Nofretete: Die historische Gestalt hinter der Büste. Franz Maciejewski

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Nofretete: Die historische Gestalt hinter der Büste - Franz Maciejewski

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ist die wahre Sensation des Fundes und die eigentliche Botschaft der Berliner Skulptur jenseits der kunstästhetischen Dimension. Eine Botschaft, die Borchardt offensichtlich entgangen ist.

      Die Amarnazeit

      »Amarna« ist ein Kunstwort, das auf einige arabische Dorf- und Stammesnamen aus der Gegend des antiken Achetaton (»Horizont des Aton«), Echnatons neuer Residenz, zurückgeht. Heute bezeichnet der Name nicht nur den Ort, sondern ebenso die Epoche, die für gewöhnlich mit der 17-jährigen Regierungszeit des »Ketzerkönigs« gleichgesetzt wird. Diese Bestimmung ist jedoch ungenau. Von den siebzehn Jahren hat Echnaton nur die letzten zehn Jahre in seiner neuen Hauptstadt residiert, die ersten Jahre (die mehrjährige Bauzeit eingeschlossen) verbrachte er mit seinem Hof in Theben. Hier fand – noch unter dem Geburtsnamen Amenophis IV. – sowohl seine Krönung als auch seine Heirat mit Nofretete statt. Thebanisch inspiriert waren die Anfänge des neuen künstlerischen Aufbruchs, der gemeinhin als »Amarnastil« bezeichnet wird. Mit den ersten Aton-Tempeln stand auch die Wiege der neuen Religion in Theben.

      Das mit Amarna Gemeinte – der revolutionäre Umbruch in Religion und Kunst – wurde also anfänglich in Theben in Szene gesetzt (wo der minderjährige König noch nicht zu den Hauptakteuren zählte) und ging dann später über den namensgebenden Ort und die Lebenszeit seines Gründers weit hinaus. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme wurde Echnaton nicht gestürzt, sondern in allen Ehren im Königsgrab von Amarna beigesetzt. Auf ihn folgten vier weitere Herrscher, die sich dem Erbe von Amarna, nicht zuletzt aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen, verpflichtet fühlten und zusammen noch einmal 17 Jahre lang regierten: Nofretete, Echnatons Witwe; Semenchkare, sein Halbbruder; Tutanchaton/-amun, sein Sohn; Eje, sein Schwiegervater. Wenngleich die beiden letzten Könige Amarna wieder verließen, waren sie doch allesamt mit Amarna kontaminiert. Als die nachfolgenden Ramessiden Echnaton samt seinen Nachfolgern en bloc aus den Königslisten strichen, haben sie also eine erweiterte Amarnazeit von 34 Jahren aus dem kollektiven Gedächtnis zu tilgen versucht.

      Soweit wir wissen, war Nofretete die einzige Frau, die zu Lebzeiten Echnatons die Stirnschlange trug – und damit den Platz einer gleichberechtigten Mitregentin einnahm. Diese Statuserhöhung ist am besten durch die sogenannte Wilbour-Plakette (Abb. 3) belegt, benannt nach Charles Edwin Wilbour, der das Stück im Jahre 1881 in Amarna erwarb (das somit Borchardt bekannt gewesen sein dürfte). Die Vis-à-vis-Darstellung des Königspaares Echnaton-Nofretete kulminiert in der faszinierenden Gegenüberstellung der beiden Kobras, die – wie die amerikanische Ägyptologin Dorothea Arnold gesehen hat – sehr unterschiedlich stilisiert sind: »Echnatons Kobra bietet ein Bild der Würde, in aufrechter Pose und mit der ruhigen doppelten Schleife des kräftigen Körpers, während Nofretetes nervös schlängelnde Schlange sich bedrohlich nach hinten bewegt, bereit zuzustoßen. Hat der Künstler die beiden Koregenten bewusst unterscheiden wollen, indem er Echnaton am Abend seiner Revolution in abgeklärter Ruhe darstellte, Nofretete dagegen als den aktiveren und energischeren Partner, bereit die Herausforderung des Tages anzunehmen?« Wie auch immer, Einigkeit herrscht unter Experten darüber, dass die Plakette aus der Spätzeit von Amarna stammt. Damit verglichen dürfte die bunte Büste – übrigens die erste aufgefundene Rundplastik, die Nofretete mit einer solitären Stirnschlange zeigt – noch um einige Jahre später zu datieren sein, entweder aus der Zeit unmittelbar vor oder kurz nach dem Tod Echnatons. Das heißt, die Skulptur könnte Nofretete noch als Mitregentin oder schon als Alleinherrscherin zeigen. Die Frage lässt sich nicht entscheiden. Die Würdigung von Arnold im Ohr ist es jedoch eine ansprechende Vermutung, die jetzt von Nofretete ausgestrahlte Ruhe und Souveränität dahingehend zu interpretieren, dass der Künstler den Auftrag hatte, das neue Image der Königin als Pharaonin ins Werk zu setzen. Wenn dem so wäre, dann enthielte das gängige Klischee von der »zeitlosen Schönen« in der Tat eine dramatische Unterbewertung jener Frau, der es als zweiter Königin nach Hatschepsut3 gelang, im Verlauf der 18. Dynastie den ägyptischen Thron zu besteigen.

      Kann es sein, dass Ludwig Borchardt, der Entdecker, all die sprechenden Spuren und Zeichen übersehen hat? Soweit dürfen wir sicherlich nicht gehen. Tatsächlich hat er Jahre später die unterlassene Beschreibung der bunten Büste nachgeholt, wenn auch zögerlich. In seiner Schrift »Porträts der Königin Nofretete« (1923) bekräftigt er zunächst sein damaliges Motto (»Beschreiben nützt nichts, ansehen!«) mit den Worten: »Heute möchte ich dasselbe wieder schreiben, da ich überzeugt bin, dass meine Worte den Eindruck dieses Kunstwerkes nicht wiedergeben können.« Bemerkenswert, dass Borchardt hier allein die ästhetische Bewertung der Büste ins Spiel bringt. Er betrachtet seine kostbare Trophäe offenbar in erster Linie als Ausstellungsstück und weniger als Forschungsgegenstand, der dazu dienen könnte, die Geschichte von Amarna neu zu schreiben. Doch nach diesem erneuten Abstandhalten lässt er sich auf eine »betont sachliche« Beschreibung ein und kommt selbstredend auch auf die Stirnschlange zu sprechen, die uns als eine Art von Leitfossil gedient hat. Die entsprechende Passage lautet: »Etwa auf halber Höhe wird die Perücke durch einen festen goldenen Reif mit Halbedelsteineinlagen bandartig zusammengehalten. Vorn an diesem Reif erhebt sich die Königsschlange, deren Schwanz scharf geknickt auf der Oberseite der Perücke verläuft. Dieser ganze Reif mit der Königsschlange und dem soeben beschriebenen hinteren Schluss ist ein bekanntes, oft abgebildetes königliches Abzeichen, das uns in dem berühmten Diadem des Königs Antef im Leydener Museum auch in Wirklichkeit erhalten ist.«

      Mit der Feststellung, Nofretete trage mit der Stirnschlange ein »königliches Abzeichen«, ist Borchardt der Deutung ganz nah, dass wir nach diesem Ausweis in ihr eine wirklich regierende Königin, also eine Echnaton in Kult und Politik gleichwertige Monarchin, anerkennen müssen. Doch er verschließt sich dieser Schlussfolgerung: »Aus diesem äußerlichen Hervortreten der Königin aber auf ihre tätige Mitwirkung bei den Regierungsgeschäften oder bei den religiösen Bestrebungen ihres königlichen Gemahls zu schließen, scheint mir doch etwas gewagt, namentlich wenn man die andere – oder vielleicht einzige – Seite ihres Wesens betrachtet, die sich in den vielen Familiendarstellungen zeigt. Dort sieht man sie stets nur als liebende Gattin und zärtliche Mutter.«

      Das ist – ganz abgesehen vom deutlich herrscherzentrierten Zungenschlag – ein erkennbar schwaches Argument, weil es ebenso gut die Annahme stützen könnte, in den zahlreichen Familienszenen offenbare sich das wahre Wesen des Echnaton als das »eines liebenden Gatten und zärtlichen Vaters«. Es ist ja gerade das Signum der Amarnazeit, dass das Königspaar fast alle Lebensbereiche teilt und dabei gleichberechtigt und häufig ununterscheidbar auftritt. Aber davon abgesehen, lassen sich einige der sinnlichen, häufig intimen Familienszenen, in denen Nofretete ihrem Gatten Wein einschenkt oder diesen zärtlich liebkost, tatsächlich im Sinne Borchardts (miss-)verstehen. Das gilt auch für eine Vielzahl von Darstellungen des Königspaares beim Opfer für Aton. Typischerweise sehen wir den religiösen Exzentriker Echnaton mit hoch erhobenen Weihgaben voranschreiten, gefolgt von seiner Gattin, die – omnipräsent, aber stets einen Schritt zurück und einen Kopf kleiner – sich für den Kult, so scheint es, in die Pflicht nehmen lässt, ohne das Gefälle der Macht in Frage zu stellen. Das ist jedoch nicht die ganze Wahrheit. Die Schieflage, in die Borchardt geraten ist, hat ihren Grund in einem Klumpeneffekt: Bei weitem die meisten seiner Belege stammen aus der frühen und mittleren Amarnazeit. Schon die aus der Spätzeit zu datierende Berliner Büste fällt, richtig beschrieben, aus diesem Rahmen heraus. Ähnliches gilt auf der anderen Seite für die Vor-Amarnazeit, also die frühen Regierungsjähre in Theben, die zu Borchardts Zeit noch kaum erforscht waren. Hier findet sich eine Fülle von Belegen, die das gängige Bild von der attraktiven (aber unpolitischen) First Lady an der Seite Echnatons auf ganz andere Weise in Frage stellen. So etwa Szenen, in denen Nofretete in Gestalt einer Sphinx symbolisch die Feinde Ägyptens niedertrampelt oder die rituell-martialische Geste des »Erschlagens der Feinde« vollzieht. Königliche Taten einer noch Ungekrönten. Überraschende Facetten wie diese führen zu einer völligen Neubewertung der geschichtlichen Rolle der Königin – und des Mannes an ihrer Seite. Nach 100 Jahren ist die Zeit gekommen, das Motto von Borchardt auf den Kopf zu stellen: Anschauen reicht nicht, beschreiben!

      Der verspätete Auftritt der historischen

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