Grundmauern dieses kleinen Gotteshauses gestanden habe, fühle ich mich in den Geist der Alten entrückt und glaube in diesem Geiste alles rings umher zu empfinden. Ich will nie diese Stunden vergessen, die in einem ungeahnten Sinne erneuernd sind. Ich steige ans Meer zu den Najaden hinunter. Auf den Stufen bereits vernehme ich das Geschrei einer Ziege, von der Grotte und Quelle empordringend. Ich bemerke, wie das Tier von einem großen, rotbraunen Segel beunruhigt ist, das sich dem Lande, düster schattend, bis auf wenige Meter nähert, um hier zu wenden. Unwillkürlich muß ich an Seeraub denken und das fortwährende, klägliche Hilferufen des geängstigten Tieres bringt mir, beim Anblick des großen, drohenden Segels, die alte Angst des einsamen Küstenbewohners, vor Überfällen, nah.

      Oft ist bei Homer von schwarzen Schiffen die Rede. Ob sie nicht etwa den Nordlandsdrachen ähnlich gewesen sind? Und ob nicht etwa die homerischen Griechen, die ja durchaus Seefahrer und Abenteurernaturen waren, auch das griechische Festland vom Wasser aus zuerst betreten haben?

      Eigentümlich ist es, wie sich in einem Gespräch des Plutarch eine Verbindung des hohen Nordens mit diesem Süden andeutet; wo von Völkern griechischen Stammes die Rede ist, die etwa in Kanada angesessen waren, und von einer Insel Ogygia, wo der von Zeus entthronte Kronos gleichsam in Banden eines

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