Die kleine Stadt. Heinrich Mann

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Die kleine Stadt - Heinrich Mann

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auf­ge­zählt; er habe kei­ne Eile, zu sei­ner Frau zu kom­men; – und nun er auf den Platz bog, be­gan­nen alle zu pfei­fen. Die bei­den Ca­ra­bi­nie­ri lie­ßen sich von ih­ren Pfer­den her­ab und ho­ben die Drei­mas­ter, um sich die Köp­fe zu trock­nen. Die Di­li­gen­za fuhr mit Kra­chen beim Post­amt vor: da zeig­te sich, dass sie ganz ge­füllt war. Drin­nen sa­ßen acht Per­so­nen, und eine klet­ter­te so­eben vom Bock: ein ge­drun­ge­ner Mann mit ei­nem Cäsa­ren­pro­fil, den der Hand­lungs­rei­sen­de fast für einen Be­rufs­ge­nos­sen ge­hal­ten hät­te. Nur hat­te er blau­ra­sier­te Wan­gen und Be­we­gun­gen von un­be­kann­ter Spann­kraft und Form.

      Kaum dass die Pfer­de still­stan­den, stürz­ten über die Füße der an­de­ren hin­weg zwei Non­nen aus dem Wa­gen und eil­ten, so­dass die Kreu­ze der Ro­sen­krän­ze von ih­ren Hüf­ten auf­flo­gen, nach dem Trep­pen­weg zum Klos­ter. Dann stieg ein schö­ner blei­cher jun­ger Mensch her­aus, der un­be­tei­ligt um­her­sah.

      »Nel­lo!« rief eine Frau­en­stim­me. »Hilf mir her­aus!«

      »Lass lie­ber mich«, sag­te ein ha­ge­rer Al­ter, weiß an­ge­zo­gen und ra­scher als ein Jüng­ling; – und er streck­te eine fal­ti­ge Hand aus, wor­auf ein großer Bril­lant blitz­te.

      Der Ad­vo­kat be­merk­te:

      »Aber das sind sie! Das sind die Ko­mö­di­an­ten. Ich als Vor­sit­zen­der des Ko­mi­tees muss sie be­grü­ßen.«

      Er er­hob sich und schwän­zel­te über den Platz. Die an­de­ren folg­ten im Ab­stand.

      Aus der Post ward eine schwar­ze la­chen­de Per­son ge­ho­ben, aber wer sie von hin­ten un­ter den Ar­men hielt – der Ad­vo­kat muss­te auf hal­b­em Wege ste­hen­blei­ben – das war, mit dem blon­den Schnurr­bart über dem ro­ten Ge­sicht, der Baron Tor­ro­ni! Er wand­te sich um; aus sei­ner Jagd­ta­sche sa­hen die Vo­gel­schnä­bel; und er setz­te noch eine Frau aufs Pflas­ter: ein klei­nes un­an­sehn­li­ches We­sen in ei­nem schmutz­far­be­nen Man­tel, wie ein Sack, und die Haa­re voll Staub. Hin­ter­her, mit ei­nem aus­ge­las­se­nen und den­noch be­stürz­ten Ge­sicht, kam der Ta­bak­händ­ler Pol­li.

      »He! Pol­li! Was ist denn mit dir ge­sche­hen?« rief der Apo­the­ker.

      Der Ta­bak­händ­ler ge­sell­te sich ih­nen zu.

      »Ach ja, das fragt nur! Die eine hät­te mir fast einen Kuss ge­ge­ben: jene große Schwar­ze.«

      »Ein pracht­vol­les Weib. Die wird eine Stim­me ha­ben!« mein­te der Ad­vo­kat.

      »Ich sage euch, sie kann schrei­en! Ge­schich­ten sind heu­te in dem al­ten Kar­ren er­zählt wor­den! Ich möch­te wis­sen, ob die bei­den Non­nen sie schon kann­ten. Im­mer lau­ter ha­ben sie ge­be­tet, – und seht nur, wie sie lau­fen!«

      »Wozu müs­sen die­se hei­li­gen Un­ter­rö­cke im­mer un­ter­wegs sein?« frag­te der Ad­vo­kat. »Auf al­len Stra­ßen sieht man nur sie.«

      Pol­li raun­te:

      »Und seht euch den Al­ten an: er ist ge­schminkt!«

      Die Grup­pe der Bür­ger schiel­te zu den Ko­mö­di­an­ten hin­über. Der Ad­vo­kat fand es schwe­rer als in sei­nen Stu­den­te­nerin­ne­run­gen, mit ih­nen an­zu­knüp­fen. Der un­ter­setz­te Mann vom Bock, der ihm noch am meis­ten Ver­trau­en ein­gab, ließ den Kut­scher das Ge­päck her­ab­he­ben. Den üb­ri­gen schüt­tel­te der Baron Tor­ro­ni die Hän­de. Er ver­sprach, ih­nen sei­ne Vö­gel ins Gast­haus zu schi­cken, mach­te sei­ne ecki­gen Ka­val­le­ris­ten­ver­beu­gun­gen und brach sich einen Weg durch die Kin­der und Mäg­de, die her­um­stan­den. Wie er in sei­nen Le­der­ga­ma­schen auf sein Haus zu­ging, schlüpf­te eine schwar­ze Ge­stalt her­aus und in die Kir­che.

      Meh­re­re Ge­schäfts­leu­te stell­ten sich ein, um nach ih­ren Pa­ke­ten zu se­hen. Der Kauf­mann Man­ca­fe­de be­müh­te sich längst um die sei­nen. Trotz al­ler Spät­som­mer­hit­ze war er in sei­ner di­cken brau­nen Ja­cke. Das ge­wölb­te Auge in sei­nem al­ten Ha­sen­pro­fil such­te ängst­lich und zäh un­ter den Kör­ben dort oben.

      »Und das Pe­tro­le­um?« frag­te er ge­las­sen und rich­te­te sei­nen tro­ckenen Fin­ger auf den Kut­scher Ma­set­ti. Der tat dro­ben einen er­bos­ten Sprung. Er schrie hin­ab, für so viel Mühe sei er nicht be­zahlt; die­se Frem­den hät­ten Ge­päck für einen gan­zen Ei­sen­bahn­zug; noch ein Wa­gen kom­me mit Leu­ten und Kof­fern: dar­auf wer­de, wenn Gott es wol­le, auch das Pe­tro­le­um sein. Und durch den ab­fäl­li­gen Empfang, der ihm be­rei­tet wor­den war, noch tiefer ge­färbt als sonst, schwenk­te er die aus­ge­brei­te­ten Arme to­bend über der Men­ge, vor dem blau­en Him­mel.

      Der Kauf­mann prüf­te ihn blin­zelnd und wand­te sich an den Ta­bak­händ­ler.

      »Pol­li, dei­ne Magd ist die letz­te Nacht nicht zu Hau­se ge­we­sen.«

      Der Ta­bak­händ­ler rö­te­te sich.

      »Sagt die Evan­ge­li­na es?«

      »Ja«, er­klär­te Man­ca­fe­de mit Ruhe und Si­cher­heit.

      »Und dann sagt mei­ne Toch­ter auch, die Ko­mö­di­an­ten wer­den kom­men … Das sind sie wohl?« – und zum ers­ten Mal schi­en er sich um­zu­se­hen.

      »Mei­ne Lina weiß, dass der be­rühm­te Te­nor Gior­da­no da­bei ist.«

      Plötz­lich dreh­te der weiß an­ge­zo­ge­ne Alte sich um. Leicht und doch groß sag­te er: »Das bin ich: der Ca­va­lie­re Gior­da­no.«

      Ein Au­gen­blick, und der Ad­vo­kat war über die Hand des al­ten Sän­gers her­ge­fal­len.

      »Sie, Ca­va­lie­re! Welch Wie­der­se­hen! Sie er­in­nern sich doch un­se­rer Be­kannt­schaft in Pe­ru­gia? Be­lot­ti, Ad­vo­kat Be­lot­ti. Wir ver­kehr­ten bei­de im Café ›Zur al­ten Treu­e‹. Wir spiel­ten Do­mi­no, und ich be­sieg­te Sie im­mer, Sie zahl­ten all mei­nen Punsch … Wie, Sie wis­sens nicht mehr? Ach ja, das sind wohl drei­ßig Jah­re her, und was ha­ben Sie seit­dem er­lebt! Der Ruhm, die Frau­en, die großen Rei­sen! Das nen­ne ich Le­ben. Hier in der klei­nen Stadt: – nun, Sie wer­den uns ken­nen­ler­nen; auch wir kön­nen lus­tig sein, auch wir wis­sen die Kunst zu schät­zen. Mei­ne Freun­de wer­den glück­lich sein, Sie ken­nen­zu­ler­nen.«

      Er wink­te sie her­bei.

      »Herr Ac­qui­sta­pace, un­ser Apo­the­ker; Herr Pol­li, mit dem Sie die Rei­se ge­macht ha­ben; Herr Can­ti­nel­li, der bra­ve An­füh­rer un­se­rer be­waff­ne­ten Macht …«

      Und um nicht sei­nen Geg­ner, den Ge­mein­dese­kre­tär, vor­stel­len zu müs­sen, griff er aus den Um­ste­hen­den einen an­de­ren her­aus.

      »Herr Chia­ra­lun­zi, höchst ge­schick­ter Schnei­der, der im

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