Das Herz der Natur. Francis Edward Younghusband

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Das Herz der Natur - Francis Edward Younghusband Edition Erdmann

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im fernen Himalajawald, wohin nicht viele Weiße kommen. Wir machen öfters Erfahrungen, die uns merklich altern lassen. Dies aber ist eine jener Erfahrungen, die uns ganz gewiss verjüngen. Wieder wie einst sind wir Kinder, die im Wald Blumen finden.

      Je höher wir aufwärtssteigen, umso mehr weitet sich das Tal, die Berge treten zurück und sind weniger steil. Sie sind auch schwächer bewaldet, Gras bedeckt häufiger ihre Abhänge, und der Fluss ist keine tobende, reißende Flut mehr, sondern strömt in breitem Bett in mannigfachen Windungen dahin. Die mächtigen Gipfel erheben sich irgendwo dicht in der Nähe, die höchsten sind jedoch nicht zu erblicken, und für den Himalaja ist der Landschaftscharakter etwas zahm. Groß aber ist die Zahl der Kräuter. Ihre vollständige Ausführung würde die meisten der in Europa und Nordamerika verbreiteten Gattungen umfassen. Unter ihnen befinden sich purpurrote, gelbe, rosa und weiße Primeln, goldene Fingerkräuter, Enziane vom tiefsten Azurblau, zarte Anemonen, Ehrenpreis, Schachblume, Sauerklee, Balsaminen und Ranunkeln. Eine ganz besondere Köstlichkeit dieser Gegend ist Rosa macrophylla, eine große, rote Rose, eine der schönsten Himalajapflanzen; ihre ungefüllten Blüten sind von Handtellergröße. Unter diese Pflanzen aus der gemäßigten Zone mischen sich die Ausläufer der tropischen Gattungen – Orchideen, Begonien und andere –, deren Aufstieg in diese hochgelegenen Gebiete von der großen Hitze und Feuchtigkeit des Sommers begünstigt wurde.

      Wir befinden uns jetzt im Gebiet der Primeln, um derentwillen Sikkim neben seinen Orchideen und Rhododendren berühmt ist. In der Tat kann man Sikkim das Hauptquartier der indischen Primeln nennen; es finden sich dort viele Arten, die, wie es scheint, sonst nirgends vorkommen. Es gibt dreißig bis vierzig Arten, von denen die Mehrzahl in Höhen von 3600 bis 4500 Metern gedeiht; nur zwei oder drei finden sich unterhalb von 3000 Metern, zwei oder drei steigen in eine Höhe von 4800 bis 5100 Metern. Am bekanntesten ist Primula sikkimensis, die auch in England gut gedeiht und einer riesenhaften Schlüsselblume ähnlich sieht. Entzücken erfüllt uns beim Anblick ihrer goldfarbenen Blütenmassen an feuchten, sumpfigen Stellen der Hochtäler; der eigentliche Farbton ist eher mit zitronengelb als mit golden zu bezeichnen.

      Das Purpurrot herrscht als Farbe der Primeln vor, aber auch Weiß, Gelb, Blau und Rosa finden sich. Primula denticulata hat Blüten von Purpurrot bis zum lebhaften Saphirblau, und weite Strecken des Landes sind fast durchweg blau durch die lieblichen Blütenkronen dieser Primel. Kilometerweit sieht man das Land buchstäblich bedeckt mit Primula obtusifolia, die purpurrot blüht und stark metallisch riecht. Primula kingii, eine sehr schöne Pflanze, hat Blüten von so tiefem Bordeauxrot, dass sie fast schwarz wirken. Vielleicht die eindrucksvollste aller Primeln ist Primula elwesiana, die große einzelne, abwärts gekehrte purpurfarbene Blüten trägt.

      Auch Mohnarten sind der Vegetation in Sikkim eigentümlich. In der Nähe der Hütten züchtet das Volk eine majestätische Art, die Meconopsis simplicifolia nahesteht; sie wächst in dichten Büscheln von 60 bis 90 Zentimetern Höhe. Der Durchmesser der Blüten schwankt zwischen 12½ und 17½ Zentimetern; beim ersten Aufblühen ist die Farbe ein ungemein leuchtendes Blau, das sich jedoch vor dem Wellen nach Purpurrot verändert. Meconopsis simplicifolia selbst findet sich ebenfalls in Höhen von 3600 bis 4500 Metern; es ist eine besonders schöne Art, in der Farbe von einem klaren lichten Blau; sie wächst als Einzelblüte auf nur einem Stängel und ist jetzt in Kew und auch in Edinburgh zu sehen. Ein anderer schöner Mohn ist Meconopsis nepalensis, der in den feuchtesten Innengebieten Sikkims in Höhen von 3000 bis 3300 Metern vorkommt und einer Malve in Miniaturausgabe ähnlich sieht, mit blassgoldenen oder schwefelgelben Blüten, die 5 bis 7½ Zentimeter in der Breite messen und zu mehreren an einem Stängel sitzen.

      Bei der Annäherung an Tangu weitet sich das Tal zu breiten, grasbedeckten Flächen; hier in etwa 3900 Metern Seehöhe geht der Pflanzenwuchs sowohl in seiner Höhe als auch in seiner Üppigkeit sehr rasch zurück; zugleich ist der Artenwechsel sehr bedeutend. Lärche, Ahorn, Kirschbaum, Spierstaude verschwinden, zurückbleiben Weiden, Wacholder, Strauchbirke, Silbertanne, Eberesche, Berberitze, Johannisbeerstrauch, Geißblatt, Azaleen und viele Rhododendren. Den rasigen Boden bedecken Enziane Fingerkräuter, Geranien, purpurrote und gelbe Meconopsis, Rittersporn, Orchideen, Steinbreche, Glockenblumen, Ranunkeln, Anemonen, Primeln (einschließlich der prächtigen Primula sikkimensis) und drei oder vier Farnarten. Da das Land jetzt viel offener ist, glüht es im Talboden und an den Berghängen von Purpur und Gelb in vielfachen Tönen. Selbst hier nicht, wie überhaupt nirgends im Himalaja, beobachten wir die Farbenflut und Farbenglut, die wir in Kalifornien finden, wo weite Flächen Wiesenland vom Purpur der Lupinen und dem Gold des kalifornischen Mohns flammen. Aber an Menge der Pflanzenarten sind diese Hochtäler des Tistaflusses kaum zu übertreffen. Beim Ersteigen der Bergabhänge oberhalb Tangu finden wir sie von Pflanzen zahlreicher Arten bedeckt, und selbst in 4200 Metern Höhe sammelte Hooker noch über 200 Pflanzen.

      Nun aber nähern wir uns der Grenze pflanzlichen Lebens. In 5100 Metern ist die Vegetation nicht mehr alpin, sie ist arktisch geworden, und die Pflanzen dicht an der Schneegrenze sind winzige Primeln, Steinbreche, Enziane, Gräser, Seggen, rasiger Wermut und ein Zwergrhododendron, die alpinste der Holzpflanzen.

      Auf der Höhe des Donkiapasses fand Hooker nur eine Blütenpflanze, Arenaria rupifraga. Schwingelgras (Festuca ovina), ein kleiner Farn (Woodsia) und eine Saussurea steigen fast bis ganz auf die Höhe hinauf. Eine rosafarbige, wollige Saussurea und Delphinium glaciale sind zwei der am höchsten wachsenden Pflanzen; sie finden sich meistens in 5250 bis 5400 Metern. Neben einigen dürftigen Moosen gedeihen auf der Höhe mehrere Flechten, wie Cladonia vermicularis, die gelbe Lecidea geographica und die orangerote Lecidea miniata.

      In 5500 Metern stieß Hooker auf einem Stein auf eine schöne schottische Flechte eine Gyrophora-Art, das »tripe de roche« der Polarfahrer und die Nahrung der kanadischen Jäger. In den schottischen Alpen ist sie ebenfalls sehr häufig.

      Auf dem Gipfel des Bhomtsos, 5610 Meter, fanden sich als einzige Pflanzen die Flechten Lecidea miniata (oder Parmelia miniata), die oben erwähnt wurde, und Borrera. Die erstgenannte winzige Flechte ist auf der Erde in der Arktis, Antarktis und in den Alpen und auch sonst weit verbreitet und tritt öfters in solcher Fülle auf, dass die Felsen orangerot gefärbt sind.

      Die volle Reihe pflanzlichen Lebens, vom echt tropischen bis zum abgehärtetsten arktischen, ist nun vollständig. Von der Grenze des ewigen Schnees aus rückwärts schauend, übersehen wir mit einem Blick den ganzen großen Zug. Weder afrikanische noch südamerikanische noch australische Pflanzen haben wir angetroffen und daher auch die Pflanzenwelt keineswegs in ihrer Ganzheit geschaut. Aber von den Tropen bis zur Arktis war die Reihe vollständig und ununterbrochen. In keinem anderen Gebiet könnten wir auf der kurzen Strecke von 160 Kilometern, der Entfernung etwa zwischen Berlin und Leipzig, die gesamte Reihe in so vollständiger Vertretung sehen. Und in der Tat zu sehen, wie riesig in Ausdehnung und Mannigfaltigkeit das pflanzliche Leben ist, das ist etwas ganz anderes, als nur davon Kenntnis zu haben; es ist etwas ganz und gar Verschiedenes, ob man die Blumen in ihrer Körperlichkeit sieht oder ob man nur Beschreibungen liest; und es ist von ganz anderer Wirkung auf uns, wenn wir sie in Massen und an ihren natürlichen Standorten schauen, als wenn wir einige wenige in einem Garten oder in einem Treibhaus erblicken. Hier an Ort und Stelle ist es uns, als seien wir mit dem Herzen der Natur in innigster Fühlung. Wir sehen, wie die Schöpfungen der Natur in frischem, jungem Leben unmittelbar aus dem Urquell emporsteigen. Wir erleben die Freude, die Hand ausstrecken und eine Blume aus der ihr eigenen Umwelt heraus pflücken zu können, sie zu liebkosen, sie nach allen Seiten hin zu untersuchen, ihre Farbe, ihre Gestalt, ihren Bau zu bewundern, ihre Schönheit mit der anderer Blumen zu vergleichen und festzustellen, worauf ihre besondere Schönheit beruht. Niemals werden wir selbst der köstlichsten Orchidee oder der vollkommensten Lilie die Liebe zuwenden können, die wir für die Primeln und Veilchen unseres Heimatlandes empfinden. Aber wir mögen versichert sein, dass unser Naturforscher-Künstler – wenn er im Geist die Eindrücke zusammenfasst, die er auf seiner Fahrt durch die Tropenwälder hinauf zum alpinen Hochland und von dort bis zur Grenze des ewigen Schnees empfangen hat – gewahr werden wird, dass sich der Sinn in ihm unermesslich erweitert hat für die verschiedenartige Schönheit, die in Bäumen und Blättern, in Farnen und

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