Weihnachts-Klassiker für alle Generationen: 280 Romane, Sagen, Märchen & Gedichte. Martin Luther
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Das Nähröschen ist mit Recht über den Besuch am Christfest erstaunt. Sie sitzt mit einem Buch inmitten ihrer Weihnachtsgeschenke und hebt ein freundliches Gesicht unter einem roten federigen Haarschmuck empor. Als sie aber das kleine Kunstwert sieht, ist sie voll Entzücken.
»Wie goldig! Man könnte meinen, es sei unser Prinzeßchen, nur daß das nicht so rotbackig und vergnügt aussieht. Ein feines Kleid, das langt nimmer, aber zu einem weißen Hängerchen hab ich noch den Stoff da.«
Und sie kramt allerhand aus einer Kommode unter vielen Ermahnungen an die andrängenden Kleinen, daß sie ja nicht das schöne Prinzeßchen »antappen«! Und sie erzählt: »Dem Prinzeßchen tut jeder gern etwas. Es ist immer sanft und lieb und hat's nicht zum besten. In der letzten Zeit ist's auch immer weniger geworden. Die Missen und Mamsellen sind auch nicht zu freundlich mit ihm.«
Harro hat sich hingesetzt auf eine Truhe und die Beine übereinander geschlagen, das jüngste, rothaarige Kind auf die Knie gehoben, wo er es reiten läßt. Darum wird das Nähröschen auch so zutraulich. »Die Fräulein Braun mag es am liebsten, die lacht doch auch mit ihm und läßt es ein bißchen tun, was es will. Aber eine leichtsinnige Haut ist die. Die wird auch schuld gewesen sein, daß das Prinzeßchen fort ist. Bei der Miß hätte es sich nicht getraut. Die ist eine greuliche! Die sagt: Die Deutsch sind ein Schweine, und Prinzeß will auch Schweine werden! Das macht, weil das Prinzeßchen nicht baden will morgens. Man hört das arme Ding durch den ganzen Prinzessinnengang schreien und wimmern. Bosheit ist's nicht bei dem, das hat kein böses Äderchen. Wer weiß, ob es nicht wegen der Baderei fortgelaufen ist.«
»Wer badet die Kleine?« Das Nähröschen sieht erschrocken auf, der Ruinengraf sieht aus, als unterdrücke er einen gewaltigen Zorn. Du lieber Gott, da hat sie am Ende sich in etwas hineingeredet!
»Fräulein Braun,« antwortet sie ganz verschüchtert. »Die ist jetzt schon im Schlamassel. Gestern sei sie wie von sich gewesen. Untersuchen hat der Fürst nicht mehr wollen gestern, wer daran schuld sei. Aber die Miß dreht es jedenfalls auf die Fräulein Braun hinaus und die auf die arme Babett!« Die fleißigen Hände haben inzwischen nicht geruht, und es ist alle Aussicht vorhanden, daß das Puppenkind heut abend zu Hofe gehen kann. In dem großen Gang, der vor dem Zimmer des Fürsten gegen den herrlichen Turnierhof mit seinen drei übereinander gebauten Steingalerien gelegen ist, und an dessen Wänden die berühmte Geweihsammlung hängt, wandelt der Fürst mit seinem Domänenrat, einem kleinen, spindeligen, aufgeregten Herren, auf und ab. Das graue Schneelicht fällt in den Gang, der nach dem Hofe zu verglast ist. Die gelben Glasaugen einer ausgestopften Wildkatze funkeln aus einer Nische, und ein leichter Lufthauch bewegt ein wenig die ausgebreiteten silbergrauen Flügel eines Fischreihers, der von der Decke hängt.
»Und nun, Herr Domänenrat, helfen Sie mir aussuchen. Ums Himmelswillen nichts Banales. Die Sache müßte womöglich eine persönliche Note haben.«
»Fähr und Brendel haben eine Auswahl geschickt, da Durchlaucht noch ein Geschenk für den Herrn Hofrat wollten, – es findet sich vielleicht etwas darunter.«
»Ach, das ist immer das gleiche. Und die »beziehungsvollen« Sachen sind immer die schrecklichsten. Und dann könnte es den Thorsteiner verletzen: sein Vater war mir der angenehmste Nachbar. Schade, daß der Sohn sich das Leben so furchtbar verdorben hat.«
Der Domänenrat zuckt die Achseln; eine eigene Ansicht zu äußern, scheint ihm im Augenblick nicht opportun.
»Wenn wir unter den alten Sachen suchten? Künstler sollen doch immer auch an Antiquitäten Freude haben.«
Die beiden Herren gehen den Gang hinunter zu einer Wendeltreppe, die sie auf die untere Galerie führt; die ist offen und ein kalter Schneehauch bläst ihnen entgegen. Am Ende des Ganges öffnet sich ein schmales düsteres Gemach, in dem eiserne Schränke in der Wand eingelassen sind. Der Domänenrat entfernt sich, um die Schlüssel zu holen, und der Fürst tritt in die tiefe Nische des vergitterten Fensters. Draußen wird das Flockengestieb dichter, es schimmert nur noch schwach der Wald von der jenseitigen Bergwand herüber. Halb träumend blickt der Fürst hinaus, und seine schönen dunkeln Augen verlieren den etwas starren Blick, der ihnen sonst eigen. Sein Haar und Bart ist noch schön dunkelbraun, sein schmales Rassegesicht mit dem Spitzbärtchen und den etwas vorstehenden Augen erscheint in dem fahlen Schneelicht, wie er in der Nische lehnt, schattenhaft und wie aus einem alten Gemälde heraus. Es hat einen eigentümlich müden Ausdruck, von der Müdigkeit alter Geschlechter, die so viele Jahrhunderte stürmischen und oft so jammervollen deutschen Lebens, nicht geschichtslos, wie die Menschen in dem wie in einem Nest geduckten Taldörfchen – sondern tätig und leidend miterlebt haben. Nun rinnt ja das letzte Korn aus der Sanduhr, wie bald wird das alte Geschlecht sich zur Ruhe betten. Dorthin, wo schon die vielen vorausgegangen sind und nun schlafen in blaßleuchtenden Zinnsärgen, mit Wappenschildereien und Sprüchen bedeckt, in ungefügen dunkeln Truhen, so viele, daß nur noch für einen Sarg Raum zu schaffen ist neben dem silberbeschlagenen Sarg, der des Fürsten junges Glück aufgenommen. Warum mußten seine Gedanken heute in langen Trauerschleppen in diesen Räumen herumsteigen? Macht es das Schneelicht oder dieser düstere Raum, in dem so viel verborgene Schätze liegen? Edelsteine und Gold, die einst auf weißen jungen Busen geleuchtet und gebebt, sich um feine Stirnen geschlungen, die erbleicht, und an Händen geglänzt, die längst im Tode erstarrt sind.
Auch die Smaragde liegen darin, die seine Frau bei den glänzenden Festen am Kaiserhofe getragen. Da liegen sie ... Der Rat hat die Schlüssel und das große Buch gebracht und den Kasten geöffnet. Dies Armband auf dem weißen Samt gebettet – der grüne Stein sprüht wie ehedem –, das den Arm schmückte, den feinen Arm, der sich einst um seinen Hals geschmiegt. Der Fürst nimmt es heraus und läßt die Steine durch seine Hand gleiten.
»Dies ist für meine Tochter einmal. Schließen Sie wieder, ich meinte die alten Sachen.«
Der Domänenrat öffnet sehr ungern, eigentlich weiß nur er und sein großes Buch und seine stille Sammlerfreude, was darin ist. Diese Dinge, die alle ihr Schicksal gehabt haben! Manches Stück ist darunter, dessen Gebrauch man kaum mehr kennt, – da funkelt ein fast barbarisch wirkender Rubinschmuck in Silber gefaßt von barocker Arbeit. Lauter hängende Blutstropfen, könnte man meinen. Seltsam geschmückt mußte die Frau sein, die ihn trug. Der Fürst nimmt das Halsband heraus, es hat keine Jahreszahl an dem hinteren Verschluß wie die meisten anderen, es hängt ein kleines Pappschildchen daran, worauf in steilen Buchstaben steht: Schmuck der Gräfin von Brauneck, der Thorsteinerin. † 1678.
»Der Thorsteinerin! Wahrhaftig!« rief der Fürst. Nun fällt ihm ein, daß er gehört hatte, es solle eine alte Verwandtschaft existieren! Das Halsband geht ja natürlich nicht, aber es ist doch gewiß noch etwas da mit dem Thorsteiner Wappen.
»Ende des siebzehnten Jahrhunderts, Durchlaucht,« sagt der Domänenrat. »War eine arme Zeit, es ist zu verwundern, daß immer noch so viel da ist.« »Wie hieß der Gemahl dieser Thorsteinerin?« »Heinrich Friedrich, Durchlaucht, und hier ist sein Ring; er scheint zu dem Schmuck gehört zu haben. Auch ein Rubin, nur in Gold gefaßt, und ähnliche Arbeit.«
An dem Ring hängt dasselbe Papptäfelchen, aber eine andere Schrift, eine ungelenke Hand, die mehr Schwert als Feder gewohnt sein mochte, und ein Wort, das in seiner harten Kürze von einem alten Schmerz redet: Mein Sohn †.
»Der Sohn starb also vor dem Vater; hatte dieser Heinrich Friedrich irgendwelche Bedeutung für die Geschichte des Hauses?«
»Nein,