Auf Asche. Ronald Reng

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Auf Asche - Ronald Reng

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Kollege Singh und ich an der Theke des „De Klok” gesessen. Hier war der Schmelztiegel dieser Insel, und auch wenn man es diesem urig-roten holländischen Backsteinhaus nicht auf den ersten Blick ansah, dort, wo die Gäste Dreiband-Billard in schicken Anzügen spielten, die Kellner noch die Uniform trugen, die bereits ihre Väter und Großväter getragen hatten und samtrote Kissenbezüge den Lichtkegel des Kristallleuchters dumpf reflektierten, so waren sie hier doch alle versammelt, grausame Männer vor dem großen Finale, im Whiskeydunst und zwischen Rauchschwaden vereint. Der Vorstand eines jeden Teams war vor Ort, die Erzfeinde saßen zusammen an der Theke, ignorierten sich beharrlich und kamen im Laufe der Nacht doch ins Gespräch.

      Ein paar Plätze weiter saß Joker mit seiner Bagage. Er war der Trainer des Erzfeindes, seit Jahren schon, wir kannten uns aus dem Effeff. Vor einiger Zeit hatten wir noch Freundschaftsspiele gegeneinander bestritten, aber nachdem unserem Torwart in einem dieser Spiele das Wadenbein gebrochen worden und es im Anschluss daran zu einem wilden Handgemenge gekommen war, bei dem von Klapptisch bis Zeltgarnitur alles hatte herhalten müssen, gingen wir uns so lange aus dem Weg, bis der Spielplan es nicht mehr zuließ, den anderen stillschweigend zu meiden.

      Wir nannten ihn Joker, weil er ein paar unglaubliche Gemeinheiten auf Lager hatte. Einstmals rotzte er vor dem Spiel einem unserer Spieler direkt vor die Füße und schrie: „Solltest du kleiner Affe heute tatsächlich glauben, meinen Jungs einen einschenken zu müssen, reiß ich dir den Kopf ab, verstanden?” Ein anderes Mal trat er vor unseren Torhüter und sagte ihm, dass es ihm bis heute ein Rätsel sei, warum dessen Mutter ihn einstmals nicht abgetrieben hätte, etwas, was den damals noch jungen Kerkes sehr beunruhigte und ihm auch noch den letzten Nerv raubte.

      Ich schlug ihm auf die Schulter, sagte: „Na, du dämliches Arschloch!” und setzte mich neben ihm auf den Hocker.

      „Die Herren Singh und Wildberg, willkommen.” Er sagte dies mit dieser nasalen, zynischen Stimme, welche uns aus vielen Jahren nur allzu bekannt war. „Ich hab euch ein wenig beobachtet. Die Kollegen Fuhrmann und Kontermann scheinen ja immer noch eher auf der grenzdebilen Strecke unterwegs zu sein, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.”

      Der Kampf ging schon jetzt los, daran ließ sich nichts ändern. Ich warf einen Blick durch die Kneipe, bevor ich mir dachte, dass es an der Zeit wäre, die härtere Gangart anzuschlagen: „Ich hab gehört, deine Olle ist gestern mit einem unserer jüngeren Betreuer in der Nordsee planschen gegangen.” Ich machte eine kurze Pause, um maximale Wirkung zu erzielen, dann fügte ich an: „Keine Sorge, wir haben den Kerl auch gefragt, warum er sich gerade dieses abscheuliche Monster für seine neckischen Spielereien ausgesucht hat.”

      Joker grinste. Auch er wusste, dass die Wahrheit ausschließlich auf dem Platz lag und dass alles, was wir jetzt taten, nur der Auftakt zu einer noch viel wilderen Schlacht werden würde. „Pass mal auf, Kollege”, sagte er, bevor er sein Glas in der ihm unnachahmlich feisten Weise zum Gruße erhob. „Bevor meine Olle auch nur einen Kerl von euch anfasst, würd die sich lieber die Hand an einem Ofenrohr verbrennen und anschließend in Benzin abkühlen, so sexy findet die eure Bande.”

      „Joker, ihr habt de facto morgen keine Chance gegen uns”, entgegnete ich. „Wir haben alles zusammengetrommelt, was wir auftreiben konnten, von Kai Kanitz bis Alessandro Cocco. Ihr werdet morgen schlichtweg bluten.”

      Ich legte meine Hand gemächlich auf die Theke und zeigte dem Mann hinter dem Tresen an, dass ich zu allem bereit wäre: „Warum du übrigens in deiner Abwehr nur Adipöse auflaufen lässt, ist mir ehrlich gesagt ein ziemliches Rätsel.”

      Joker war vielleicht ein widerlicher Zeitgenosse, jemand, mit dem man noch nicht einmal dieselbe Stadtgrenze teilen wollte, aber dumm war er nicht. „Meinetwegen kann ich die komplette Weight-Watchers-Farm aufstellen, aber sofern nur einer der Jungs den Ball in Richtung eures Kasten schießt, habt ihr eh schon verloren. Oder ist Porno-Kerkes mittlerweile zum Oli Kahn mutiert?”

      Der Kollege Singh schob sich ein wenig nach vorne und ließ die Hand in Richtung des Aschenbechers gleiten, um diesen unter Umständen als Hiebwaffe einsetzen zu können.

      „Pass mal auf, du hässlicher Vogel”, zischte er. „Wenn wir morgen mit euch fertig sind, werdet ihr wie die Kleinkinder in eurer Kabine sitzen und euch wünschen, nie gegen uns gespielt zu haben, so schlimm wird es für euch. Verstanden?”

      Es dauerte ein paar Minuten, bis ich die Streithähne wieder voneinander trennen konnte. Den Kollegen Singh verfrachtete ich in die hintere Ecke des Raumes, Joker ließ ich am Tresen sitzen. Es war ein über Jahre hinweg kultiviertes Ritual, dass wir uns an den Vorabenden des Spiels in dieser ominösen Kneipe beinahe die Schädel einschlugen. Es war der Vorabend des Spiels.

      Es ist die Stimmung eines hitzigen Sommernachmittages. Die Sonne knallt uns in den Nacken und schwitzende Körper wetzen übers Feld. Deine Spieler hängen an ihren Wasserflaschen, um sie herum die wild geifernde Masse, eine Bestie an Menschen, die jeden Fehler bestraft und jedes Tor in etwas Gottähnliches verwandelt. Überall Trauer, Wut, auf der anderen Seite grenzenloses Gejubele. Die Dialektik des Lebens. Nirgendwo sonst spürt man Derartiges besser als bei solchen Turnieren.

      Das Halbfinale war vorbei, langsam, aber sicher waren die Jungs mit ihren Kräften am Ende. Wir hatten die Vorrunde dominiert und anschließend Alstätte komplett demontiert. Kontermann spielte das Spiel seines Lebens und ließ einen Zuckerpass auf den anderen folgen. Tiedtge und Kanitz wirbelten die gegnerische Abwehrreihe durcheinander, als gäb es kein Morgen. Es war eine Gala und etwas, was einem Gegner Angst machen musste. Bis zu diesem Spiel hatte unsere Mannschaft 19 Tore geschossen, bei einem Gegentor, welches klar auf Kerkes’ Kappe ging. Sie standen hinten sicher wie eine eins, vorne ließen sie den Ball zirkulieren. Unser Ballett, in voller Blüte.

      Singh und ich standen an der Seitenlinie, als der Schiedsrichter das zweite Halbfinale anpfiff. Bedburg-Hau, da waren sie. In ihren schwarzen T-Shirts sahen sie wie Bestien aus, wie Barbaren, aber es war nicht das Einzige, was sie auf Lager hatten. Ihr Mittelfeldstratege war der versierteste, den ich in meiner Karriere auf dieser Position bisher zu Gesicht bekommen hatte. Er konnte alles. Er hämmerte Freistöße in den Winkel, er bediente die Außen, er machte das Spiel schnell, wenn er es schnell machen wollte, er verschleppte es, wenn sich sein Team erst sortieren musste. All dies tat er mit einer Eleganz, die uns schaudern ließ. Das 1:0 schoss er per Schlenzer aus etwa zwölf Metern, der Torhüter komplett chancenlos. Noch vor der Halbzeit wurde er nach einem Solo, bei dem er zwei Mann aussteigen ließ, vom letzten Verteidiger gelegt, was Joker dermaßen in Rage brachte, dass er mit einer Wasserflasche nach dem Schiedsrichter warf. Der folgende Elfmeter wurde vom Gefoulten selbst verwandelt, der nach seinem zweiten Tor in unsere Richtung stürmte, sich umdrehte, auf die Nummer seines Trikots zeigte und daraufhin wieder zum Mittelkreis lief. Sie wussten, dass wir sie beobachteten. Und wir wussten jetzt, dass sie uns auch registriert hatten.

      „Das wird eine harte Nuss”, sagte Singh, bevor er seine Gauloises durch die Luft schnippte. „Bei den Schüssen wird Kerkes ein richtiges Problem haben. Der kleine Bastard bringt jeden Pass an den Mann.”

      Wir starrten sie an, wie sie sich auf der anderen Seite des Feldes wechselseitig hochpushten. Zwei Stürmer stießen die Köpfe aneinander und schrien unverständliches Zeug. Joker rüttelte jeden seiner Spieler und deutete in unsere Richtung.

      „Ziemlich trauriges Volk”, sagte ich leise. „Dass Joker sie nicht mehr alle auf dem Zaun hat, ist klar, aber was im letzten Jahr mit dem passiert sein muss, wird an Tragik kaum zu überbieten sein.”

      „Was machen wir mit dem Kerl?”

      „Du scheuerst dem nach dem Spiel eine, ganz einfach.”

      Der Kollege Singh schüttelte mit dem Kopf: „Nein, nicht mit dem Pfosten. Was machen wir mit deren Spielmacher?”

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