Spielregeln für Game Changer. Kerstin Friedrich
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• Du ärgerst dich über Verhaltensweisen, die mit deinen Werten nicht übereinstimmen.
• Trotz Wachstum bleiben die Renditen mehr oder weniger unbefriedigend.
• Du weißt nicht wirklich, wie du künftig die richtigen Leute an Bord bekommen sollst.
• Dein Unternehmen wächst immer weiter, und du fragst dich, wie ihr euch mit einem Minimum an Bürokratie organisieren könnt.
• Du hast den Eindruck, dass sich bei einigen Leuten, die einmal sehr motiviert ihren Job angetreten haben, langsam eine Dienst-nach-Vorschrift-Mentalität breitmacht.
• Du hast die Nase voll davon, die ganze Verantwortung allein zu tragen.
Möglicherweise hast du auch schon über folgende Maßnahmen nachgedacht bzw. sie mit mehr oder weniger Erfolg im Unternehmen umgesetzt:
• Du denkst, dass die Ursache bei dir und deinen Führungsqualitäten liegt; du planst deshalb, Seminare zum Thema Führung und Motivation zu besuchen oder einen Coach zu konsultieren.
• Du überlegst, wie du die Demotivierten geschickt loswirst und wie du künftig nur noch mit den Besten arbeiten kannst.
• Du hast eine Agentur engagiert, die aus deinem Unternehmen eine coole Arbeitgebermarke machen soll.
• Du hast dich mit Systemen wie Holacracy beschäftigt – du fürchtest aber, dass es dann zu viel Palaver auf Kosten der Produktivität gibt.
• Du bist begeistert von Büchern über Agilität und Selbstorganisation, hast aber keine Ahnung, wie du das im eigenen Unternehmen einführen sollst.
Ich habe jetzt eine gute Nachricht für dich: Du kannst ab sofort damit aufhören, an dir und deinen Leuten herumzuschrauben. Stattdessen ist es sinnvoll, dafür zu sorgen, dass alle das große Spiel der Unternehmensführung verstehen und wissen, wie sie es gewinnen können. Anders ausgedrückt: Du musst das System ändern – nicht die Spieler.
Tatsache ist: Praktisch alle Mitarbeiter haben (oder hatten) ein großes Interesse daran, mit ihrer Energie und ihren Talenten zum Erfolg des Unternehmens beizutragen. Wir haben es jedoch geschafft, ihnen dieses Interesse systematisch auszutreiben. Die Art und Weise, wie wir heute unsere Zusammenarbeit organisieren, widerspricht grundlegenden psychischen Bedürfnissen. Zu diesen Bedürfnissen gehören allen voran solche nach Anerkennung, Wertschätzung, Erfolg und Gemeinschaft. Es bedarf nur weniger, aber radikaler Umbaumaßnahmen, um die gemeinsame Arbeit motivierender, erfolgreicher, profitabler und sinnvoller zu machen.
Stell dir vor, du spielst in einer Fußballmannschaft, in der keiner weiß, wie es gerade steht. In der niemand weiß, ob es jetzt sinnvoller ist, eher den Angriff oder die Verteidigung zu stärken, oder ob aktuell eine Änderung des Spielsystems geboten ist. Jeder weiß nur, dass er selbst gerade einen guten Job gemacht hat: einen guten Pass gespielt, einen Torschuss des Gegners pariert oder in letzter Sekunde den gegnerischen Stürmer vom Ball getrennt. Ob und wie sich diese Einzelaktion auf das Spiel der anderen und auf das Gesamtergebnis auswirkt, weiß niemand. Eine vollkommen absurde Vorstellung: Weder würde sich irgendein Spieler dauerhaft für Fußball begeistern, noch würde ein einziger Zuschauer Geld dafür bezahlen, einem müden und planlosen Hin-und-her-Gekicke zuzuschauen.
Wenn in einer Mannschaft die Sehkraft nur bis zum nächsten Mitspieler reicht und wenn niemand weiß, wie es eigentlich steht, ergibt es wenig Sinn, an der Kondition und der Technik der Spieler zu arbeiten. Genauso wenig sinnvoll ist es, einen Motivationstrainer zu engagieren, der den Spielern mit Feuerlauf und Mentaltraining beibringt, über ihre Grenzen zu gehen. Das Einzige, was hilft: Die Spieler müssen sehen können. Sie müssen das gesamte Spiel überblicken, den Spielstand kennen und die Regeln verstehen. Sie müssen auf einen Blick erkennen, welche Folgen das eigene Handeln auf das Ergebnis hat. Dann werden alle das tun, was sie immer tun wollen: ein gutes Spiel abliefern.
Heute agiert in fast allen Unternehmen eine Mannschaft mit Spielern, die schwer sehbehindert sind, die absolut keine Ahnung haben, wie es steht, und die nicht wissen, ob sie gerade dazu beitragen, dass das Team gewinnt oder verliert. So kann beispielsweise eine Vertriebsmitarbeiterin stolz und glücklich sein, dass sie einen großen Auftrag an Land gezogen hat – ob dieser aber das Unternehmen am Ende mehr Geld kostet, als er einbringt, weiß sie nicht. Es fehlt an der wichtigsten Motivationsquelle: dem Wissen um die eigene Wirksamkeit.
Das Potenzial
Praktisch jede Organisation verschenkt ein riesiges Erfolgs- und Ertragspotenzial. Erstens das Potenzial, das durch Demotivation verloren geht. Zweitens das Potenzial an hervorragenden Ideen, das in jedem Mitarbeiter schlummert und für das es keine systematische Förderung gibt.
Angeblich verlieren wir einen dreistelligen Milliardenbetrag in deutschen Unternehmen (Zahlen von 2018) aufgrund mangelnder Motivation der Mitarbeiter.1 Meine Hypothese lautet: Dieser Mangel an Motivation resultiert nicht aus Unlust an der Arbeit, sondern weil die Menschen nicht erfahren, was ihre Arbeit bewirkt. Anders ausgedrückt: Es fehlt ihnen schlicht und einfach an Erfolgserlebnissen. Wir wissen aber schon lange, dass solche positiven Rückkopplungen das A und O der Motivation bilden: Wir tendieren dazu, Dinge zu tun, die uns gute Gefühle vermitteln, und vermeiden Dinge, die Unlust verursachen und auf lange Sicht nicht zu Erfolgen (= positiven Rückkopplungen) führen. Man schaue sich nur den seit Jahrzehnten boomenden Markt für Browser- und Konsolenspiele an; diese Spiele beziehen ihr Erfolgs- und Suchtpotenzial aus der schlichten Tatsache, dass wir einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Handlung (Aktion) und Wirkung (Reaktion) erleben. Dabei werden auch über lange Zeit die miesesten Misserfolge ausgehalten, wenn am Ende eine große Belohnung winkt – etwa der Aufstieg in ein neues Level, Ruhm und Ehre für eine bessere Ranglistenposition oder andere positive Effekte.
Kaum zu beziffern ist das Potenzial, das in den Köpfen der Mitarbeiter schlummert: Ideen, wie man Produkte und Dienstleistungen und / oder Prozesse verbessert. In den Produktionshallen der Konzerne hat man das Potenzial, das in fehlerhaften Prozessen liegt, im Zuge der KVP-Bewegung (»KVP« steht für »kontinuierlicher Verbesserungsprozess«) zum Großteil schon gehoben. Im Handwerk und in den Büros liegt dieses Potenzial noch weitgehend brach. Bei Innovationen wird praktisch gar nicht versucht, die kollektive Intelligenz anzuzapfen. Innovationen werden bei den Spezialisten in Forschung und Entwicklung verortet; allen anderen traut man nicht wirklich zu, etwas zur Zukunft des Unternehmens beizutragen.
Die meisten Führungskräfte werden sich nicht einmal im Traum vorstellen können, dass ihre Leute sich ebenso begeistert an ihren Arbeitsplatz begeben, wie sie sich am Abend vor ihre Spielekonsole setzen oder im Verein trainieren. Man kann sich aber durchaus die Frage stellen, welche Rahmenbedingungen wir in der Arbeitsumgebung setzen können, damit sich die schleichende Demotivation und Unlust in mehr Freude am Erfolg verwandeln.
Das »Geheimnis« vor unserer Nase
Sehr einfache, nahezu banale Grundvoraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Fußballmatch sein ganzes Spiel- und Spaßpotenzial entfalten kann. Und davon können wir einiges auf die Arbeitsorganisation übertragen. Wir glauben häufig, dass wir von erfolgreichen Sportteams etwas über Teamgeist oder Siegeswillen lernen können oder dass wir fachliches oder motivationspsychologisches Geheimwissen aus der Trickkiste herausragender Trainer