In den Nachmittag geflüstert. Georg Trakl

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In den Nachmittag geflüstert - Georg Trakl

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mit der der Mutter. Diese wiederum steht stets mit Motiven von Klage, Schmerz, Einsamkeit in Verbindung und kann als eine Spiegelung von Trakls eigener, distanzierter Mutter gesehen werden. Sie wird zur Verkörperung des anklagenden Bewusstseins um die Schuld: »Weh der steinernen Augen der Schwester, da beim Mahle ihr Wahnsinn auf die nächtige Stirn des Bruders trat, der Mutter unter leidenden Händen das Brot zu Stein ward.« (Traum und Umnachtung) Gleichzeitig ist sie kaum zu trennen von der liebenden Schwester. »Mutter trug das Kindlein im weißen Mond«, heißt es in Sebastian im Traum; der Mond ist aber auch ein Attribut der Schwester, vor allem dann, wenn sie einen Schimmer von Hoffnung mit sich trägt: »und es hob sich der blaue Schatten des Knaben strahlend im Dunkel, sanfter Gesang; hob sich auf mondenen Flügeln über die grünenden Wipfel, kristallene Klippen das Antlitz der Schwester.« (Offenbarung und Untergang) Das Bild der Schwester, genau wie das der wilden Liebenden, mögen sie auch todgeweiht sein, bringt letzten Endes eine unterschwellige Vitalität in Trakls Verse hinein, wie in Auflehnung gegen die eigene Selbstnihilierung. Die Liebe ist stets dunkel bei Trakl, bleibt an den Ekel des Verfalls und des Todes gebunden, aber gleichzeitig verwandelt ihre Präsenz Tod und Untergang in etwas Sanftes, selbstverständlich Geschehendes, und leise tönt immer die Hoffnung auf ein Wiederauferstehen; Trakls Tote sind nie wirklich tot, sowie seine Lebenden nie wirklich lebendig sind. Seine Lyrik verschmilzt alle Gegensätze, selbst die großen von Leben und Tod und Gut und Böse, zu einem ambivalenten Ganzen, das in sich selbst unbestimmbar bleibt.

      So wie das Bildnis der Schwester Trakls ganzes Werk durchwebt, blieb auch das Leben von Georg und Grete eng verbunden, selbst nachdem die junge Frau 1910, nach dem Tod des Vaters, nach Berlin zog und 1912 eine unglückliche Ehe mit dem um vieles älteren Arthur Langen schloss. Als Grete im März 1914 eine Fehlgeburt erlitt (unheimlicherweise schon zuvor ein oft wiederkehrendes Motiv in Trakls Lyrik), eilte ihr Bruder an ihr Krankenbett; das Ereignis zeichnete ihn schwer. Zuvor hatte der junge Dichter, der 1912 eine zeitweise Anstellung als Militärapotheker in Innsbruck gefunden hatte, zum vielleicht ersten Mal tatsächliche Stabilität und Gemeinschaft im dortigen Kreis um Ludwig von Ficker und den Brenner gefunden, nicht zu schweigen eine Plattform für seine Gedichte. Hier wurde zum ersten Mal die Außergewöhnlichkeit und Genialität von Trakls so befremdlich anderer Lyrik in vollem Ausmaß erkannt. Bis dahin war dem jungen Poeten nur wenig Anerkennung zuteil geworden; vergeblich hatte er versucht, seine frühen Gedichte zu veröffentlichen, und die Aufführungen zweier Dramen aus der Feder des ›spinnerten‹Trakl im heimatlichen Salzburg errangen lediglich Achtungserfolge. 1913 jedoch erschien endlich Trakls erste Gedichtsammlung unter dem Titel Gedichte, und er arbeitete unermüdlich an der Zusammenstellung der zweiten, Sebastian im Traum; der junge Lyriker erlebte einen regelrechten kreativen Schub. Darüber hinaus bot der Kreis um von Ficker, der zu Trakls engstem Freund wurde, dem jungen Mann, der sich so unbehaust fühlte in der Welt und vielleicht sogar in sich selbst, eine Art Zuflucht (und nicht zuletzt auch immer wieder finanzielle Unterstützung). Doch an dem innerpsychischen Leiden Trakls änderte diese Situation nichts; »es ist ein so namenloses Unglück, wenn einem die Welt entzweibricht«, schrieb er in diesem Jahr nieder. Auch weiterhin litt er unter Geldsorgen, seiner Drogensucht und massiven Angstzuständen, was sich nach dem Besuch bei der leidenden Grete in Berlin nur verschärfte.

      Inmitten der sich verschlimmernden persönlichen Krise wurde Trakl dann kurz nach Kriegsbeginn als Medikamentenakzessist eingezogen und erlebte die Kriegswirklichkeit unmittelbar. Als er nach der Schlacht von Grodek allein um die 90 Schwerverwunderte betreuen musste, unfähig, diesen Todgeweihten in irgendeiner Weise tatsächlich beizustehen, zerbrach Georg Trakl. »Ich verfalle recht oft in unsägliche Traurigkeit«, schrieb er an von Ficker Ende Oktober 1914, als er bereits nach einem von Kameraden verhinderten Selbstmordversuch in ein Garnisonshospital eingewiesen worden war. Und doch entstanden zu dieser Zeit große Gedicht, die letzten darunter Klage und Grodek, die er seinem Freund noch kurz vor seinem Tod sandte und in denen Trakl mit dem engen Bilderkosmos, den er aus seinem persönlichen Leiden geknüpft hatte, auf erschütternde Weise nun ein größeres, zugleich konkretes und umfassenderes Leiden in Worte zu bannen wusste. Zwar besingt er auch in früheren Gedichten schon expressionistisch-apokalyptisch den Untergang eines ganzen Geschlechts – denn so empfanden Trakl und seine Generation von Dichtern das Siechtum der späten Kaiserreiche. Aber in seinen letzten Gedichten, den Kriegsgedichten, öffnet sich die Perspektive auf eine Menschheit, die im Nichts versinkt, doch nicht ohne ein goldenes Aufflackern, das vielleicht Hoffnung ist. Georg Trakl selbst jedoch erlag seiner »unsäglichen Traurigkeit«; am 3. November 1914 starb er im Garnisonshospital an einer Überdosis Kokain, die er sich selbst verabreichte. Grete, deren lyrischen Abglanz er noch in seinen letzten beiden großen Gedichten anruft, ereilte ein traurig spiegelbildliches Schicksal. Nach dem Tod ihres Bruders verlor die junge Frau endgültig den Boden unter den Füßen; am 17. September 1917 erschoss sie sich im Alter von 25 Jahren.

      Betrachtet man Trakls Werk von den Jugenddichtungen bis zu Klage und Grodek, ist eine deutliche Entwicklung seines Stils erkennbar. Die Jugendgedichte, die Trakl 1909 zu einem Band zusammenstellte, der jedoch zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht blieb, sind in einem an Baudelaire geschulten Décadence-Stil gehalten; der junge Dichter befindet sich noch auf der Suche nach der eigenen Stimme. Doch entfaltete sich schon hier die für Trakl so typische Bilderwelt, aus der sein ganz eigener lyrischer Kosmos entstehen würde. Von etwa 1910 an entwickelte sich Trakls Stil konsequent weiter und nahm seine ganz eigene, im wahrsten Sinne des Wortes merkwürdige Klangfarbe an. Man spricht auch von Trakls impressionistischer Phase: Eindruck um Eindruck reiht sich hier scheinbar rein assoziativ aneinander, oft in ungewöhnlichen Kombinationen, die die gewohnte Wirklichkeitswahrnehmung des Lesers herausfordern. Diese von starken, aber zugleich sanften Naturbildern dominierten Verse erhalten eine traumhafte Qualität, doch eine, die den Blick nicht verschleiert, sondern verschärft. Der Übergang von dieser ›impressionistischen‹ zu Trakls expressionistischer Lyrik geschieht fließend. Trakls Bildhaftigkeit beginnt, sich von dem Rückbezug auf eine wiedererkennbare Wirklichkeit zu lösen; seine Verse kreieren immer mehr eine neue, poetische, zeichenhafte ›Wirklichkeit‹, die zutiefst rätselhaft, aber auch zutiefst bedeutungsvoll ist, nämlich voll eigener Bedeutung. Besonders deutlich erkennbar wird dies an Trakls Farbsymbolik, die einen wichtigen und äußerst faszinierenden Aspekt der Lyrik des Salzburgers darstellt.

      In den früheren Gedichten ist trotz impressionistischer Verfremdung der konkrete Wirklichkeitsbezug der Farbsymbolik gegeben: »Golden reift der Wein am Hügel« in Frauensegen (1910), wo auch »Rot die Blätter niederfließen«, und In einem verlassenen Zimmer (1910) »beugt die heiße Stirne / Sich den weißen Sternen zu.« Doch ist bereits in Die schöne Stadt (1910) auch von »den braun erhellten Kirchen« die Rede; es beginnt ein Abstraktionsprozess, der sich beständig fortsetzt. Farben werden ihrer konkreten Bedeutung enthoben, in neue, noch nicht gesehene Zusammenhänge gebracht; berühmt ist beispielsweise das in Trakls Lyrik mehrfach auftretenden »blaue Wild«. Dies ist eine Farbsymbolik, die sich an der alltäglichen Wirklichkeitserfahrung reibt; gerade dadurch aber wird innerhalb der Verse eine zeichenhafte ›Wirklichkeit‹ erschaffen, in der Farben Gefühls- und Seinszustände bezeichnen können, ohne das, was sie bezeichnen, konkret festzulegen, wie etwa in Trakls spätem Gedicht Klage: »Jüngling aus kristallnem Munde / Sank dein goldner Blick ins Tal; / Waldes Woge rot und fahl / In der schwarzen Abendstunde.«

      Doch Trakl gelingt mehr, als bloß expressionistisch-abstrakte Farbbilder zu malen. Gerade auch dadurch, dass der Abstraktionsprozess innerhalb seines Gesamtwerkes ein gradueller ist, sich die expressionistische Verfremdung Schritt um Schritt steigert, schafft Trakl ein eigenes Bedeutungsnetz, einen Bilderkosmos, in dem sich alle Zeichen aufeinander beziehen. Trakls Lyrik arbeitet im Grunde mit einem eng begrenzten Repertoire an Bildern und Begriffen, von denen Farben einen nicht unbedeutenden Teil ausmachen: blau, weiß, golden, schwarz, kristallen sind darunter wohl die prominentesten. Weitere elementare Begriffe dieses poetischen Zeichennetzes sind Zustände wie Kindheit, Stille, Tod und Verfall, zeitliche Momente wie der Abend, die Nacht, die Dämmerung, der Herbst und die Reihe von dramatis personae in Trakls Lyrik, darunter die vielbesprochene Schwester, die Mutter, der Fremdling, der Engel, das Wild, das Ungeborene, der Jüngling. All diese Bedeutungselemente werden schrittweise aus vertrauten Kontexten gelöst und in immer neue gesetzt, die für sich genommen oft rätselhaft sind, doch ein Netz weben, das Trakls

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